Und sonst so? |
Sonntag, November 10, 2024Bevor du diesen Kolumnentext liest, geh einmal folgende Liste durch und setze einen gedanklichen Haken hinter jedem Punkt, den du schonmal g...
Bevor du diesen Kolumnentext liest, geh einmal folgende Liste durch und setze einen gedanklichen Haken hinter jedem Punkt, den du schonmal getan hast:
- in einem Gruppenchat, zu einer Freundin oder in einem sozialen Netzwerk zu einer Situation „Männer lol“ geschrieben
- ein sveamaus-Meme an eine Freundin geschickt und damit Bezug auf einen bestimmten Mann genommen
- bei Schilderung männlichen Verhaltens ironisch „man kennts“ oder „lieben wir“ gesagt/geschrieben
Vor ein paar Wochen schickt mein Freund Luca mir bei Instagram den Post zu einem bei Spiegel veröffentlichten Essay der Autorin Elisa von Hof. Zu dem Zeitpunkt habe ich den Essay zwar noch nicht gelesen, ihn aber schon mehrfach online gesehen; viele Menschen, denen ich folge, liken und teilen den Beitrag. Auf der ersten Kachel des Beitrags steht „Femizide, Kriege, Extremismus - Fast alle großen Probleme haben eine gemeinsame Ursache: Männer“.
Der Post zu von Hofs Essay wird vielfach geklickt und geteilt, der Beitrag hat heute 179.000 Likes, ein durchschnittlicher Beitrag auf dem Instagram-Account des Spiegels hat ein- bis viertausend. Ich bin interessiert und lese von Hofs Essay, der den Titel „Die Welt könnte so schön sein ohne euch“ trägt.
Er erscheint eine Woche nachdem in den sozialen Netzwerken die Hashtags #notallmen #butalwaysmen trenden, häufig im Zusammenhang zu Berichten zu den unsäglichen Taten, deren Opfer die Französin Gisele Pelicot wurde, mutmaßlich verübt durch ihren eigenen Ehemann sowie mindestens 51 weitere Männer. Der Ton in von Hofs Essay ist harsch, wütend und resigniert stellt sie große strukturelle Probleme in einen direkten Zusammenhang mit Männern.
„Solange es Männer gibt, gibt es keine sicheren Orte. Nirgendwo.“ Schreibt sie. Ich lese das und etwas in mir zieht sich zusammen. Nicht, weil ich diese Wut nicht auch spüre, die Wut darüber, nicht mehr überrascht zu sein von den immer und immer wieder erfolgenden Meldungen zu Gewaltverbrechen an Frauen, Femiziden, der plötzlichen Entdeckung zutiefst sexistischer und misogyner Strukturen in der nächsten Branche, der nächsten Institution. Nein, in mir zieht sich etwas zusammen, weil ich diese Aussage für grundfalsch halte, vor allem aber weil mich das beschäftigt, was dahinter steht. „Solange es Männer gibt, gibt es keine sicheren Orte.“ unterstellt eine direkte Kausalität zwischen dem Vorhandensein unsicherer Orte und dem männlichen Geschlecht. Richtig wäre: Solange es das Patriarchat und damit das Begünstigen und Akzeptieren gewaltvollen Verhaltens von Männern gegenüber Frauen gibt, gibt es keine sicheren Orte.
Ich denke an die so klugen Worte der Feministin und Autorin bell hooks. In ihrem Buch „lieben lernen. Alles über Verbundenheit“ schreibt sie: „Dass viele Frauen nicht anerkennen wollen, dass das Patriarchat eben dieses Verhalten von Männern verlangt, dass der Wille zur Gewalt die heterosexuelle, patriarchale Männlichkeit definiert, ist ein Beweis für die gewollte Unkenntnis der politischen Realität.“ und weiter „Stattdessen bestätigt er die konventionelle, sexistische Überzeugung, dass es für einen Mann ganz natürlich sei, sich andere unterwerfen zu wollen.“ Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Täterschaft und Geschlecht, er ist erdrückend, aber er ist eben auch das: ein Zusammenhang, Korrelation, keine Kausalität. Das anzuerkennen, zu verstehen, dass unsere patriarchal-sexistische Gesellschaftsordnung eben diesen Zusammenhang begünstigt, nimmt kein Stück Verantwortung von einem einzelnen Mann weg, es entschuldigt und bagatellisiert nichts. Es verkennt schlichtweg nicht die gesellschaftspolitische Realität.
Von Hofs Essay, den ich für verkürzt und in vielen Punkten schlichtweg für falsch halte, tritt in meinen Gedanken recht schnell in den Hintergrund. Ein anderer Gedanke beschäftigt mich dafür eine längere Weile. Der Essay liegt bei Spiegel Online hinter der Paywall, der Instagram-Post dazu hat dennoch 179.000 Likes und wird vielfach geteilt. Ohne es sicher zu wissen kann ich mir nicht vorstellen, dass alle Menschen, die den Beitrag liken, teilen und kommentieren, den ganzen Text gelesen habe. Aber die Sprache der gewählten Zitate, der Ton des Beitrags, das abgeklärt- distanzierte passt in den Grund-Ton der Bubble, die ihn reproduziert.
Ich denke an unzählige Memes, an den Kommentar und den Hashtag #männerlol, an das sarkastisch-abgeklärte Kommentieren sexistischen Verhaltens wie in den Videos der Autorin Tara- Louise Wittwer. Wittwer veröffentlicht auf ihrem Profil wastarasagt unter anderem die Video-Reihe TikToxic, in der sie Ausschnitte von anderen Usern veröffentlichter Videos mit sexistischen Inhalten kommentiert. Als ich die ersten Male ihre Beiträge sehe frage ich mich verwundert, in welchen Ecken des Internets man solche Inhalte findet. Da sitzen junge Männer und selbsternannte Dating Coaches vor Podcast-Mikrofonen und erklären mit einer erschreckenden
Selbstverständlichkeit wieso man Frauen am besten erobert, in dem man sie beleidigt oder bedrängt. Eine Zeit lang schaue ich mir die Videos von Wittwer regelmäßig an, mal erschrocken, mal peinlich berührt, mal belustigt. Wittwer hat ein gutes Gefühl für Moment und Sprache, manche ihrer Videos kommen gänzlich ohne verbalisierten Kommentar aus und bestehen nur aus Gestik und Mimik. Aber irgendwann fühle ich ein Unwohlsein beim Anschauen ihrer Videos, sie werden mir zuwider und fühlen sich nicht mehr passend an. Ich frage mich was das ist, das sich in mir verschoben hat und brauche eine ganze Zeit um es greifen zu können bis ich es verstehe. Wittwers Videos folgen dem gleichen Narrativ, reproduzieren den gleichen Tonfall und die gleiche Dynamik wie so viele Inhalte, die ich im feministischen Kontext in den sozialen Netzwerken sehe.
(Insert toxisch maskulines Verhalten) - Augenrollen, man kennts, peinlich halt, sarkastisches „lieben wir“, Männer lol.
Da wird digital darüber abgeroflt wie wenig aufgeklärt, wie peinlich beschränkt, wie insgesamt unangenehm so viele Männer sind - und wie wenig sie mithalten können mit uns modernen, gebildeten, selbstständigen und selbstbewussten Frauen. Wittwers Videos funktionieren über Beschämung. Ein bestimmtes Verhalten einer anderen Person wird auf einer Bühne ausgestellt, dann subtil-sarkastisch oder sehr deutlich kommentiert, durch den Kommentar entsteht Abgrenzung und Distanz und schließlich Beschämung.
Eine Zeit lang fühlte sich diese Form der Abgrenzung beim Erleben sexistischen oder misogynen Verhaltens für mich auch gut an. Sie war eine kleine Flucht, eine Möglichkeit beim Erleben von Ohnmacht Deutungshoheit zurückzugewinnen, das Machtgefälle über eben jene, wenn auch humoristische, Deutungshoheit umzudrehen. Aber vielleicht liegt hierin auch das Problem, vielleicht liegt hierin mein mittlerweile vorhandenes Unwohlsein mit jenem Ton begründet - darin, dass sich das Machtgefälle eben nicht auflöst, sondern schlichtweg umdreht. Das mag seine Berechtigung haben, aber ich frage mich ob es uns gesellschaftlich dabei weiterhilft die sexistisch-patriarchalen Strukturen zu überwinden. Kennzeichnend für diese Strukturen ist vor allem die Logik aus Über- und Unterordnung. Wenn wir diese Strukturen wirklich überwinden wollen, wenn wir es ernst meinen mit der Vision eines Miteinanders der Geschlechter auf Augenhöhe, das geprägt ist von gegenseitigem Respekt und Vertrauen, bringt uns das Umkehren ebenjenes Systems der Über- und Unterordnung keinen Schritt weiter.
Wittwer bezeichnet sich selbst auf ihrem Profil als „Alpha-Maus“, eine Wortschöpfung, die den in der von ihr kritisierten Bubble häufig verwendeten Begriff des „alpha male“ mit dem popkulturell in ihrer (und auch meiner) Bubble trendenden Begriff „Maus“ kombiniert. Man kann das als kluge, humoristische Rückeroberung oder Umdeutung eines sexistischen Begriffs lesen. Oder als Pose. In dem Moment, in dem ich abrofl, abgagge, mich lustig mache, wird diese Kritik zur Pose und damit zum Teil meiner digitalen Persona. Sie passt gut in meinen brat girl summer, in mein mühsam kuratiertes Image als moderne, selbstbestimmte Feministin und dient vielleicht auch etwas mehr als ich zugeben mag dem Ausstellen meiner politischen Aufgeklärtheit. Und sie schafft Abgrenzung und bringt eine Distanz zwischen mich und die andere Person. Sie verschiebt auf eine sehr subtile Art und Weise Macht - keine harte Macht, die auf der Verfügungsgewalt über Ressourcen, Waffen und politischer Ämter beruht, sondern weichere Macht, die vor allem in der Tonsetzung der Debatte besteht und die mit einer moralischen Überlegenheit daherkommt. Wie diese Machtverschiebung aussieht zeigt eine Formulierung in von Hofs Essay eindrücklich.
Ich fühle die gleiche Wut und die gleiche Ermüdung wie Wittwer und von Hof. Wut über die immer gleichen Geschichten, die sich nicht ändern wollenden zutiefst sexistischen Strukturen, die Selbstverständlichkeit, mit der sich Männer im öffentlichen Raum bewegen können und uns die Welt erklären. Ermüdung von der selbstverständlichen Verantwortungsübernahme vieler Frauen, die ruhig und verständnisvoll und geduldig die vollständige emotionale Arbeit in Beziehungen zu Männern übernehmen, den Männern in ihrem Leben kleinteilig und sorgfältig erklären, wieso ihr Verhalten jetzt gerade was ausgelöst hat und wie man vielleicht auch mal die Perspektive des Gegenübers einnehmen könnte. Aber ich bin auch müde von den Posen, von der Abgrenzung, der Beschämung, der Distanz, die über unzählige männer lol-Memes, über spöttische Videos, über Alpha-Maus-Gehabe entsteht. Ich möchte keine Alpha-Maus sein müssen, möchte nicht abgaggen und beschämen um mir meinen Respektraum zurückerobern zu können. Ich möchte sehen und verstehen, gesehen und verstanden werden, mich zumuten und diskutieren können ohne dabei unbewusst in meinem eigenen Verhalten die patriarchalen Strukturen zu
reproduzieren. Das Leben könnte so schön sein, ganz ohne Alpha-Männer, ganz ohne Alpha-Mäuse.