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Die Grenzen des eigenen Selbst - Marina Abramovic: The Cleaner
Freitag, Juli 13, 2018Schon lange habe ich es vor und nun am letzten Sonntag auch endlich machen können. In der Bundeskunsthalle Bonn ist noch bis zum 12. August 2018 die Retrospektive zur vieldiskutierten Künstlerin Marina Abramovic zu sehen. Abramovic ist vor allem durch ihre Performances bekannt geworden, bei denen sie den Finger in die Wunde menschlichem Seins legt.
Wo liegen die eigenen Grenzen?
Ich kenne mich nicht sehr gut mit Performance Art aus, nicht einmal mit zeitgenössischer Kunst generell. Ich habe weder Marina Abramovics Biographie gelesen, noch bin ich ein Fan von ihr. Habe ich mich in der Ausstellung einige Male unangenehm berührt gefühlt? Ja. Habe ich ein paar Male darüber nachgedacht, ob Abramovic wohl in Therapie ist? Auf jeden Fall. Habe ich einige der Werke nicht verstanden oder schlimmer noch: abgelehnt, weil ich sie problematisch finde? Ja, habe ich. Und trotzdem – und ein kleiner Funke würde hier sogar "und auch genau deswegen" ergänzen – empfehle ich es absolut, sich die Ausstellung "The Cleaner" selbst anzusehen.
Durch ihre Kunst teilt Abramovic nicht nur zutiefst Persönliches und ganz eigenen Schmerz, eigene Ängste und existenzielle Erfahrungen, sondern sie überschreitet sie und lädt den Rezipienten ein, dies auch zu tun und einzugreifen in ein Werk, das durch den Austausch floriert und den Blick auf das eigene tiefe Selbst. Selbst wenn man es versuche, bin ich vollkommen überzeugt, man könne nicht nicht gleichgültig durch diese Ausstellung gehen. Man ist gezwungen, eine Haltung einzunehmen, sei das eine ablehnende oder eine, die sich interessiert und fasziniert zeigt. Die Besucherin oder der Besucher ist mit den Grenzen eines Menschen und seinem eigenen Unwohlsein konfrontiert. Man selbst wird nicht nur Betrachter, sondern Medium eines Kunstwerkes.
"Radikal, umstritten und bewundert zugleich – Marina Abramovic ist eine der meist diskutierten internationalen zeitgenössischen Künstlerinnen, vor allem im bereich ihrer bahnbrechenden Performances, mit denen sie immer wieder die eigenen physischen und psychischen Grenzen auslotet und überschreitet. Dabei sind persönliche Erfahrungen und auch Verantwortung ein zentraler Punkt ihrer Arbeit, die sich im Kern mit Erinnerung, Schmerz, Verlust, Ausdauer und Vertrauen auseinandersetzt. Die Ebene der Zeit(-erfahrung) und der Umgang mit dem eigenen Körper sind weitere Faktoren, die ihr Werk so eindrücklich werden lassen. Ihre Abramovic-Methode der Konzentration und Mobilisierung der eigenen Kräfte, um eine größtmögliche Toleranz und Offenheit im Dialog zu erreichen, wird in Workshops weltweit praktiziert. Die Künstlerin spricht grundlegende Existenzfragen an, provoziert und berührt somit in direkter Weise den Betrachter. Gemäß ihrer Überzeugung "A powerful performance will transform everyone in the room" stellt sie Hierarchien in Frage und fokussiert ihre Arbeit auf individuelle und kollektive Erfahrungen."
RHYTHM 0, 1974
In ihren frühen "Rhythm-Arbeiten"; einer Serien von Performances setzte sich Abramovic bewusst extremer Körperlicher Erfahrungen und Gefahren aus, die zu Verletzungen, Bewusstlosigkeit, in enigen Fällen sogar zu Lebensgefahr führten. In ihrer "Rhythm 0" Performance stellte sich die Künstlerin 1974 der Willkür des Publikums gegenüber, das als handelndes Subjekt fungiert. Neben der nackten und reglosen Künstlerin standen auf einem Tisch 72 Gegenstände zur Verfügung, durch die das Publikum zur Handlung an der Künstlerin aufgefordert war. Abramovic hatte die Rezipienten zuvor von jeglicher Verantwortung für die Konsequenzen freigesprochen. - Was passiert, wenn man Menschen von jeder Verantwortung für ihr handeln frei spricht und moralisches Urteil von ihnen abwendet? Im Falle dieser Performance folgte darauf eine Kette von verschiedenen wohlwollenden, vor allem aber auch verletzenden und gewaltsamen Handlungen und Reaktionen.Marina Abramovics Karriere begann in den 1970er Jahren in Belgrad. Lange galten Abramovic und ihr deutschstämmiger Lebenspartner Ulay (Frank Uwe Laysiepen) als Vorzeigepaar der Kunstszene. Gemeinsam entstanden intime und extreme Kunstwerke und Performances, die auch in der Bundeskunsthalle ausgestellt werden. Das Künstlerpaar beendete seine Beziehung, indem sich das Paar auf der chinesischen Mauern entgegenlief, sich in der Mitte traf und daraufhin getrennte Wege gingen. Ein dramatisches, symbolischen Ende einer zutiefst symbiotischen Beziehung. Erst viele Jahre später trafen sich Abramovic und Ulay wieder, als die Künstlerin eine ein Kunstprojekt im MoMa New York ausrichtete.
"Perfect couples don’t really exist. Perfect is harmony.
Perfect is hermetic, thus the end of communication."— Ulay
THE ARTIST IS PRESENT, 2010
2010 inszenierte Abramovic ihre viel rezipierte Perfomance "The Artist is Present". Dabei saß die Künstlerin reglos an einem Tisch, auf dessen gegenüberliegende Seite ein weiter Stuhl zur Verfügung stand und Besucher dazu einlud, Platz zu nehmen und stumm in direkten Kontakt zu treten, solange man wollte. Während der gesamten Ausstellungsdauer über insgesamt 736 Stunden lief die Performance und Abramovic saß insgesamt 1675 Personen im Blickkontakt gegenüber. Die Situation wurde von den Teilnehmern mitbestimmt und endete, sobald sich der Teilnehmer oder die Teilnehmerin entschied, sie zu beenden.„Meine Arbeit funktioniert nur, wenn das Publikum
eine Beziehung zu mir hat. Das Grundproblem ist
die passive und voyeuristische Beziehung des Publikums
zum Künstler und zum Museum.“
Zwar beschränkte sich die Kommunikation auf minimale Mimik und Blickkontakt, doch beschreiben viele der BesucherInnen die Begegnung als eine intensive und fundamentale. Intensive Momente der Zwischenmenschlichkeit, die Konzentration auf sein Gegenüber und den Blick in sich sind die Herausforderungen dieser Konfrontation. Abramovic selbst beschreibt die Performance als eine der schwierigsten, die sie je vollzogen hat. Überrascht wurde sie zudem von der Beteiligung Ulays, der sich ihr gegenübersetzte. Das Paar hatte zu diesem Zeitpunkt seit ihrer Trennung mehrere Jahre keinen Kontakt gehabt.
BREATHING IN / BREATHING OUT, 1977
Bei ihrer Performance "Breathing in / Breathing out" setzten sich Ulay und Abramovic weiter mit der Frage künstlerischer Dualität auseinander. Das Künstlerpaar machte ihr Überleben voneinander abhängig, indem sie ihre Münder aufeinanderpressten und ihre einzige Sauerstoffquelle entsprechen der ausgetauschte Atem des jeweils anderen war, bis die Künstler kollabierten. Was hierbei dargestellt wird ist die Abhängigkeit und der Tod des Selbst, der bei der Form von Zusammenarbeit und Beziehung immerzu droht, indem sie durch die gegenseitige Vernichtung als Folge der gemeinsamen Verbindung gestalteten.REST ENERGY, 1980
Ebenfalls zu ihrer Serie "That Self" gehört ihre Performance "Rest Energy" des vollkommenen Vertrauens: Die Künstler stehen einander gegenüber, während Abramovic die Mitte eines großen Bogens, auf den ein vergifteter Pfeil gespannt und auf ihr Herz gerichtet ist. Ulay hielt den Pfeil fest, während sich beide nach hinten lehnten. Eine falsche Bewegung oder Entscheidung würde zum Tod der Künstlerin führen. Durch Mikrophone wurde der beschleunigte Herzschlag der Künstler aufgenommen. Nach vier Minuten ließen beide den Bogen fallen."Die große europäischen Retrospektive ist nun exklusiv im deutschsprachigen Raum in Bonn zu sehen und spiegelt umfänglich die Facetten ihres Werkes – von den Anfängen, allein und mit Ulay, bis in die Gegenwart. Filme, Fotografien, Malerei, Zeichnungen, Skulpturen, Objekte, Installationen sowie ausgesuchtes Archivmaterial zeigen die thematische und mediale Bandbreite der Künstlerin. Vor allem einige Re-Performances und partizipative Arbeiten bereichern das intensive Ausstellungserlebnis."
Manchmal bin ich mit Kunst konfrontiert und verstehe sie nicht oder finde sie sogar unsinnig. Und ich kenne das auch von mir, dass man in solchen Situationen sehr leicht dazu verfällt eine Anti-Haltung anzunehmen oder sich über das Gesehene lustig zu machen und es als lächerlich zu empfinden. Eine Reaktion aus Hilflosigkeit oder vielleicht auch aus zu wenig Interesse am Kern eines bestimmten Kunstwerkes und -richtung. Insbesondere aber bei "The Cleaner" möchte ich jedem raten, diese Verhaltensweise beiseite zu lassen und sich unvoreingenommen auf Abramovics Performances einzulassen.
Zu manchen Zeiten sind selbst auch Künstler vor Ort, die berühmte Perfomances nachstellen und das hatte für mich eine sehr einschüchternde Wirkung, die ich nicht unbedingt erwartet hätte. Zu verstehen, was hinter all dem steckt und zu erfühlen, was auch meine ganz persönliche Reaktion darauf zu bedeuten hat, ist wohl eines der faszinierendsten Dinge für mich gewesen. Habt keine Berührungsängste und versucht zumindest sachte über euren eigenen Schatten zu springen, wenn einige Kunstwerke es von euch verlangen. Gerade einige Stationen, an denen man sich selbst beteiligt waren diejenigen, die mich nachhaltig beeindruckt haben.
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