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Van Gogh
Der gemalte Film - Loving Vincent
Montag, Januar 22, 2018
Mit Arbeit und Tränen, in sieben Tagen oder mit dem Blick für das Wesentliche vielleicht. Wie erschafft man eine Welt? Manchmal, so könnte man meinen, erfordert es lediglich eine Leinwand und gefühlvoll durchdachte Pinselstriche von Farbe. Ein Leben beginnt und endet, eine Welt wächst aus der weißen Asche des vorherigen Nichts. So passierte es als ein junger Mann aus dem niederländischen Landstädten Groot-Zundert seine Liebe, Passion und Verzweiflung entdeckte. Hundertfünfundsechzig Jahre nach seiner Geburt geschah es erneut, als über hundert Künstler im 21. Jahrhundert zusammenkamen, um eben diesem Mann einen Nachruf der Schönheit zu gestatten.
Der erste gänzlich mit Öl gemalte Film: Loving Vincent.
Am 30. März 1853 wird Vincent als Pfarrerssohn von Theodorus van Gogh und seiner Frau Anna Cornelia, der Tochter eines Buchbinders, zur Welt gebracht und niemand ahnte, auch Jahrzehnte später nicht, was das in der Kunstwelt auslösen würde. Schon sehr oft habe ich mich mit Vincent Van Goghs Kunst, aber vor allem auch mit seiner Biographie beschäftigt. "Loving Vincent" erzählt jedoch mehr als Van Goghs Geschichte, denn sie zeichnet die Geschichte der Außensicht, sie erklärt und verklärt die Perspektive verschiedener Menschen in seinem Umfeld und wie diese ihn sahen, ihn achteten oder verabscheuten.
Was, wenn der Tod des Künstlers gar kein Selbstmord war? So beginnen viele schauderhafte Geschichten und auch diese, die jedoch nie zu sehr in das Klischee verfällt. Der junge Armand Roulin geht dieser Frage nach. Von seinem Vater, dem persönliche Postboten Van Goghs, erhält er einen Auftrag, einen letzten Brief von Vincent an seinen Bruder Theo zu überbringen und hinzu noch einige Zweifel. "Ich fühle mich absolut gelassen und in einem ganz nomalen Zustand", schrieb Vincent Van Gogh nur sechs Wochen vor seinem vermeintlichen Suizid an den Postboten Joseph Roulin. Wie kann jemand, der sich in diesem gelassenen Zustand wiederfindet zu einem Selbstmörder werden? Ein Gefallen für den Vater wird zu einer Reise, die Reise zu einem Kriminalfall und in einer Annäherung eines Psychograms. Armand begibt sich auf die Suche nach Antworten auf die Kontroverse des Künstlertodes und in die Stadt, in der sein tragisches Schicksal endete.
Die innovative Filmproduktion
"Loving Vincent" war als Unterschrift Van Goghs unter den Briefen an seinen Bruder Theo zu lesen – dein dich liebender Vincent. Der Titel habe jedoch auch mit Dorota Kobieta Liebe zum Künstler und Menschen Vincent Van Gogh zu tun, sagt sie. Man könnte meinen, die polnisch britische Filmproduktion sei das Kind eines versierten Regisseurenpaares. Schon mehrere animierte Kurzfilme gehen auf das Konto der Polin, ehe sie mit der Planung des Arthouse Filmes über den niederländischen Künstler begann. Wieder sollte es ein Kurzfilm werden. Lediglich durch Überredungen ihres Lebenspartners britischen Hugh Welchman entschloss sich Kobiela zur Realisation des Projektes ins Spielfilmlänge.
Großes Alleinstellungsmerkmal ist sicherlich die innovative Produktion des Filmes. Loving Vincent schreibt Geschichte, denn er ist der erste Animationsfilm in Spielfilmlänge, der mithilfe der Technik erzählt wird, die auch der Maler selbst zur Schöpfung seiner Bilder nutzte: Mit Ölfarben und pointierten Pinselstrichen.Sämtliche Filmfiguren basieren auf existierenden Porträts Van Goghs und referieren damit auf sein Umfeld. Während der Film in einem ersten Schritt mit Schauspielern aufgenommen wurde, wurden diese schließlich im Stile Van Goghs in einer Arbeitszeit von zwei Jahren mit Ölfarben übermalt und nachgemalt. 126 Künstler waren an der Transformation von Referenzaufnahmen zu postimpressionistisch gemaltem Film beteiligt. Diese Herangehensweise sei, so die Regisseure in einem Interview, „zweifelsohne die langsamste Methode, die je entwickelt wurde, um einen Spielfilm zu machen.“
Wieso jeder Kulturinteressierte diesen Film gesehen haben muss
Betrachtet man den Film als reinen Handlungsstrang einer erzählten Geschichte, so ist sie langsam erzählt, enthält nicht die Spannung, die wir gegenwärtig in dramatischen Spannungsbogen, Plottwists und Cliffhangern gewohnt sind. Man hat nahezu das Gefühl, man würde in Echtzeit den Protagonisten Armand Roulin bei seinen Nachforschungen begleiten. Doch dieses Tempo ist gewollt, denn die sichtbaren Pinselstriche der über 65.000 gemalten Einzelbilder verändern sich von Sekunde zu Sekunde und der Film pulsiert dadurch. Er verleitet den Betrachter zu betrachten und nicht bloß zu folgen und sich leiten zu lassen. Wir lassen uns nicht führen, wir gehen mit, wir hören zu, wir wir sehen hin. In jedes Bild dieser Geschichte und in das Ableben eines Menschen, der bis zuletzt von niemandem verstanden wurde.
Jedem, der ein Mal in einer Galerie stand und in den Gemälden versank und sich gar wünschte, man würde in sie eintauchen können, dem wird in 'Loving Vincent' die Gelegenheit gegeben.
Noch im Verfolgen des Filmes ertappe ich mich beim Betrachten der Bilder, die mich staunen lassen. Die intensive und typische Farbgebung, die Pinselführung, jedes immer wiederkehrende Motiv und Erinnerung an längst vergessene Bilder, die der Liebhaber so oft gesehen hat. In direkter Übertragung oder in unscheinbarer Anlehnung findet man Motiv um Motiv wieder, die fantastisch anzusehen sind.
Loving Vincent ist ein Film für Liebhaber, für Neugierige, für Liebende, die ihr Herz an die Bildkraft Van Goghs und seine traurige Geschichte verloren haben und bleibt damit ein nischiger Film all derjeniger, die die Achtung über das Tempo, die das Bild und den bleibenden Gedanken über die Inszenierung stellen. Man muss keine besondere Kunsbildung haben, um das visuelle Ereignis als das wertschätzen zu können, was es ist. Der Film erzählt das Ende Van Goghs vom Ende erzählt. Vincent, der zu Lebzeiten nie an den Ruhm gelang, den er heute genießt. Ein einziges Bild hat er in seinem Leben verkaufen können und viele verbrannt, um damit zu heizen. Einem Mann, der unter schweren Depressionen litt, ständig in Behandlung und ohne Verdienst, stetig finanziert durch seinen Bruder. Eine originelle und innovative Hommage an einen weltberühmten Künstler von Künstlern aus aller Welt.
Schon jetzt der schönste und faszinierendste Kunstfilm des Jahres, den man auf der großen und sprichwörtlichen Leinwand gesehen haben muss. Letztlich auch weil er sich gegen das wendet, was sich gegenwärtig ökonomisch und strategisch in der Blockbusterwelt lohnt. Eine lange, aufwendige und kostspielige Produktion eines Werkes, das ein nischiger Kulturliebling für Cineasten bleiben wird. Loving Vincent ist ein Paradebeispiel dafür, wie man die Technik der Zeit nutzen kann, um etwas Zeitloses zu erschaffen.
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Also wow. Ich bin durch Kea auf deinen Blog gestoßen und bin gerade so beeindruckt. In diesen Blog steckt so viel Mühe und was du in deinem Alter schon geschafft hast - ich bin auch 23 - davon kann ich nur träumen!
AntwortenLöschenToller Beitrag auf jeden Fall. Ich würde den Film auch so gerne ansehen, allerdings haben ihn alle meine Freunde schon gesehen und ich gehe ungerne allein ins Kino. Vielleicht finde ich doch noch wen! :)
LG
Joana