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Angewandte Ethik Spätsommer & Herbst: Bioökonomie, Armut, Arbeit und Intersektionaler Feminismus
Mittwoch, November 13, 2019
"My favourite season is the fall of patriarchy"
habe ich vor kurzem gelesen und schmunzeln. Im Zusammenhang mit Geschlechtergerechtigkeit, aber auch Angewandter Ethik generell habe ich in letzter Zeit ziemlich viele Veranstaltungen besucht oder durfte durch ein paar Kontakte hier und dort reinschauen oder habe ein paar Informationen und Einblicke erhalten. Allesamt eigentlich jeweils schon so komplexe Themen, dass jede einzelne dieser Veranstaltungen mindestens einen gesamten Artikel (und vermutlich sogar eher mehrere!) verdient hat. Weil ich damit aktuell aber leider nicht dienen kann, ein paar Kurzeinblicke in Fakten, Überlegungen und Fragestellungen aber dennoch nicht verheimlichen möchte, hier eine Aufzählung einiger der Podiumsdiskussionen und Vorträge, in die ich mich abseits meines Studiums gestohlen habe.
- Bioökonomie und moderne Biotechnologien: Ethische, rechtliche und soziale Aspekte
Die Zelte des großen Fridays For Future Wochenendes stehen noch auf der Hofgartenwiese der Universität. Wir sitzen, mit gutem Blick darauf, im Festsaal am vorletzten Tag der Klausurwoche zum Thema Bioökonomie, in der ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Verfahren und Ziele der Bioökonomie sowie ihrer ökologischen und wirtschaftlichen Dimensionen diskutiert werden. Organisiert wurde die Klausurwoche vom Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE) und dem Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) in Bonn in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Jülich (FZJ) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). NachwuchswissenschaftlerInnen tragen interdisziplinär eigene Forschungsfragen, -ergebnisse und Überlegungen vor, es gibt vielerlei Einblicke und Exkursionen.
Ich durfte mich hineinschmuggeln und konnte bei der Podiumsdiskussion zwar nicht viele Antworten, aber eine ganze Masse an (noch konkreteren) Fragen mitnehmen. Und manchmal scheint auch das ja bereits ein riesiges Potenzial für Fortschritt. Auch wenn der etwas plakative Titel "Bioökonomie - Große Chance für nachhaltiges Wirtschaften oder neuer Irrweg?" durch die recht konsensualen Beiträge gar nicht so polarisiert hat, wie man sich das hätte wünschen können, war es sehr interessant. Nicht nur, weil Christian Patermann da war, der als "Vater der Bioökonomie in Europa" gilt oder Franz-Theo Gottwald mitdiskutierte, der das recht klar formulierte Sachbuch "Irrweg Bioökonomie. Kritik an einem totalitären Ansatz" verfasst hat, sondern vor allem wegen zwei anderen Gästen: Als jemand, der sich vor allem mit Verteilungsgerechtigkeit und globalen Hilfspflichten auseinandersetzt, konnte ich nahezu allem zustimmen, was Joachim von Braun aus Bonn erzählte und als jemand, der sich mit Ökologischem Feminismus und Kommerzialisierung von Mensch und Natur beschäftigt, war ich sehr froh, dass Susanne Lettow aus Berlin Einfluss nehmen konnte. Beides Personen, die ich in ihrer Arbeit sehr schätze und die ich noch Tage später weiter recherchiert habe.
- International Safe Abortion Day
Kein Mensch ist "für" Schwangerschaftsabbrüche. Niemand schreibt sich solch etwas auf seinen Wunschzettel. Fakt ist aber, dass es Frauen gibt, die in Notlagen sind, für die es die einzig richtige Entscheidung ist, eine ungewollte Schwangerschaft nicht weiter zu führen. Frauen, die über ihren eigenen Körper bestimmen können müssen. Ein weiterer Fakt ist einer, der fast noch mehr schmerzt, wenn man wagt, ihn weiter zu denken: Ein Verbot von Abtreibungen per se führt nicht dazu, dass weniger von ihnen durchgeführt werden, es führt lediglich dazu, dass sie illegal und unter medizinisch fragwürdigen Bedingungen ablaufen, ohne angemessene Beratung, begleitet von Traumata. Nicht umsonst sieht man aus diesem Grund auf feministischen Demonstrationen zu dem Thema Kleiderbügel als Symbol dafür, welcher Historie an Grausamkeit hinter dieser Frage steht: Nach Zahlen der UN sterben rund 47.000 Frauen pro Jahr bei medizinisch unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen.
- BAPP: Arbeit, Freiheit, Abhängigkeit
Anfang des Monats fuhr ich in den Teil meiner Stadt, in der sämtliche Straßen die Namen von Adenauer, Heuss, Kohl und co. tragen und besuchte eine Veranstaltung der Bonner Akademie für praktische Politik (BAPP) , eine Lehr- und Forschungseinrichtung, die Themen aus Wirtschaft, Medien und Politik praxisnah analysiert und diskutiert. Auch wenn ich immer sehr schade finde, wie wenig divers das Publikum ist (und wie wohl nicht sonderlich inklusiv die Einladungen und Aufmachungen gestaltet sind), finde ich viele Veranstaltungen und Diskussionen der BAPP sehr sehr interessant. So auch bei "Arbeit, Freiheit, Abhängigkeit", weil ich mich kurz davor erst mit finanzieller Abhängigkeit rund um das Thema Pay Gap und Care Gap und Altersarmut einerseits und den Zusammenhang von Freiheit und Geld andererseits beschäftigt hatte.
Unbedingt zu diesem Podium wollte ich außerdem auch wegen zweier Gäste, zwischen denen ich mich irgendwo lokalisiere. Einmal Prof. Dufner vom Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE) der Universität Bonn und andererseits Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW und Bundesvorsitzender der CDA. Wie der Zufall so will, ist Prof. Dufner ohne Zweifel wohl die beste Dozentin, die ich in meinem Studium habe und bin ich seit nun schon einer Dekade Mitglied der CDA. Daneben noch Prof. Blasius vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie und Frau Baumann-Duvenbeck, Geschäftsführering der Viktor Baumann GmbH & Co. KG. Modieriert wurde die Veranstaltung von der Programmgeschäftsführerin von phoenix, Michaela Kolster.
- Intersektionaler Feminismus &
Alice Hasters "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten"
Der AStA Bonn bzw. das Referat für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit hat in den vergangenen Wochen eine Reihe an Aktionstagen ins Leben gerufen, die unter der Frage "Welchen Feminismus wollen wir?" Leider leider leider habe ich es zeitlich zu kaum einem geschafft. Und auch an diesem Dienstag war ich eigentlich unglaublich fertig und nach 600km Reise durch ganz NRW wollte ich nur noch ins Bett. Dass ich mich abends jedoch trotzdem noch mal fertig machte, einen Kaffee trank und mich aus dem Haus gezwungen habe ist nur Alice Hasters zu verdanken. Einige kennen sie vielleicht vom Podcast "Feuer und Brot", andere vielleicht auch, weil vor kurzem ihr Buch "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" in der Hanser Verlagsgruppe erschienen ist. Gesprochen hat sie über verschiedene Formen von Mehrfachmarginalisierung, die unterschiedliche Beziehung zu Arbeit vieler weißer Frauen im Vergleich zu der von Women of colour, Privilegien und Abwehrmechanismen und schwarze Körper in der Geschichte von Gewalt-, Ausbeutungs- und Vergewaltigungserfahrung. Außerdem die Frage rund um die Hypersexualisierung schwarzer Körper, die je nach Narrativ und Perspektive immer auf symbolischen historischen Unterdrückungsmechanismen fußen oder aber auch in Selbstbestimmung unter Umständen reclaimt werden können.
Hanserblau Verlag, 208 Seiten, Paperback, 17euro |
- Armutkongress des AstA der Uni Bonn
Zu Gast um das Gespräch verschiedener Facetten von Armut waren die Sozialpädagogin Ulla Meurer, die Psychologin Alexandra Miethner und Onur Özgen von der Sozialberatung AstA der Uni Bonn. Gemeinsam diskutierte man die Auswirkungen von finanziellen Notlagen auf psychische Gesundheit und Selbstwert und Lebensqualität. Dr. Andreas Aust, Referent für Sozialpolitik an der Paritätischen Forschungsstelle ging dem Begriff von Armut, seine Verwendung und Definition auf den Grund und anhang eines Workshops wurde das sogenannte "Armutsparadoxon" eingegangen: Armut trotz Wirtschaftswachstum und Prosperität.
Immerzu stand die Diskussion rund um Armut an dem Tag auch im Kontext der Studierenden. Welche Rolle nehmen sie ein? Denn:
"Ab diesem Wintersemester liegt der BAFöG Höchstsatz bei 853 Euro - gemessen am Medianeinkommen Deutschlands gilt man, wenn der BAFöG-Höchstsatz die alleinige Einkommensquelle darstellt, damit als armutsgefährdet. Und tatsächlich trifft die Bezeichnung “arme*r Student*in” nach offiziellen Zahlen auf ¼ aller Studierender zu. Wer studiert, hat im Schnitt 812 Euro pro Monat zur Verfügung. Obwohl zwei von drei Studierenden nebenbei jobben, sind 87 Prozent auf Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Betrachtet man weiterhin Statistiken über die Armutsgefährdungsquote in Deutschland nach Alter, so fällt auf, dass im Jahr 2018 die Altersgruppe der 18-25-jährigen mit 25,6% die größte armutsgefährdete Gruppe darstellt - während die Armutsgefährdungsquote in Deutschland insgesamt 15,5 % betrug.
Gleichzeitig finden Studierende kaum Erwähnung, wenn über armutsgefährdete Personengruppen gesprochen wird, obwohl die oben genannten Zahlen Anderes vermuten lassen würden. Vor dem Hintergrund, dass geringes Alter zwar ein Kategorie ist, die Armut begünstigt, ein Hochschulabschluss aber ein wichtiger Faktor ist, der vor Armut schützt, befindet man sich in einem Spannungsfeld zwischen akuten finanziellen Nöten und der Aussicht auf ein zukünftiges Leben jenseits der Armutsgrenze. Hinzu kommt die Frage, ob Armut lediglich einen eindimensionalen, materiellen Zustand des Mangels darstellt, oder ob Faktoren wie ein soziales Netz, Zugang zu kulturellen Angeboten und Bildung die Selbstwahrnehmung als “arm” verhindern und Armut als facettenreicher Zustand betrachtet werden muss, der Studierende konzeptionell ausschließt."
Höhepunkt erreichte der Kongress vermutlich durch den Vortrag
"Armut in einem reichen Land" von Politologen und Auto Prof. Christoph Butterwegge:
"Seit geraumer Zeit bildet die wachsende soziale Ungleichheit das Kardinalproblem der Menschheit schlechthin. Im globalen Maßstab resultieren daraus Krisen, Kriege und Bürgerkriege, aber auch Flüchtlingsströme bisher unbekannten Ausmaßes. Im nationalen Rahmen stiftet die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ebenfalls Unfrieden, obwohl es hierzulande aufgrund des gegenüber Staaten der sog. Dritten bzw. Vierten Welt erheblich höheren Wohlstandsniveaus bisher (noch) nicht zu größeren sozialen und politischen Verwerfungen gekommen ist.
Betrachtet man die Sozialstruktur der Bundesrepublik, zeichnet sich eine Polarisierung ab, die auch im internationalen Vergleich extrem stark ausgeprägt ist. Wie beispielsweise im Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dokumentiert, zeigt sich die Verteilungsschieflage vornehmlich beim Vermögen, das sich zunehmend bei wenigen Hyperreichen konzentriert, die über riesiges Kapitaleigentum verfügen und meistens auch große Erbschaften machen. Während die Reichen reicher werden, werden die Armen zahlreicher. Durch den fast ein Viertel aller Beschäftigten umfassenden Niedriglohnsektor breitet sich die Armut bis zur Mitte der Gesellschaft aus und verfestigt sich. Zu den Hauptbetroffenengruppen gehören Erwerbslose, Alleinerziehende, Kinder und Jugendliche, Rentner/innen und Familien mit Migrationshintergrund.
Dass die Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich zerfällt, ist kein unsozialer Kollateralschaden der Globalisierung, sondern durch falsche Weichenstellungen der politisch Verantwortlichen bedingt. Die sozialen Polarisierungstendenzen lassen sich auf die öffentliche Meinungsführerschaft des Neoliberalismus und von ihm durchgesetzte oder beeinflusste Reformen zurückführen.
Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und Armut wirksam bekämpfen will, muss den „Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates beenden und darf den Arbeitsmarkt nicht weiter deregulieren, sollte ihn vielmehr reregulieren sowie die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben beenden und für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Dazu sind die Wiedererhebung der Vermögensteuer, eine höhere Körperschaftsteuer, eine vor allem große Betriebsvermögen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehende Erbschaftsteuer, ein progressiver verlaufender Einkommensteuertarif mit einem höheren Spitzensteuersatz und eine auf dem persönlichen Steuersatz basierende Kapitalertragsteuer (Abschaffung der Abgeltungssteuer) nötig."
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