ESSAY | Männer und Feminismus: Warum Männer nicht nur der Gesellschaft, sondern auch sich selbst schaden, wenn sie sich gegen Feminismus stellen

Männer, die sich nicht nur nicht mit Feminismus identifizieren, sondern sich sogar aktiv gegen ihn stellen, die schaden ihm und Frauen auf...

Männer, die sich nicht nur nicht mit Feminismus identifizieren, sondern sich sogar aktiv gegen ihn stellen, die schaden ihm und Frauen auf der ganzen Welt. So weit können alle mitgehen, die der Auffassung sind, dass Feminismus wünschenswert ist. Dass Männer, die sich antifeministisch verhalten, jedoch nicht nur Frauen und dem Weg hin in eine gleichberechtigte und gerechtere Gesellschaft schaden, sondern auch sich selbst, das ist wohl noch nicht allen klar.

Obwohl eine Gesellschaft, die patriarchal geprägt ist, ist zwar eine, die "grundsätzlich und ziemlich umfassend Männer begünstigt und Frauen gegenüber in der Vorteil setzt", aber das "Patriarchat ist ein Fleischwolf, durch den wir alle gedreht werden", schrieb Nils Pickert. Kurz: Patriarchale Strukturen schaden Frauen und Männern. Männer sterben in Deutschland durchschnittlich 5 Jahre früher als Frauen, leiden häufiger an Alkoholismus und Drogenmissbrauch, begehen häufiger Suizid. Denn Stereotype des "männlichen Mannes" mit traditionellen Zuschreibungen schadet Frauen, der gesamten Gesellschaft, aber auch Männern selbst. Was ihnen verwehrt bleibt, ist die Fähigkeit, eigene Emotionen und Konflikte zu verarbeiten und aufzulösen, Sozialkompetenz, Kommunikationskompetenz und eigene psychische Selbstsorge. Die Erwartung von Dominanz und Stärke übersieht all diejenigen Männer, die sie nicht leben, und führt diese sozialisierte Unfähigkeit, Probleme und immer größer werdende Konflikte sozial und emotional aufzulösen dazu, dass sie meist in Extremen enden: Aggression und eine Triade an Gewalt. Empfundene Ausweglosigkeit, Isolationsgefühle, Krankheit, Missbrauch, Zwänge Stigmatisierung und Kompensationsmechanismen.

Foto: Jana Schoop


Feministisch sein, heißt antipatriarchal sein

"Patriarchat" ist ein Begriff, der auf alltäglicher Ebene sogar noch mehr gespaltene Reaktionen hervorruft, als es das Schlagwort "Feminismus" bereits tut. "Das Patriarchat" klingt für viele nach etwas, das wie ein Herrschaft anklingt, die es doch gar nicht (mehr?) zu geben scheint. Für viele Menschen klingt Patriarchat extrem. Als Inbegriff von dem, was sie an Feminismus vielleicht ohnehin bereits kritisch sehen: Die Radikalität, die mitunter auftaucht. Die Systematisierung von Gesellschaftsstrukturen, die für manch einen an eine Verschwörungstheorie und einer inszenierten Opferpositionierung von Frauen gleich kommt, um Bevorteilungen zu erhalten.

Es gibt viele Menschen, die gewisse sexistisch zu deutende Vorfälle oder auch "Sexismus überhaupt – für ein individuelles und isoliertes Phänomen, das früher oder später ganz verschwinden werde. Sie verweisen auf die Fortschritte, die im Laufe der vergangenen hundert Jahre in Sachen Gleichberechtigung gemacht wurden. Anderen ist die Wiedergeburt des Begriffs Ausweis dafür, dass die #MeToo-Kampagne „zu weit gegangen“ sei. Sie meinen in der Verwendung des Wortes „Patriarchat“ den hysterischen Kriegsschrei [...] zu erkennen, [...] Männer zur Strecke zu bringen, die sich nichts weiter zu Schulden kommen ließen", formuliert es Charlotte Higgins. "Bei manchen skeptischen Liberalen gibt es Vorbehalte gegen die ideologischen Implikationen umfassender Erklärungsmodelle wie „Patriarchat“ (oder “Neoliberalismus”), die sie für unzulässige Vereinfachungen einer komplexen Wirklichkeit halten."

Ich sehe das bekanntermaßen nicht so. Mit vielen Männern in meinem Umfeld - Freunden, Verwandten, Bekannten und auch Fremden – bin ich schon mehrfach ins Gespräch gekommen und habe meine Bedenken, meine Haltungen und politischen Positionen hinsichtlich Feminismus und Sexismuskritik erklärt und diskutiert. Und – sieh mal einer an – in den allermeisten Fällen konnte mir mein Gegenüber zustimmen. "Du bist halt nicht so radikal", sagte mir vor einer Weile ein Freund. Aber auch das sehe ich nicht so.
Vor einigen Jahren schrieb ich für mein Studium eine Hausarbeit zum Radikal Bösen nach Immanuel Kant. Seit dem weiß ich über einige moralphilosophische Thesen hinaus auch, was Radikalität überhaupt bedeutet. Es heißt nicht, dass man ideologisch sein muss. Es heißt auch nicht, dass man mit Gegenhass reagiert und Gegenpositionen nicht ausreden lässt. "Radikal" kommt vom Lateinischen "radix" und heißt "Wurzel" oder "Ursprung" und insofern sich das auf mich anwendet lässt, bin ich es wohl doch: Ich vertrete feministische Positionen und setze mich dafür ein, weil ich Probleme aus der Wurzel heraus erkennen und langfristig auslöschen möchte. Mit der Ursache anfangen, statt Symptombekämpfung zu betreiben. Und das bedeutet, den verwurzelten Ursprung als Muster kennen.
Dieser von mir gemeinte Ursprung hat viel mit unserer Geschichte zu tun, in der in den allermeisten Kulturen der Welt patriarchale Strukturen vorherrschen. Auch hier noch. Auch jetzt noch. Ich will, dass wir unsichtbare Mechanismen besser erkennen und in ihrem Ursprung auch verstehen, sodass wir besser dagegen vorgehen können. Und den Kampf, den ich dagegen kämpfe, der richtet sich nicht gegen Männer. Viele Feministen und Feministinnen, die ich kenne, kämpfen gerade in diesem Engagement für Männer. Und ich erhoffe mir bei viel mehr Menschen die Erkenntnis, dass ein Anti-Feminismus nicht nur Feministinnen schadet, nicht nur Frauen, nicht nur dem Wunsch einer gerechten Gesellschaft, sondern auch Männern selbst.

"Hier bietet sich das Konzept des „Patriarchats“ als Erklärung für einen unsichtbaren Mechanismus an, der eine Reihe scheinbar isolierter und disparater Ereignisse miteinander verbindet. Denn er erlaubt uns die Frage zu stellen, so die Philosophin Amia Srinivasan, „ob es etwas Gemeinsames zwischen der Weinstein-Affäre, der Wahl Trumps, der Not der Näherinnen in Asien, der Landarbeiterinnen in Nordamerika und den epidemischen Vergewaltigungen in Indien gibt. Er erlaubt, die Frage zu stellen, ob eine Art Mechanismus am Werk ist, der all diese Erfahrungen miteinander verbindet.

Patriarchale Strukturen reproduzieren sich "sich endlos über diese Normen und Strukturen, die ihrem Wesen nach selbst patriarchal sind, wodurch es auf eine Art natürlich oder zwangsläufig erscheint, während es in einem liberalen Kontext von häppchenweisen Fortschritten in der Gleichberechtigung der Geschlechter verschleiert wird. Da es die Vorstellung einer Struktur von Machtbeziehungen bietet – nicht einer Reihe einzelner sexistischer Handlungen –, lässt sich im „Patriarchat“ auch berücksichtigen, dass nicht alle Männer es ausdrücklich unterstützen oder im gleichen Maße von ihm profitieren. Und dass manche Frauen auf der anderen Seite möglicherweise viel zu seiner Unterstützung beitragen. Es lässt ebenso Raum für die Tatsache, dass wir alle zwangsläufig an ihm teilhaben – ganz egal, wie sehr wir es möglicherweise verabscheuen."


Und ab dieser Erkenntnis gelingt es mir persönlich in Gesprächen immer am besten, meinem Gegenüber klar zu machen, warum mir Feminismus wichtig ist: Weil es mir nicht darum geht, Frauen zu bevorteilen und es mir auch nicht darum geht, Schuld bei Männern zu suchen und ihnen Chancen zu nehmen. Feministisch sein, heißt für mich antipatriarchal sein. Es geht mir um die freie Entfaltung unabhängig von Geschlecht, um die Freiheit von geschlechtsspezifischen Ketten, von der sehr oft und erheblich Frauen betroffen, aber auch Männer belastet sind, vielleicht ohne es aktiv zu bemerken. Ich glaube nicht an ein Hinterzimmer, in dem sich alle Männer treffen, sich verschwören und mir meine Rechte wegnehmen wollten. Ich glaube aber an historisch bedingten institutionellen und unmerklich verinnerlichten Sexismus, den ich selbst lebe und um mich herum immer und immer wieder mitkriege und der uns Möglichkeiten und Rechte raubt, die uns de jure zustehen, die wir de facto allerdings nicht erhalten oder erschwert werden, unmerklich und andauernd.


Gewalt ist männlich

Männer werden sehr viel öfter Opfer von Gewalt, wenn man Sexualdelikte ausnimmt. Der Clue: Auch der Täter ist männlich, denn ausgelebte physische Gewalt ist männlich dominiert: "Überall auf der Welt zeigen die Statistiken, dass junge Männer unter 30 besonders anfällig dafür sind, Straftaten zu begehen. Das gilt vor allem für Gewaltdelikte.


2014 stellte die Gruppe der 14- bis 30-jährigen Männer
lediglich 9,2 Prozent der Wohnbevölkerung in Deutschland,
aber 60,4 Prozent der tatverdächtigen Gewalttäter."


  • Morde, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Sexualstraftaten – alles Kriminalfälle, die die Männer in den Statistiken anführen.
  • Allein nur in Deutschland wird jeden dritten Tag (!) eine Frau von ihrem Partner getötet.
  • Über 90% Inhaftierte in Strafanstalten sind männlich.
  • Auch terroristische Anschläge und Amokläufe sind männlich dominiert: "Einer Statistik von "Mother Jones" zufolge, in der alle Schusswaffenattentate in den USA mit mehr als vier Toten seit 1982 analysiert wurden, bilden die größte Tätergruppe: weiße Männer. Insgesamt wurden nur drei der insgesamt 101 Vorfälle von Frauen (mit-)verübt."

Der Psychologe Christian Scambor vom Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark sieht die gesellschaftlichen Normen und Rollenbilder, mit denen Kinder und Jugendliche sozialisiert werden kritisch. Bereits Kinder (und immer weiter bis hin in unser jetziges Erwachsenenalter) ist man nicht Teil einer geschlechtsneutralen Welt, sondern ist stetig mit toxischen Bildern konfrontiert, so Scambro. Auf diese Weise werden schon sehr früh geschlechtsspezifisch "Werte und Verhaltensweisen verstärkt oder abgewertet." So ist die Rolle des "gewalttätigen, zornigen Mannes, der rot sieht" kulturell bedingt, anerzogen und etabliert.

"Auch Männerforscher Christoph May kritisiert die vorherrschenden Idole – neben jenen in Film und Literatur auch emotional distanzierte Elternteile. "Wir erleben Väter, die kaum Interesse für die Erziehungsarbeit aufbringen", und Söhne, die nach wie vor dazu erzogen würden, ihre Gefühle zu unterdrücken. "Von positiven, emotional integren Männerfiguren sind wir weit entfernt", beklagt May. Auch für Gerichtsgutachterin Roßmanith braucht es "gesunde Identifikationsfiguren", die sich nicht hinter "männlichen" Fassaden verstecken. Aus ihrer Arbeit erzählt sie: "Die größten Schläger auf der Straße sind, wenn man sie untersucht, hilflose Däumlinge. Dahinter steckten 'Kindsmänner', die wie in der Sandkiste agieren, wenn Kinder anderen eine Schaufel auf die Birne hauen. Ich verniedliche, aber im Grunde geht es bei Gewalttaten um solche Konflikte.""
Die gefühlte Hilflosigkeit, nicht mit (auch eigenen) Konflikten umgehen zu können, führt dazu, dass Männer häufiger dazu tendieren, mit Selbstschädigung zu reagieren.

Eine "Triade von Gewalt" nennt der kanadische Soziologe Michael Kaufmann die männliche Kompensation  von Gewalt 1. gegen Frauen, 2. gegen andere Männer und 3. gegen sich selbst.

Kaufmann schreibt patriarchalen Strukturen ein sogenanntes "Paradox der Männermacht" zu. Was er damit aufzeigt ist, dass die exakt selben "Mittel, die zur offenbar als lustvoll empfundenen männlichen Macht führten", gleichzeitig "die Quelle enormer Angst, Isolation und Leiden auch für uns Männer" darstelle, "weil machtvolles Handeln eine Art Körperpanzer und angstvolle Distanz zu anderen erfordere. Die verinnerlichten Anforderungen an Männlichkeit zu erfüllen, sei extrem anstrengend. Aus Furcht, nicht männlich genug zu sein, gerieten besonders Heranwachsende schnell "in Turbulenzen von Angst, Isolation, Ärger, Selbstbestrafung, Selbsthass und Aggression." In einem solchen emotionalen Zustand werde Gewalt zu einem Kompensationsmechanismus. Sie sei ein Weg, um das männliche Gleichgewicht zu stabilisieren. Täter wählten daher gewöhnlich ein schwächeres Opfer: Kinder, Frauen, Schwule, religiöse oder soziale Minderheiten oder Migranten."


Von Weibchen und Männchen: Zuordnung


Ich bin eine Frau. Ich habe nur die weibliche Perspektive. Weniger noch: Nur meine Perspektive. So war mein Zugang zum Feminismus und diesem Aktivismus auch aus genau dieser Perspektive zu verstehen. Ich lebte meinen Alltag und bemerkte Hindernisse. Bemerkte Urteile, die mich oder Freundinnen von mir anders trafen, als die von Freunden. Ich hörte, wie man Freundinnen als Schlampen bezeichnete, mich für friendzoning rügte und schrieb den Artikel "Über Schlampen und die Grenze der Friendzone". Ich las Statistiken über Frauen in der Arbeitswelt und war empört. Ich sah nackte Frauenkörper vor allem dann, wenn sie als Dekoration oder Werbehintergrund genutzt wurden und fragte mich in einem Artikel: Wäre ein Verbot sexistischer Werbung sinnvoll – oder bloß Symptombekämpfung? Ich war genervt von all denjenigen, die Feminismus für Rassismus instrumentalisierten und regte mich auf, und ebenso darüber, dass mein "Nein" nicht akzeptiert wird. Ich las sehr viel zum Thema und ich kenne es aus meiner alltäglichen Erfahrung, was es heißt, nicht nur als Mensch, sondern eben gezielt "als Frau" wahrgenommen und behandelt zu werden, mitsamt seiner Vor- und Nachteile. Mit mir spricht man anders als mit meinem Kollegen. Über mich spricht man anders als über den Kollegen. Man impliziert unterschiedliche Dinge. Ich werde anders behandelt und ich handele unter Umständen aus solchen Prägungen auch anders. Ich bin Frau, kenne meine Perspektive und lernte die Erwartungen kennen, die man an mich setzt, weil ich weiblich bin. Und das fand ich schrecklich. Auch weil daraus ganz schreckliche phänomenologische Konsequenzen (Hallo Altersarmut! Hallo Gewaltdelikte! Hallo Ungerechtigkeit!) folgen. Ein How-I-met-your-mother-artiges Glasklirren, das, einmal erkannt, nie mehr übersehen werden kann.


  • Was ich begriff: Erwartungen, die an mich geknüpft werden, allein aus dem Grund, weil ich weiblich bin, mach(t)en mich wütend und so war der Geist in mir geweckt, für meine Rechte zu kämpfen, für Frauenrechte, weil ich mich als Frau ungerecht behandelt fühlte. Ja, es stimmt. An mir als Frau wird in mancher Hinsicht ein ganz bestimmter Maßstab angesetzt.
  • Was ich viel später begriff: Ab dem Moment, in dem einem Geschlecht Erwartungen zukommen, in dem vermeintlich geschlechtsspezifische Fähigkeiten und Eigenschaften zugeordnet werden, ab genau dieser Sekunde passiert das auch mit dem anderen Geschlecht. Sobald an Frauen Maßstäbe gesetzt werden weil sie Frauen sind, werden ebenso welche an Männer aufgrund ihres Mannseins gelegt.

So wie ich männliche Bekannte habe, die mir erklärten, dass sie nur zierliche Frauen daten, kenne ich auch Frauen, für die es nie denkbar wäre, einen Partner zu haben, der kleiner sei als sie. Archaisch Hinterlassenschaften des beschützenswerten, sexuell "reinen" Frauen- und des starken, beschützenden Männerideals. Wie auch das wohl in erster Instanz offensichtlichstes physisches Merkmal, ist auch das Verhältnis und die Erfahrung zu Sexualität eines, das auf Frauen und Männer unterschiedlich zugeschrieben ist. Der Mann sollte traditionell nicht nur derjenige sein, der schützt, der Stärke beweist, der für die Frau sorgen kann. Er ist auch derjenige, bei dem sexuelle Erfahrung als positiv und sogar als notwendig als Beweis von Männlichkeit wahrgenommen wird. Der Druck auf heranwachsende Männer, bereits im jungen Alter möglichst sexuell erfahren zu sein, findet in Popkultur (und leider aus dem Mund des amerikanischen Präsidenten) seine Verbildlichung im "Locker Room Talk". Und tatsächlich: Erst in Gesprächen mit einigen meiner männlichen Freunde erfahre ich, wie auch sie das erfahren haben. Jugendlich sein, männlich sein und "noch keine Freundin gehabt haben" oder noch schlimmer: "Noch nie Sex gehabt zu haben" ist etwas, was mit Peinlichkeit einhergeht. Anerkennung in der Gruppe und Chancen bei Mädchen zu haben, ein Druck, den junge Männer vermutlich stärker erfahren als junge Mädchen. All meine Freunde sind viel zu klug für sowas Idiotisches wie Locker Room Talk, dachte ich. Dass sie schon seit Ewigkeiten damit konfrontiert sind, hatte ich nicht auf dem Schirm. Nur eines von sehr vielen Beispielen.

Männer unterliegen genauso geschlechtsspezifischen Erwartungen, wie es bei Frauen der Fall ist. Das Trostpflaster ist lediglich, dass an Männer die weniger unterwürfigen Erwartungen herangetreten werden. Von "Glück im Unglück" kann man jedoch dennoch nicht sprechen, denn das Ideal toxischer Männlichkeit verlangt vor allem Risikobereitschaft, Dominanz und  Belastungsvermögen. Alles Bereiche, die schließlich auch dazu führen, dass Männer nicht nur die gefährlicheren Jobs, sie werden häufiger Opfer von Gewalt (von anderen Männern) und sehr gravierend: Männer sterben früher.


Die "Männlichkeit" der Männer - Weiblichsein als Beleidigung

Zeigt ein Mann Vorlieben, Interessen oder Charakteristika, die man eher Frauen zuschreibt, erntet er nicht selten Häme oder Verurteilung. Sei das Barbara Schöneberger, die verkündet, Männer dürfen sich nicht schminken, weil es irgendwann doch auch mal reichen müsste und "Männer Männer bleiben sollten". Sei es ein Harvey Spector, der als "Mädchen" bezeichnet wird, wenn er zögert oder Unsicherheit zeigt und dies auch selbst als Beleidigung genutzt wird oder sei es die Regenbogenpresse in Großbritannien, die sich darüber lustig macht, dass Prinz George Ballett Unterricht nimmt.

Gerade unter pubertären Jungs funktionieren Beleidigungen insbesondere dann gut, wenn die Männlichkeit des Anderen infrage gestellt wird -
die Möglichkeit von Weiblichkeit als symbolische Kastration.

Wann ist ein Mann ein Mann, ist eine Frage, die um sich selbst kreist und zu keiner Antwort kommt. Durch Balletttanzen wird er es nicht. Durch Fußballgucken und Biertrinken vollzieht sich die Mannwerdung aber eben auch nicht. Die Vorstellung von dem, was als männlich gilt, veränderte sich zudem mit den Jahrzehnten und Jahrhunderten und ist zutiefst in kulturelle Tradierung eingebettet. Die Farbe Rosa, sowie Schminke, hohe Schuhe und Schauspielkunst war lange Zeit historisch nur den Männern in der Gesellschaft vorbehalten, während sie heute als Inbegriff dessen gelten, was "Frauendinge" zu sein scheinen.

Ich wage es, die These aufzustellen, dass es im Vergleich weniger schlimm wahrgenommen wird, als Frau als "unweiblich" bezeichnet zu werden, als es den jungen Mann trifft, der als "unmännlich" gilt. Aussprüche wie "Fight like a girl" oder eine "Pussy sein" werden von Männern und Frauen herablassend benutzt. Was zeigt uns das? Einerseits, dass in die zwei Kategorien von Männlich- und Weiblichkeit unterschieden wird. Dann, dass beiden verschiedene Attribute zugeordnet werden. Implizit also auch, dass man "wirklich" männlich oder ein "echter" Mann nicht per se und durch Geburt oder Identifikation ist, sondern durch ein Abhaken einer Liste von Eigenschaften, die einen dazu macht. (Wobei ich mich dann frage, was derjenige ist, der kein "echter" Mann ist. Wie würde man das nennen?) Was es außerdem zeigt: Wenn die Bezeichnung der Weiblichkeit (unter Männern sowieso, teilweise aber auch unter Frauen) als Beleidigung zu verstehen ist, ist dem Männlichsein irgendein Eigenwert zugeordnet, dem Weiblichsein etwas Geringeres.
Was liegt diesem Ungleichgewicht zugrunde? In dem Moment, in dem Männlichkeit Stärke bedeutet und Weiblichkeit der Antagonist des Männlichen ist, wird die Bedeutung von Weiblichkeit als Schwäche interpretiert. Weiblichsein ist etwas, das mehr mit Sanftheit verbunden wird, als Männlichkeit. Wer als Mann nicht stereotyp "männlich" ist, sei "schwul" oder "ein Mädchen", was seltsamerweise Beleidigungen sein sollen. Erwartet wird nämlich Stärke, nicht Einfühlungs- oder Sozialvermögen oder Empathie. Dabei sind das die Fähigkeiten, die Menschen dazu bringen, bessere Eltern zu sein, bessere Freunde zu sein, bessere Sorge-, Fürsorge und Selbstsorgearbeit leisten zu können. Die Abwertung von Männlichkeit durch Attribute des zugeschrieben Weiblichen funktionieren durch patriarchale Strukturen, die "untrennbar mit Macht und Herrschaft verbunden" sind, "mit Werten wie Überlegenheit, Härte und Kampfbereitschaft, Durchsetzungs- und Leistungswillen."


Mit Geschlechterrollen sind wir seit wir Kinder sind konfrontiert. Jedem Elternteil oder jedem, der mal Kinder haben möchte und auch jedem, der sich mit der Absurdität dieser Thematik beschäftigen will, dem empfehle ich das Buch "Rosa-Hellblau-Falle", das aufzeigt, wie bereits im Säuglingsalter (!) anders mit Kindern umgegangen wird und welche Folgen es haben kann, dass wir in die Kategorien der empathischen hübschen Prinzessinnen in Kleidchen und der mutigen, wilden Piraten unterteilen. Auch Aktionen wie der Girls' Day und der Boys' Day an Schulen und das wunderschöne Kindrbuchprojekt "Good Night Stories for Rebel Girls" und "Stories for Boys Who Dare to Be Different" setzten sich das Aufbrechen von Stereotypen zum Ziel.

Lena Gorelik schrieb den vieldiskutierten Artikel "Der rosarote Junge" von ihrem Sohn, der beschließt, im Kleid zur Schule gehen zu wollen. Ein Schritt, ein Selbstbewusstsein, das die Autorin bewundernswert findet und in ihrer Rolle als Mutter auch stolz macht: "Er will im Kleid gehen, und ich habe das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Ein kleiner Mensch, der groß ist, weil er weiß, wer er ist, der dazu steht und dem die eigene Meinung wichtiger ist als das, was die anderen über ihn denken könnten." Doch neben dem Gefühl von Stolz ist da im Bewusstsein gesellschaftlich vorherrschender Konventionen auch Angst.

"Und es ist diesmal nicht diese für Eltern handelsübliche Was-wenn-Angst: Was, wenn er von dem Klettergerüst fliegt? Was, wenn sie keine Freunde findet? Was, wenn er das Seepferdchen nicht schafft? Diese Angst fußt auf konkretem Wissen:
Er wird ausgelacht werden. Er wird gehänselt werden. Es wird heute passieren, während ich nicht dabei sein werde. Marmeladenverschmierte Finger, die auf ihn zeigen, das Geräusch, das entsteht, wenn man durch den Schulflur läuft und die anderen über einen tuscheln. Das ge­hässige Lachen, in das alle einstimmen und das man nie vergisst. Man vergisst so vieles später über die Kindheit, aber das nie: wie sich zum ersten Mal eine Masse bildete, zu der man selbst nicht gehörte. Meinem Kind steht bevor, was man ihm unbedingt ersparen will. Und mein Sohn läuft bewusst und wissend hinein."

Ein Artikel, der nicht optimistisch, sondern fast etwas resignierend endet und mich zum Nachdenken gebracht hat. Über das, was Kinder in einem so jungen Alter durchmachen könnten und müssen, nur aufgrund einer Nichtanpassung binär engstirniger Zuordnungen. Und wie andere Kinder es stützen und es anderen Kindern unfassbar schwer machen, in ihnen Gefühle von Nichtzugehörigkeit oder Demütigung auslösen, die ein Leben lang verfolgen werden – und das all diese Kinder noch gar nicht verstehen, was da gerade passiert. Auch wir nicht. Dabei sind wir doch die Erwachsenen. Sollten wir es nicht besser wissen?


Männer sterben  5 Jahre früher

Die reale Brisanz von Folgen stereotyper toxischer Männlichkeit lässt sich vor allem an dieser Statistik zeigen: Männer sterben in Deutschland durchschnittlich rund fünf Jahre früher als Frauen.  Biologisch genetische Gründe hat das nur zu einem verschwindend geringem Anteil. In Frankreich leben Frauen acht Jahre länger in Russland sogar ganze zehn bis dreizehn Jahre. Studien in Klostern – abseits stereotyp performter Ideale von Männlich- und Weiblichkeit – zeigen eine fast komplette Angleichung der Lebenserwartung bei Mönchen und Nonnen.

  • Männer haben in Deutschland eine um 5 Jahre geringere Lebenserwartung als Frauen. In fast allen Altersgruppen ist der Anteil der verstorbenen Männer größer als der der Frauen. So sterben in den Altersgruppen von 15 bis 75 Jahren doppelt so viele Männer wie Frauen.

"Dies belegt eine Studie, für die die Sterbedaten von Nonnen und Mönchen verglichen wurden. Während sich die Lebenserwartung der Nonnen genauso entwickelt wie die der Allgemeinbevölkerung, leben Mönche fünf Jahre länger als Männer außerhalb von Klöstern. Ihre Lebenserwartung ist lediglich ein bis zwei Jahre geringer als die von Nonnen.
Klotz zog hieraus den Schluss, dass die biologische und genetische Disposition dafür sorgt, dass Frauen im Durchschnitt gerade einmal ein Jahr länger leben würden als Männer. Doch warum sterben diese im Durchschnitt fünf Jahre früher? Erklärungen sind scheinbar schnell gefunden: Männer essen ungesünder, rauchen häufiger und nehmen Vorsorgeuntersuchungen seltener wahr als Frauen."


Die Stiftung für Männergesundheit beschreibt es wie folgt:

"Männer leiden fast doppelt so oft unter..
  • Krankheiten des Kreislaufsystems (v.a. ischämische Herzkrankheiten),
  • psychischen Störungen,
  • Krankheiten des Verdauungssystems (alkoholische Leberkrankheiten),
  • Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (Diabetes mellitus),
  • einigen Tumoren (z.B. Lungenkrebs, Krebs der Verdauungsorgane).
  • Auch Unfälle und Suizide kommen bei Männern weitaus häufiger vor. Viele der Todesursachen werden durch ein riskantes Gesundheitsverhalten mit beeinflusst.
Biologisch lässt sich die geringere Lebenserwartung nicht erklären. Es sind vielmehr die Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Lebensstil, in den sozialen Rollen aber auch in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die hierfür entscheidend sind."

Das Schweigen der Männer.

"Indianer und Männer haben gemeinsam, dass sie keinen Schmerz kennen und nicht weinen." Wie viel Problematik in dieser Annahme steckt, müsste man bei anderer Gelegenheit nochmal genauer analysieren. Hier nun aber rein zur Repression von Schmerz: "Tapferkeit" wird das dann genannt. Dasjenige, was als männlich erzogen und bestimmt wird, erschwert es Jungen über Probleme zu sprechen, ein Gefühl für Sozialsituationen zu entwickeln, Empfindungen zu kommunizieren und für sich selbst zu sorgen. Bloß nicht versagen. Bloß nicht Opfer sein. Bloß nicht zum Arzt.
"Männern wird beigebracht, sich nicht auf der Gefühlsebene auszutauschen. Diese Entlastung fehlt ihnen oft“, erklärt Psychologe Björn Süfke. Eine klassische traditionelle Sozialisation sieht bei Männern kein Gefühlsleben vor. Sie sind wie Maschinen, angetrieben von Ehrgeiz, Motivation, von Trieben oder kräftigen Impulsen. Das bleibt jedoch nicht folgenlos, denn wer kein Bewusstsein über seine Gefühle hat und nie gelernt hat, sich über sie auszutauschen, "hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, körperlich und psychisch krank zu werden." Das kontraproduktive Paradox: Nicht über Gefühle zu reden und sie nicht zu zeigen, macht vielleicht in einer Außenwirkung vermeintlich "stark", tatsächlich schwächt es die eigene Psyche enorm. Wenn Männer nur dann als Männer gelten, wenn sie besonders "stark" sind und keine "Schwächen" zeigen, wie soll dann ein Mann, der als männlich gelten will, zugeben, dass er aufgrund dieses Drucks "stark sein zu müssen" leidet? Ein Teufelskreis.
"Etwas mit sich selbst ausmachen wollen", ist ein verbreitetes Phänomen, das, so Süfke, jedoch meist wenig mit der Realität  zu tun habe: "Ehrlicherweise heißt das meistens, dass er sich gar nicht damit beschäftigt. Im schlimmsten Fall säuft er die Probleme sogar weg." Der Brite Jack Urwin beschrieb dies in seinem Buch "Boys don’t cry" am Beispiel seines Vaters, der mit 51 an einem Herzinfarkt starb. In dem Buch beschreibt Urwin dass sein Vater nie einen Arzt aufgesucht hatte und stattdessen versuchte, Schmerzen und Sorgen wegzutrinken.


psychische Erkrankung wird stigmatisiert

Toxische Männlichkeit ist nicht nur etwas, das diesen Titel aufgrund seiner Schädlichkeit für die Gesellschaft zurecht trägt, sondern vergiftet es in erster Instanz auch denjenigen, der es lebt. Ein Grund, warum es über den Internationalen Männertag im November auch den Weltmännertag als Aktionstag zur Männergesundheit gibt. Gesundheitsbewusstsein und Achtung vor der eigenen Gesundheit wird von Männern größflächig vernachlässigt.
Während Frauen öfter TherapeutInnen und ÄrztInnen aufsuchen, fällt es Männern schwerer, dies als Notwendigkeit oder Abseits ihrer Identität zu tun:

Der Stolz, etwas wie medizinische Hilfe nicht nötig zu haben oder das alleine hinzukriegen oder gar mit Stolz zu ertragen, um die eigene Belastbarkeit zu präsentieren, ist im kleinen Rahmen vielleicht noch witzig, übertragen auf die Statistiken ist es jedoch vor allem das, was Männer früher sterben lässt.

"Einen Mann müsse man zu Beginn fast beruhigen, dass es keine Schande sei, psychische Probleme zu haben", so Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Sigrun Roßmanith. Psychische Erkrankungen sind generell tabuisiert und der Effekt dieser Problematik wird noch durch die Spirale verstärkt, in der sich viele Männer wiederfinden: Traurigkeit, Trauer, Angst, Emotionalität werden ihnen als invalide oder unmännlich abgesprochen, unter den Teppich gekehrt und weniger toleriert, als es bei Frauen getan wird. Dabei zeigen diverse Statistiken inwiefern allein die Anerkennung von Problemen und Krankheitsbildern und Gespräche darüber wesentliche positive Verbesserungen an Symptomen hervorrufen. Mit dem Bild davon, was als männlich akzeptabel gilt, töten wir Menschen. Denn daraus resultiert auch das folgende:

Männer begehen häufiger Suizid

Die Suizidquote von Männern ist in Deutschland über doppelt so hoch wie die von Frauen Einerseits kann dies auf fehlende Behandlung durch Stigmatisierung psychischer Leiden und Erkrankungen zurückgeführt werden, andererseits auch auf brutalere Methoden der Selbsttötung, dass diese öfter auch wirklich zum Tod führen.
Ein prominentes und tragisches Beispiel ist der 2009 verstorbene Fußball-Nationaltorwart Robert Enke. Die nach ihm benannte Robert-Enke-Stiftung mit Teresa Enke als Vorstandsvorsitzenden nimmt sich u.a. als Ziel, die Aufklärung sowie Einrichtungen zur Bekämpfung und Behandlung von Depressionen und psychischen Erkrankungen zu fördern.


Das Tabu des männlichen Opfers von Fremdgewalt

Gewalt unter Männern ist normalisiert. Der durchschnittliche Bürger hält es für gar nicht mal erwähnenswert, vielleicht nachvollziehbar oder gar bewundernswert, wenn sich zwei Schüler prügeln oder ein erwachsener Mann in Szenarien des Betrugs und Ehebruchs damit droht einen anderen "Auf die Fresse zu hauen". Und das hinterfragt insbesondere bei zivilisierten Erwachsenen keiner? Ich glaube durchaus, dass die Reaktionen anders aussehen, wenn ich nun verkünden würde, das tun zu wollen. Kampf, Mut, Dominanz. Männlich? Gewalt wird aber vor allem dann thematisiert, wenn man als Gewinner aus der Situation herausgegangen ist oder in irgendeiner Form Tapferkeit als Medaille vor sich her tragen kann. Wohingegen männliche Opfer von Gewalt noch immer in der Mehrheit schweigen: 

  • "Die am meisten verschwiegene und verleugnete Form von Gewalt ist sexuelle Gewalt von Männern gegen Männer. In den USA sind bis zu einem Fünftel der männlichen Häftlinge sexuellen Gewaltakten ausgesetzt. In iranischen Gefängnissen wurden nach den Unruhen von 2009 verhaftete Demonstranten vergewaltigt. Eine repräsentative anonyme Befragung in Südafrika brachte zutage, dass fast drei Prozent aller Vergewaltiger sich auch an ihrem Geschlecht vergangen hatten und zehn Prozent aller Männer bereits Opfer von sexueller Gewalt geworden waren. In zahllosen Kriegen kam es zu Vergewaltigungen männlicher Opfer, in der Demokratischen Republik Kongo ebenso wie in Ex-Jugoslawien.
    Doch systematische Studien über das Ausmaß scheitern am Schweigen der Opfer. Das sei "das Tabu des Tabus", sagt die Sozialwissenschaftlerin Dubravka Zarkov, die zu Vergewaltigungen von Männern in den Balkankriegen geforscht hat. Nichts sei für das Patriarchat bedrohlicher zu thematisieren als die Vergewaltigung von Männern durch Männer, glaubt auch Yakin Ertürk, die frühere UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen. Denn diese zerstöre den Mythos von der männlichen Wehrhaftigkeit. Opfer zu sein gilt als "unmännlich"."

Auch zu empfehlen ist dieser Artikel von Dave Philipps aus der New York Times aus diesem September:
  • Über sexuellen Missbrauch im Militär.

  • More than 100,000 men have been sexually assaulted in the military in recent decades.
    Shame and stigma kept the vast majority from coming forward to report the attacks.
    Six men are speaking out to break the silence.

Photography: Mary F. Calvert

Alkoholismus und Drogenmissbrauch sind männlich

Was auch als Folge des fehlenden Emotionsmanagements, der Verdrängung psychischer Lasten, sowie in Zusammenhang mit Versagensangst, Gewalt gegen sich selbst und die Kompensionsverhalten gesehen werden muss: Männer wenden häufiger Gewalt an, Männer weisen ein höheres Risikoverhalten auf, töten sich häufiger selbst, sterben häufiger an Krebs und auch an Alkoholismus und Drogenmissbrauch als Frauen.

  • 80% aller Suchtkranken in Deutschland
  • und über 70% der Alkoholabhängigen in Österreich sind männlich.



Warum Männer sich nicht ausreichend mit Feminismus identifizieren


Im Wort Patriarchat steckt die Väterherrschaft. Etwas, das Männern Macht zuschreibt und etwas, das in der Kritik ebendieser ihnen auch vermeintlich die Schuld am Ungleichgewicht gibt. Im Wort Feminismus steckt feminin und ist damit etwas, womit sich Männer nicht identifizieren und vielleicht sogar niemals identifizieren wollen. Wie sich entsprechend der bisherigen Zahlen jedoch gezeigt hat, ist Feminismus und die Bewegung entgegen patriarchale Strukturen aber keineswegs eine, die nur Frauen dient, sondern gleichermaßen alle Geschlechter von dem bewahren will, wozu sie durch Sozialisation gedrängt werden.
Feminismus ist kein Wettbewerb und ich kann von der massiven Diskriminierung von Frauen sprechen, aber auch nicht unerwähnt lassen, dass es Männer gibt, die unter bisherigen sexistischen Gesellschaftsstrukturen leiden.

"Dem größten Teil der Männer trägt das Patriarchat also mehr Nachteile als Vorteile ein.
Und dennoch wehrt sich kaum ein Mann dagegen. Warum?"

fragt sich Ute Scheup. Sie sieht als Grund dafür die "ganz normalen Männerseilschaften in Politik, Wirtschaft und Militär, die dafür sorgen, dass die Quote erhalten bleibt - die Männerquote, die in Spitzenpositionen regelmäßig zwischen neunzig und hundert Prozent liegt. Viele dieser Männer sehen sich nicht als Frauenfeinde [...]. Sie wollen in ihren Machtgefilden bloß nicht von Frauen gestört werden. Diese Herren an der Spitze sind die einzigen echten Nutznießer des Patriarchats. In diesem stark hierarchisierten System stehen nur wenige Sieger ganz oben, dafür aber gibt es sehr viele Verlierer. Doch die Sieger haben es gar nicht nötig, Werbung in eigener Sache zu machen - sie stellen die patriarchalischen Strukturen einfach durch ihr Handeln ständig (wieder) her. Und weil sie so erfolgreich sind, glauben unzählige Männer, patriarchalische Macht sei unglaublich attraktiv, sie müssten ihnen nacheifern, sie müssten genauso werden, genauso "stark", "unabhängig", "autonom" und "durchsetzungsfähig". Damit gelingt es dieser Lobby von Topmachos, ein für die große Mehrheit der Gesellschaft völlig kontraproduktives Rollenbild aufrechtzuhalten, ohne einen Cent für PR ausgeben zu müssen."

Ein Grund, warum ich fiktive Figuren wie Chuck Bass in Gossip Girl oder Harvey Spector in Suits (mal ganz abgesehen von Lächerlichkeiten wie Christian Grey in 50 Shades of Grey) noch so interessant in ihrer Entwicklung finden kann, aber immer nur mit Unwohlsein beobachte, während ich die Serien schaue, weil sie genau das Bild des neoliberalen, chauvinistischen und extrem stereotyp männlicher Alphatiere leben. Sie sind die (irrealen) Gewinner des Systems, das ihre Heroisierung noch verfestigt. 

HeForShe – Feminismus mit und von Männern

HeForShe ist eine Kampagne von UN Women, der Tochterorganisation der Vereinten Nationen zur weltweiten Gleichstellung von Männern und Frauen. Vielen ist die Solidaritätskampagne vielleicht auch deswegen ein Begriff, weil sie von Aktivistin und Schauspielerin Emma Watson (die wir alle vollkommen zu recht lieben!) als Ambassador und UN-Sonderbotschafterin 2014 gelauncht wurde.
"Ich habe erkannt, dass viel zu oft das Kämpfen für Frauenrecht mit dem Hass auf Männer gleichgesetzt wird. Wenn es etwas gibt, dass ich weiß, dann, dass das aufhören muss", sprach Watson vor den Vereinten Nationen. "Sowohl Männer als auch Frauen sollten sich sensibel fühlen dürfen, sowohl Männer als auch Frauen sollten sich stark fühlen dürfen."
Die Frauenrechtsbewegung und der Feminismus sind ursprünglich ein Kampf von Frauen für Frauen. Hinter der Kampagne steht jedoch das Konzept, auch und gerade Männer zu ermutigen, sich ebenso solidarisch zu zeigen und aktiv den Wandel hin zu verwirklichter Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung zu ebnen. In Deutschland wird HeForShe von UN Women Nationales Komitee Deutschland e.V. koordiniert, Botschafter sind hier Psychologe Gerhard Hafner, Aktivist Robert Franken, sowie das Aktivistenteam Herr & Speer, bestehend aus Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer.





Männer und Feminismus


Männlichkeit ist nicht die Ursache von Gewalt, von Unterdrückung, von Patriarchat generell oder all den grauenvollen Statistiken, die man dazu lesen kann. Männer und Feminismus passen aus diesem Grund eigentlich sehr gut zusammen. Ein toxisches Ideal von Männlichkeit, das auf Herrschaft, Dominanz, Gewalt und dem Mangel an Sozialbewusstsein beruht, das ist schon eher eine Ursache. Genau diese Art der Sozialisation ist es, die patriarchale Strukturen reproduziert und aufrecht erhält, solange wir sie nicht gemeinsam betrachten. Was zu brechen ist, ist der Zwang toxischer Geschlechtszwänge, unter dem alle leiden und der eine gleichberechtigte Gesellschaft für Frauen und auch für Männer unmöglich macht. Patriarchat und Sexismus kann auch Männern schaden und tut es täglich. Dass Männer es deswegen ebenso bekämpfen sollten, sollte allerdings nicht nur dadurch motiviert sein. Denn wen all die genannten Statistiken traurig machen oder erschrecken, der sollte es mal wagen, in diejenigen zu schauen, die Frauen betreffen. Welche Gräueltaten und Femizide weltweit noch immer stattfinden (übrigens nicht nur in irgendwelchen fremden "vermeintlich rückständigen Ländern", sondern auch hier) und welche gerechtigkeitsrelevanten und politischen Ungleichheiten nahezu akzeptiert werden. Nike van Dinther schrieb dazu mal:

"Und nein, Männlichkeit ist ganz bestimmt keine Ursache von Gewalt, aber eben auch nicht weniger als eine gute Grundvoraussetzung für das Anwenden ebenjener. Solange wir diese Tatsache jedoch immer wieder unter den Tisch kehren müssen, um niemandem auf den Schlips zu treten, solange wir Frauen dazu aufgerufen werden, auf unsere Drinks zu achten, statt die eigentlichen Täter zu adressieren und solange uns geraten wird, nicht allein zu verreisen oder ohne Begleitung im Dunklen nach Hause zu gehen, solange wir gefälligst darauf achten sollen, nicht zu viel Haut zu zeigen und all das nicht ebenso für all unsere männlichen Freunde gilt, wäre es doch der reinste Irrsinn zu behaupten, die Pandemie der Gewalt sei keine Frage des Geschlechts. Das ist sie. Noch. Wenn das langsam auch genau die Männer begreifen, die sich gerade so sehr vor uns Feministinnen fürchten, stehen die Chancen für eine Zukunft, in der wir irgendwann einmal nicht mal mehr das sondern nur noch Menschen sind, aber vielleicht gar nicht so schlecht."

Und weil diese Machtstrukturen im öffentlichen Diskurs, im beruflichen und sozialen Umfeld vorliegen, tragen Männer eine besondere Verantwortung in der Bewegung von Geschlechtergerechtigkeit. Geschlechtergerechtigkeit ist etwas, von der alle Geschlechter profitieren. Also müssen auch Männer Teil der Lösung sein. Aufgabe von Männern, die in einem System aufwachsen, in dem sie in vielerlei Ebenen bevorteilt werden ist es, diese Machtposition zu nutzen, um Strukturen zu ändern. 

In einer Gesellschaft, in der Ungerechtigkeit, Ungleichbehandlung und Erwartungshaltungen vorherrschen verliert jeder und jede. Jeder mit weiblichem, mit männlichem oder einem ganz anderen oder gar keinem Geschlecht. Geschlechtergerechtigkeit kann nur verwirklicht werden, wenn man im ersten Schritt die Effekte und Probleme von Menschen und Menschengruppen anerkennt. Vor allem aber auch dann, wenn Geschlechter nicht gegeneinander ausgespielt werden. Männer werden ebenso wie Frauen in ein patriarchales System hineingeboren, aber sind nicht per se patriarchal. Frauen und Männer und darüber hinaus auch andere Geschlechter sind "per se" gar nichts und das sollten wir verinnerlichen, weil es uns, mich, dich und jeden anderen und jede andere, erst dann darin befreit, auch alles sein zu können, was wir wollen.






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Einige Artikel Verweise und Buchempfehlungen:

- Bundesministerium für Gesundheit: Früherkennung und Vorsorge: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/frueherkennung-vorsorge/maennergesundheit.html
- Männergesundheitsportal: https://www.maennergesundheitsportal.de/

- Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/134499/Maennergesundheit-Maenner-leben-gefaehrlicher 
- Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/9625/Maennergesundheit-und-Lebenserwartung-Der-fruehe-Tod-des-starken-Geschlechts
- Spiegel Gesundheitsbericht: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/maennergesundheitsbericht-aerzte-ignorieren-psychisches-leid-der-maenner-a-896116.html

- Charlotte Higgins: Das Zeitalter des Patriarchats

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