Bundestagswahl 2021 | Weshalb der Umstieg auf ein TV-Triell inkonsequent ist

  In einer Pressemitteilung vom 12. Mai 20211 gab das ZDF bekannt, dass aus dem gewohnten TV-Duell, dass wir normalerweise vor Bundestagswah...

 

In einer Pressemitteilung vom 12. Mai 20211 gab das ZDF bekannt, dass aus dem gewohnten TV-Duell, dass wir normalerweise vor Bundestagswahlen erleben, in diesem Jahr zum ersten Mal auf Bundesebene ein „TV-Triell“ wird. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl, am 12. September, werden Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Armin Laschet (CDU/CSU) und Olaf Scholz (SPD) in dem von ARD und ZDF live ausgestrahlten Format aufeinander treffen und den Schlussspurt des Wahlkampfes einläuten.

Üblicherweise gab es immer ein TV-Duell, an dem die Kanzlerkandidat:innen von CDU/CSU und SPD teilnahmen, und an einem der darauffolgenden Tage wurde den übrigen Parteien, die wahrscheinlich in den Bundestag einziehen würden, in einem sogenannten „Vierkampf“ oder „Fünfkampf“ die Möglichkeit geboten, ihre jeweiligen Positionen darzustellen und miteinander zu diskutieren. Hierzu gehörte auch ein Kandidat der CSU, da diese formal als eigene Partei antritt und somit nicht im TV-Duell vertreten war. Dieses zweite Format fand allerdings stets ohne Vertreter der Parteien statt, die zuvor im TV-Duell vertreten waren. Dieses Vorgehen erhöhte einerseits die Vergleichbarkeit der beiden Kanzlerkandidat:innen, andererseits hatten die Vertreter kleinerer Parteien nicht die Möglichkeit, sich mit den „großen“ Kanzlerkandidat:innen zu messen.


Da es nun drei Kanzlerkandidat:innen gibt, scheint der Schritt, von einem Duell auf ein „Triell“ zu wechseln, zunächst logisch. Dass bisher immer die Kanzlerkandidat:innen von Union und SPD am „großen“ TV-Duell und die übrigen Parteien am Vier- oder Fünfkampf teilnahmen beruhte allerdings nicht auf Bekanntheit oder Mitgliederzahlen der Parteien, sondern lediglich darauf, dass diese in Umfragen bisher immer die aussichtsreichsten Kandidat:innen für das Kanzleramt waren und es der Natur eines Duells entspricht, eben diese aussichtsreichen Kandidaten gegeneinander antreten zu lassen.

Gegen diese Praxis hat der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle vor der Bundestagswahl 2002 eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, da er in dieser Praxis die Chancengleichheit der Parteien gefährdet sah und für seine Partei ebenfalls am TV-Duell teilnehmen wollte. Die Beschwerde wurde mit der Begründung abgewiesen, dass das Konzept der Sendung sei, jene Politiker einander gegenüberzustellen, „die allein ernsthaft damit rechnen können, zum Bundeskanzler gewählt zu werden.“ Dies traf auf die FDP bei damaligen Umfragewerten von ca. 7% nicht zu. 



Innerhalb der letzten vier Jahre haben sich die politischen Kräfteverhältnisse gewandelt. In einer am 21. Mai veröffentlichten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF lagen die Grünen mit 25% vor der Union mit 24%, die SPD kam lediglich auf 15% und die FDP auf 11%. Anfang Juni hat Meinungsforschungsinstitut Forsa SPD und FDP sogar beide auf 14% gesehen. Die neuste Erhebung von Infratest dimap sieht wiederrum die Unionsparteien mit 28% in Führung, gefolgt von den Grünen mit 20%, während die SPD bei 15% steht. Dies zeigt zwar einerseits, wie volatil dieser Wahlkampf ist, zumindest im Kampf zwischen Union und Grünen. Aber es zeigt auch, dass die SPD seit Monaten kaum von der Stelle kommt.

Dennoch wird Olaf Scholz als Kanzlerkandidat der SPD zumindest nach heutigem Stand am „TV-Triell“ teilnehmen. Diese Entscheidung kann und sollte man gleich aus mehreren Gründen hinterfragen. Wenn sich die Fernsehanstalten dafür entscheiden, eine große und eine kleine Debatte zu veranstalten (was auch nicht in Stein gemeißelt ist) und damit die bisherigen Traditionen bei Bundestagswahlen beibehält, wäre es dann nicht auch geboten, dass jedes Mal mit gleichen Maßstäben gemessen wird?


Es wäre in der Tat konsequent, auf ein „Triell“ umzustellen, wenn alle drei vergleichbare Chancen auf die Kanzlerschaft hätten. Dies scheint 2021 allerdings nicht der Fall zu sein.


Mit Blick auf die Werte der Union und der Grünen stehen die Chancen der SPD, mit 15% oder weniger in irgendeiner Koalition die größte Partei zu sein und damit den Regierungschef stellen zu können, äußerst schlecht. Letztlich ist sie näher an der FDP als an der Union und damit weit weg von dem Anspruch, den eine Kanzlerkandidatur vermuten lässt. Und da es eben nicht um die Chancen geht, nur Teil der nächsten Regierung zu sein, sondern um die Chancen, diese anzuführen, liegt der Schluss nahe, dass Olaf Scholz nicht mit Armin Laschet und Annalena Baerbock debattieren und dementsprechend an der Debatte der verbleibenden, weniger aussichtsreichen Spitzenkandidierenden teilnehmen sollte.



Nun könnte man den Eindruck gewinnen, hier würde Haarspalterei betrieben. Aber letztlich geht es hier um Fairness, und zwar sowohl bezogen auf vergangene Wahlen als auch mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl.


Klar: Olaf Scholz ist Kanzlerkandidat. Aber aus dieser rechtlich nicht existenten Bezeichnung darf sich kein unbedingter Anspruch auf die Teilnahme an der „großen“ der beiden Debatten ableiten. Wenn die FDP morgen aus irgendwelchen Gründen plötzlich Christian Lindner statt Spitzenkandidaten „Kanzlerkandidaten“ nennt, mit welcher Begründung sollte man ihm die Teilnahme an diesem Format verweigern, gerade im Lichte der Forsa-Umfrage? Fehlende „Kanzlerperspektive“ kann es nicht sein.


Aber die Entscheidung für ein „Triell“ hätte auch noch Konsequenzen, die weit über Bundestagswahlen hinaus reichen. Auch vor Landtagswahlen finden in den meisten Bundesländern TV-Duelle statt, deren Teilnehmer ebenso wie bei vergangenen Bundestagswahlen nach den besten „Kanzlerperspektiven“ ausgesucht werden. In vielen östlichen Bundesländern ist die AfD sehr stark, teilweise führt sie sogar die Umfragen an. Zu TV-Duellen war sie bisher nicht eingeladen. Impliziter Grund hierfür war die fehlende Machtperspektive, da die AfD von keiner der anderen Parteien ernsthaft als Koalitionspartner in Betracht gezogen wird. Weil eine Abweichung von den bisherigen Auswahlkriterien auf Bundesebene aber immer auch eine Signalwirkung für die Länderebene hat, wäre es auch hier nicht verwunderlich, wenn die AfD-Funktionäre auf ihre Teilnahme an einem TV-Duell bestehen würden, da die Machtperspektive als Kriterium für die Teilnahme an TV-Duellen durch die Entscheidung für ein „Triell“ auf Bundesebene praktisch abgeschafft wird. 

Wenn man also als TV-Sender weiterhin an dem Konzept festhalten möchte, nur bestimmte Parteien in einer Sendung einander gegenüberzustellen – wofür es durchaus legitime Gründe geben mag – dann ergeben sich für die Verantwortlichen zwei Optionen:


Entweder, sie laden die AfD auch ein und führen somit die Idee des Aufeinandertreffens der aussichtsreichsten Kandidaten ad absurdum.


Oder aber sie laden die AfD nicht ein und bieten dadurch unbedrängterweise große Angriffsfläche für eine Partei, aus deren populistischem Programm die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohnehin kaum wegzudenken ist.


Letztlich verlieren durch ein „Triell“ also alle Beteiligten. ARD und ZDF verlieren an Glaubwürdigkeit und die Idee des TV-Duells verliert an Sinn. Naja, Olaf Scholz gewinnt, undzwar einen Platz, den er mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte seiner Partei nicht verdient. Wenn die Entscheidung für ein „Triell“ bestehen bleibt ist es nach momentanem Stand der Dinge jedenfalls alles andere als unwahrscheinlich, dass dies sein einziger Sieg in diesem Wahljahr bleibt. 



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Timon Scheuer wurde im saarländischen Merzig geboren und studiert momentan Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Er beschäftigt sich besonders gerne mit Ethik und Wahlforschung, aber auch anderen Themen ist er nicht abgeneigt. Meistens ist er auf vier Rädern unterwegs und damit beschäftigt, seine Fachbuchsammlung durch mehr oder weniger sinnvolle Investitionen zu erweitern und sich dann darüber zu wundern, dass seine Leseliste länger statt kürzer wird. Er ist Fan von langen, tiefgehenden Diskussionen, guten Podcasts und Schalke 04. Auf Sans Mots schreibt er über alles, was ihm über den Weg läuft, aber vor allem über Wahlen.




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