Wut, Frausein und die Allgegenwärtigkeit der Frustration

„Dieses Wetter frustriert mich!“ – ich spreche es nicht laut aus. Aus einem ziemlich guten Grund. „Immer regst du dich auf!“ „Wie kann man s...



„Dieses Wetter frustriert mich!“ – ich spreche es nicht laut aus. Aus einem ziemlich guten Grund.

„Immer regst du dich auf!“
„Wie kann man sich da so reinsteigern? Es ist doch nur eine Kleinigkeit!“
„Es läuft eben nicht immer so, wie du dir das vorgestellt hast!“
...


Ich könnte ewig so weiter machen, mir würden noch zigtausend andere Varianten einfallen, die in etwa das Obige aussagen und die ich schon so oft gehört habe. Gestatten, ich bin Joana, ich habe ADHS. Unter Anderem heißt das, dass ich impulsiver bin und dass ich Frust schneller und stärker erlebe als ein Mensch ohne diese Disposition. Und: ich bin eine Frau. Ginge ich nach dem Unterbewusstsein dieser Gesellschaft, ist mein Frust vor allem eins: übertrieben und nicht ernst zu nehmend. 

Seitdem ich 23 bin, weiß ich, dass ich ADHS habe. ADHS ist kurz für Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom. Das bedeutet, dass ich Probleme habe, meine Konzentration zu lenken, dass ich mit einer inneren und körperlichen Unruhe lebe, dass ich impulsiver bin als andere, ungeduldiger, lauter und eben auch: schneller frustriert. ADHS heißt nämlich auch, dass es durchaus schwierig sein kann, Emotionen zu regulieren. Das hat wenig mit meiner eigenen bewussten Kontrolle zu tun. Im Prinzip ist mein Gehirn schon so  gepolt, dass ich schneller und eben auch stärker auf Emotionen reagiere – es lässt sich sogar  neurologisch erklären: 


Emotions are generated in the limbic system [...] and that system controls fear, pleasure, and anger. When an emotion is generated, the limbic system connects with the prefrontal cortex, which is tasked with managing that emotion. The cortex pauses, assessing the significance of the situation, calculating the costs of reacting outwardly, and suppresses actions not in our best interest.


Der präfrontale Cortex ist also dafür verantwortlich, dass wir unsere Emotionen sortieren und regulieren können – im Artikel wird er als „Security Checkpoint“ beschrieben. Die Verbindung zwischen dem limbischen System und dem präfrontalen Cortex ist bei Menschen mit ADHS schwächer, weshalb Emotionen diesen Punkt schneller passieren und ihre „Narrenfreiheit“ ausleben können. Eine kleine Frustration kann sich da schon mal anfühlen wie der absolute Panik-Modus. 
Stell dir mal vor, du bist in einer Phase, in der du sehr angespannt, gereizt und schlecht gelaunt bist. Gerade hat du grundsätzlich sowieso das Gefühl, dass alles nur schief läuft. Nichts klappt. Genervt von sich selbst und dem gesamten Umfeld und ohnehin allem. Stell dir vor, an einem dieser Tage musst du noch etwas sehr Dringendes erledigen. Eine Aufgabe, die wichtig ist, von der viel abhängt. Zeitlich dringend, von der Wichtigkeit akut, und eben wirklich notwendig. Das muss jetzt funktionieren. Und: Du wirst daran gehindert – wegen einer bürokratischen Kleinigkeit, die du nicht mal wirklich logisch nachvollziehen kannst. Du stehst wegen dieser Kleinigkeit jetzt vor einem Problem – und eigentlich kannst du das jetzt gar nicht gebrauchen. Nichts geht daran vorbei. Alles hängt davon ab. Nichts bewegt sich und du musst es aushalten.

Ungefähr diese Intensität kann ein Frustgefühl erreichen. Der Unterschied zu Menschen ohne ADHS ist: Für Betroffene kann diese Intensität alltäglich sein. Adhsler:innen erleben diese Gefühle also signifikant öfter als Nicht-Betroffene. Natürlich ist das nicht immer und jedes Mal so – das hängt auch mit vielen anderen Dingen zusammen: Die Medikation, das Umfeld, die generelle Stimmung – aber auch Glaubenssätze, die Adhsler*innen im Laufe ihres Lebens sammeln, können eine Rolle spielen.


Für mich ist Frust etwas sehr Alltägliches. Allerdings ist es für mich auch alltäglich, deshalb „zurechtgewiesen“ zu werden.


Wie ich zu Anfang bereits beschrieben habe, äußere ich gegenüber anderen Menschen oft nicht mal mehr, dass ich das Wetter scheiße finde – oft genug wurde mir das „Recht“ abgesprochen, mich so zu äußern, da es ja „immer so sei“ und man sich doch nicht ständig wegen Kleinigkeiten „so aufregen“ könne. Zu oft habe ich all das schon gehört. Lange hange ich diese subtilen Vorwürfe auch geglaubt, die sich zwischen den Zeilen der Zurechtweisung und des Abwinkens meiner Frustrationsgefühle versteckten. Ich glaube es, dachte deshalb, ich sei schwach oder habe mich nicht unter Kontrolle. Ein destruktives Gefühl.
Die Mechanismen dahinter irgendwann jedoch nachvollziehen zu können, warum ich oft so reagiere, hat eine immense Erleichterung mit sich gezogen. Dennoch: der Umgang anderer Menschen mit diesen Gefühlen stichelt mehr, als dass er hilft. Oft neigen sie dazu, die Dinge kleinzureden oder gar den destruktiv Charakter in Frage zu stellen – der Frust wird eher größer und es kommt zu Konflikten. Es ist wie ein Teufelskreis.

Mein Frust beschäftigt mich, ob ich will oder nicht – und seitdem ich mich immer mehr damit auseinandersetze, was es bedeutet in dieser Welt eine Frau zu sein, fällt mir auf: Mein Frust – egal aus welchem Grund – hat anscheinend weniger Berechtigung. Während ich mich für meine Reaktionen meistens rechtfertigen muss – selbst wenn ein objektiv nachvollziehbarer Grund vorhanden ist – ist mir schon Frust begegnet, der als vollkommen legitim erachtet wurde – und dieser Frust war meistens männlich.

Teresa Bücker zitiert in ihrem Artikel „Ist es radikal, wütend zu sein?“ die Autorin Lilly Dancyger:


Die Wut einer Frau ist wie Wahnsinn. Sie fühlte sich in mir wie Wahnsinn an, sie sah für andere wie Wahnsinn aus. Vielleicht würden wir nicht verrückt, wenn sie uns wütend sein ließen.


Wut und Frust sind zwar zwei unterschiedliche Gefühle, aber die Wut kann aus Frust entstehen – und oft werden sie nicht unterschieden, weder von der Person, die sie erlebt, noch von Außenstehenden. Frust wird oft genug mit Wut gleichgesetzt – und ich erlebe Reaktionen auf Frust ähnlich wie Reaktionen auf Wut.  Lilly Dancyger hat Recht, die Wut fühlt sich oft wie Wahnsinn an, der Frust aber auch. Denn er wird wahnsinnig gesprochen. Wenn ich Frust äußere, werde ich häufig unterbrochen – bei meinen Partnern, die ich bis jetzt hatte, habe ich das noch nie erlebt. Sie waren nie hysterisch, bockig, sie haben nie übertrieben, oder sich reingesteigert – nichts davon, obwohl man das in der ein oder anderen Situation durchaus so beschreiben hätte können. Die Bandbreite an Bezeichnungen an mich könnte ich hier gar nicht unterbringen, aber „Psycho-Braut“ möchte ich hier auf keinen Fall weglassen. 

Wenn ich zurückblicke und meine Erfahrungen mit Frust – egal ob er von mir selbst oder von anderen kam – Revue passieren lasse, stelle ich vor allem eins fest: Frust, mit männlichen Attributen gelebt, versetzte Menschen in unmittelbarer Nähe in eine Art furchtsamen Respekt, der weibliche Frust war weniger erschreckend, er wurde mehr kritisch beäugt, sogar verurteilt – als Charakterschwäche gesehen.


männlicher Frust wird zur „Kritik an der Sache“
-
weiblicher Frust ist „unnötiges Drama“





Als Frau mit ADHS erlebt man also nicht nur Frust intensiver – man wird dadurch auch viel häufiger mit dieser Form von Sexismus konfrontiert. Sexismus ist nie harmlos, aber Wertungen wie die im Zusammenhang von Frust, können stark in die Psyche eingreifen – schließlich werden sie in sehr vulnerablen Situationen gemacht.


Mich hat es schon sehr oft geschlaucht, ich bin schon oft da gesessen und habe mich gefragt, warum muss ich immer wieder gegen diese Wertungen ankämpfen? Warum kann ich nicht wenigstens ein einziges Mal überreagieren, ohne dass ich mich dafür rechtfertigen muss? Bin ich wirklich ganz besonders psycho? - Frust ist nie schön, weder der Grund, warum er entsteht, noch das Gefühl, das er auslöst. Wenn man das nicht regulieren kann, ist es noch intensiver, noch anstrengender. Es wäre schön, wenn da nicht noch ein ganzer Rattenschwanz mit hinterher käme. Ich glaube die Kunst ist, den Frust zu erleben, aber auch, ihm sachlich zu begegnen – vor allem als Außenstehende:r. Und vielleicht sollte man den männlichen Frust mal ein wenig dekonstruieren und dem weiblichen ein bisschen mehr Raum geben – das wäre schon mal ein Anfang.
 




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Joana Hammerer ist 27 Jahre alt und studiert Soziologie und Theater- und Medienwissenschaft irgendwo in Süddeutschland. Wenn sie nicht gerade mit Studium, Nebenjob oder ihrer psychischen Erkrankung beschäftigt ist, schreibt sie auf Instagram und ihrem eigenen Blog über das Leben mit  ADHS und Depressionen, aber auch allerhand Anderes. Die Lebensrealitäten von Menschen mit psychischen Erkrankungen sichtbar zu machen, ist für sie von besonderer Wichtigkeit - dazu gehören für sie auch die kleinen aber feinen Umgangsformen in dieser Gesellschaft.






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