Und sonst so? | Die Schönheit des Nutzlosen

Seit ein paar Wochen hängt ein Basketballkorb in meinem Schlafzimmer. 40x30cm misst das Board, 39,99€ im Set mit drei Mini-Bällen und einer ...


Seit ein paar Wochen hängt ein Basketballkorb in meinem Schlafzimmer. 40x30cm misst das Board, 39,99€ im Set mit drei Mini-Bällen und einer Pumpe, Super Joy heißt das Model. Super Joy habe ich seitdem auch jeden Morgen nach dem Aufwachen, wenn ich mich im Bett aufrappele wie ein müder Otter, nach den Bällen auf meinem Nachttisch greife und in Richtung meiner Schlafzimmertür ziele, an der der Korb hängt. Nur selten sind die ersten beiden Treffer, der dritte ist es meistens. Das eigentlich Schöne ist aber: Es ist völlig egal. 

Als ich den Korb bestellt habe, habe ich mir nicht großartig Gedanken darüber gemacht, nichts davon hatte eine tiefere Bedeutung. Ich hatte einen ähnlichen Korb auf Instagram gesehen und gedacht, ach, witzig, das würd' dir auch Spaß machen. Wenige Tage später sitze ich auf der Kante meines Bettes, pumpe die drei mitgelieferten Bälle auf und denke dabei, dass irgendetwas anders ist. Dass sich irgendetwas daran von dem unterscheidet, was sonst einen Großteil meines Alltages ausmacht. Ich verstehe es nicht direkt, es braucht ein paar Tage, ein paar Mal das Aufrappeln des müden Otters, ein paar Mal Zielen und Werfen bis nicht nur der erste Ball in den Korb geht, sondern auch die Erkenntnis Boden findet. Dieser Basketballkorb macht eins nicht: Sinn. Er entzieht sich jeder Nutzenlogik.


Es braucht weitere Tage, weitere Würfe bis sich der Gedanke setzt. Mit jedem Zielen, Werfen und anschließenden durchs Schlafzimmer tapern um die Bälle wieder einzusammeln erschrecke ich mehr davor, was das eigentlich bedeutet:


Wie sehr mein Leben, das Leben meiner Freunde, das Leben der anderen podcast-hörenden Endzwanziger in innenstädtischen Altbauwohnungen von einer sich selbst beschleunigenden Nutzenlogik durchzogen ist. 


Wir stehen auf, auf dem Weg in die Küche der Blick aufs Handy, hat sich jemand über Nacht gemeldet, welchen Kurs hatte ich für heute nochmal bei Urban Sports Club gebucht? In der Küche dann die linke Hand auf der French Press, die rechte auf Spotify, Tagesschau in 100 Sekunden, prima, bin gut informiert wenn ich gleich im Büro ankomme. Falls das knapp wird tut’s aber auch die Infokachel auf Instagram. In der Bahn dann kurz noch zwei Nachrichten beantworten und nochmal checken ob nicht doch noch spontan was im Piloxing-Kurs freigeworden ist.

Der Tag könnte jetzt so weitergehen, er würde im Halbstunden-Takt eine weitere Box auf der unsichtbaren Liste unseres Nutzeninkassos ausfüllen, effizient, zielgerichtet. Am Abend dann flott noch 10 Minuten Meditation mit der neuen App, zum runterkommen, vor allem aber zum Fokussieren für den morgigen Tag, klar.

Ein paar Jahre bevor ich Abitur gemacht habe wurde das Modell des dualen Studiums immer populärer. Viele Menschen in meinem Umfeld argumentierten begeistert dafür, zwei in eins in der Hälfte der Zeit, dem Arbeitsmarkt stünde man früher zur Verfügung und die Unternehmen seien ganz verrückt nach den noch so jungen aber bereits erfahrenen Absolventen. Ich habe die Entscheidung dafür keinen Tag ernsthaft bereut, aber ich wundere mich heute darüber wie man jungen Menschen kurz vor dem Schulabschluss mit einem derartigen Nutzenfokus begegnen kann. Wie man nicht sehen kann, dass alle Kreativität, alles Neue, alles wirklich Wunderbare aus der Freiheit, aus der Zweckbefreitheit, aus dem Raum für Überraschung entsteht.


In mir wohnt ein irrsinniger Schaffensdrang, ich bin ein zutiefst leistungsmotivierter Mensch, ich liebe es etwas zu erreichen. Aber ich liebe auch noch etwas: das Spielfeld, das sich öffnet, wenn die Dinge keinen Sinn machen müssen.

Wenn Zeit vergehen kann und keine Rolle spielt, wenn es kein zu antizipierendes Ergebnis gibt, wenn sich nichts von dem, was passiert, kapitalisieren lässt oder eine Nutzenkategorie unseres Umfeldes erfüllt.


Manchmal lässt mein Alltag mich das vergessen, hält er doch genug Belohnungsmechanismen bereit, die leise „Nutzeninkasso“ flüstern. Ich höre das Flüstern, aber immer häufiger höre ich mittlerweile auch das Rufen des Zweckfreien, das so viel Neues entstehen lässt, wenn man ihm nachgibt. Wie schön und reich und vielseitig kann das Leben sein, wenn man sich ihm in seiner Breite ohne Ziel und ohne Rechnung öffnet, wenn man den Blödsinn sucht und einlädt. Das ist ein großer Gedanke und Mini-Basketballkörbe derart bedeutungsschwanger zu überladen irgendwie auch ein bisschen anstrengend. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass ich vor ein paar Absätzen noch geglaubt habe, dass der Korb eins nicht macht, nämlich Sinn. Sinn macht er, sehr viel sogar, denn er bringt mir beinahe jeden Morgen was der Name verspricht: Super Joy. Nur nützen tut er nichts. Gott sei Dank.





Carolin Jacobi ist 28 Jahre alt und lebt in Köln und ist seit 2021 Teil des Teams von Sans Mots. Neben Fuerteventura und Ferdinand von Schirach liebt Jacobi Sprache, Popkultur und feine Dinge und schreibt seit ihrer frühen Kindheit. Sie interessiert sich für Fragen des gesellschaftspolitischen Tagesgeschehens, Formen der menschlichen Begegnung und möglichst simple Memes. Auf Sans Mots schreibt sie die Kolumne „Und sonst so?“ über die großen Fragen in den kleinen Dingen unseres Zusammenlebens.



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