Bundestagswahl | Was bringen eigentlich TV-Debatten?

Sie sind die Höhepunkte eines jeden US-Wahlkampfs und erzeugen internationales Aufsehen: Die „presidential debates“, also die meist drei TV-...

Sie sind die Höhepunkte eines jeden US-Wahlkampfs und erzeugen internationales Aufsehen: Die „presidential debates“, also die meist drei TV-Debatten der beiden Kandidierenden für das Amt des US-Präsidenten. Dieses in der heutigen Form seit 1960 existierende Ritual amerikanischer Wahlkämpfe passt dort wunderbar ins politische System: Zwei Parteien, zwei Kandidierende, noch dazu zwei grundlegend verschiedene Programme. Wunderbare Voraussetzungen für einen Schlagabtausch.


Aber nicht nur in den USA, auch in Deutschland erfreuen sich TV-Debatten großer Beliebtheit, und das, obwohl sie hier weder eine lange Tradition haben (das erste TV-Duell fand in Deutschland vor der Bundestagswahl 2002 zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinem Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) statt), noch richtig in unser System zu passen scheinen, denn gerade im Vergleich zu den USA gibt es in Deutschland nicht nur mehr als zwei relevante Parteien, sondern schon das Wahlsystem ist darauf angelegt, dass nach der Wahl mehrere Parteien zusammenarbeiten müssen, um eine Regierung bilden zu können. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Tatsache, dass in diesem Jahr drei Parteien einen Kanzlerkandidaten beziehungsweise eine Kanzlerkandidatin benannt haben und es dementsprechend auch keine „Duelle“, sondern „Trielle“ gibt, wodurch das Konfrontative eines Duells irgendwie verloren zu gehen scheint.
Zudem gibt es neben den „großen“ Debatten auch immer noch die Debatten der kleineren Parteien, die „Vier- bzw. Fünfkämpfe“ in denen also nochmal mehr Parteien gegeneinander antreten.

Dieses für ein TV-Format recht unübersichtlich anmutende Angebot scheint jedoch die Attraktivität solcher Sendungen nicht zu schmälern. Das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz vor der Bundestagswahl 2017 sahen 9,33 Millionen Menschen, beim „Fünfkampf“ zwischen dem Spitzenpersonal von AfD, FDP, Grünen und Linken schalteten 4,5 Millionen Menschen ein.

Doch warum funktionieren solche TV-Formate überhaupt in einem Land, in dem es zwar sehr wohl politische Gegensätze gibt, aber gleichzeitig die inhaltlichen Schnittmengen zwischen den einzelnen Parteien bedeutend größer und die Übergänge teilweise fließend sind?


Die Attraktivität, die von TV-Duellen und Debatten ausgeht, entspringt vor allem einer veränderten Struktur der Wählerschaft.


Parteimitgliedschaften und -bindungen sind während der letzten Jahrzehnte stark gesunken. Viele Wählerinnen und Wähler fällen ihre Wahlentscheidung entsprechend später. Zudem steigt die Zahl der Wechselwähler und die Wahlbeteiligung geht zurück. Das zeigt eine gewisse Unsicherheit und Wechselhaftigkeit der politischen Einstellungen. TV-Debatten bieten Kandidierenden die Möglichkeit, nicht nur ihre eigenen Positionen herauszustellen, sondern sie auch noch im Lichte anderer Positionen zu begründen und gegebenenfalls zu verteidigen. Dieser kompetitive Charakter lässt eine TV-Debatte im Gegensatz zu Wahlwerbespots oder Plakaten weniger wie eine von Parteien inszenierte Selbstdarstellung wirken. Dadurch gewinnen TV-Debatten sowohl für politisch Interessierte als auch eher politikferne Bürger an Attraktivität, da sie eine inhaltliche Debatte auf dem neutralen Boden der großen Fernsehsender in Aussicht stellen. Durch den meist prominenten Sendeplatz erhöht sich einerseits die Anzahl der Zuschauer im Allgemeinen, andererseits aber auch die Chance, dass Bürger eher zufällig einschalten, wodurch man erneut Wähler erreichen kann, die über andere Mittel des Wahlkampfes vielleicht eher schwer erreichbar sind oder schlicht nicht die Zeit haben, sich die teilweise sehr langen Programme durchzulesen oder die Berichterstattung darüber zu verfolgen. Für diese Menschen bietet eine TV-Debatte ein „Wahlkampf im Miniaturformat“ an, in dem sich die Positionen der Wettbewerber zudem auch noch in einem zeitlich überschaubaren Rahmen gut vergleichen lassen.


Die hauptsächliche Bedeutung der TV-Debatten liegt jedoch meist nicht in der Debatte selbst, sondern darin, was danach vor allem medial aus der Debatte gemacht wird. Die Frage, wer die Debatte „gewonnen“ hat (was auch immer das im Einzelnen bedeuten mag), nimmt in der Berichterstattung sicherlich den größten Raum ein und hat somit eine viel höhere Strahlkraft als die Debatte selbst.


Wer nun wie gut abgeschnitten hat, wird meistens schon während der Sendung von mindestens einem Meinungsforschungsinstitut abgefragt, in den häufig sogenannten „Blitzumfragen“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer solcher Blitzumfragen werden meist im Vorfeld der Sendung auf verschiedenen Wegen rekrutiert, um dann nach oder sogar während der Debatte nach Ihrem Eindruck befragt zu werden.

Allerdings muss man sich bei der Betrachtung dieser Umfragen darüber bewusst sein, dass natürlich die wenigsten Zuschauer eine solche Sendung völlig unvoreingenommen anschauen. Der eingefleischte SPD-Wähler wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Olaf Scholz für den eindeutigen Sieger halten, ebenso wie die Anhängerinnen und Anhänger der anderen Parteien dies für ihren jeweiligen Kandidierenden tun.


Aber auch jene, die sich nicht unbedingt einer bestimmten Partei verbunden fühlen, gehen mit Voreinstellungen in ein solches Duell, z.B. mit dem Wissen über die derzeitigen Umfragewerte, aus denen sich wiederum bestimmte Erwartungen ergeben.


„Kandidat x liegt in den Umfragen in Führung, der/die agiert also aus einer Position der Stärke heraus, Kandidat y muss jedoch liefern.


Diese Voreinstellungen prägen unsere Wahrnehmung einer Debatte schon vor ihrem eigentlichen Beginn sehr stark. Zum Schluss sei noch eine vielleicht nicht neue, aber dennoch sehr wichtige Bemerkung gestattet: Häufig wird das Format einer TV-Debatte, mit wie vielen Teilnehmenden sie auch immer stattfinden mag, häufig als „inhaltsleer“ oder „erwartbar“ kritisiert wird. Hin und wieder wird auch der Vorwurf erhoben, man habe ja gar nichts neues gelernt. Das mag zwar in vielen Fällen zutreffen, allerdings wird diese Kritik meistens von jenen erhoben, deren Aufgabe es ist, die Sendung in irgendeiner Form zu kommentieren. Nun tun dies wiederum meist Menschen, die das politische Geschehen ohnehin sehr eng verfolgen. Wie wir jedoch gesehen haben, sind diese Menschen nicht die Hauptadressaten eines solchen Formats, sondern eher uninteressierte und unentschlossene Wählerinnen und Wähler. Also müsste man diesen Befund eigentlich umdrehen: Wenn Politikjournalistinnen und -journalisten oder andere Menschen, die sich professionell mit Politik beschäftigen, in einem solch komprimierten Format wie einer TV-Debatte, noch dazu gegen Ende eines langen Wahlkampfs, wirklich etwas substanziell Neues lernen würden, hätten sie in den vorangegangenen Wochen und Monaten vermutlich irgendetwas falsch gemacht.



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Timon Scheuer wurde im saarländischen Merzig geboren und studiert momentan Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Er beschäftigt sich besonders gerne mit Ethik und Wahlforschung, aber auch anderen Themen ist er nicht abgeneigt. Meistens ist er auf vier Rädern unterwegs und damit beschäftigt, seine Fachbuchsammlung durch mehr oder weniger sinnvolle Investitionen zu erweitern und sich dann darüber zu wundern, dass seine Leseliste länger statt kürzer wird. Er ist Fan von langen, tiefgehenden Diskussionen, guten Podcasts und Schalke 04. Auf Sans Mots schreibt er über alles, was ihm über den Weg läuft, aber vor allem über Wahlen.




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