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§219a Die Kriminalisierung der Aufklärung
Montag, Mai 07, 2018
Seit mehr als zwanzig Jahren wurden die gesetzlichen Regelungen rund um das Thema Abtreibung in Deutschland nicht angerührt. Ein explosives Thema, schon immer. Und mittlerweile unzeitgemäß. Das sogenannte Werbeverbot um Schwangerschaftsabbrüche, genauer der Paragraph 219a StGB löste große Debatten darüber aus, inwiefern Informationen über das Angebot eines potenziellen Schwangerschaftsabbruchs medial erreichbar sein sollten. Sollte das sogenannte Verbot von „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ abgeschafft und gestrichen werden, oder ist es eine moralische Notwendigkeit und dient dem Schutz von Gesellschaft und Menschenleben?
Der Fall Kristina Hänel
Was ist jedoch diese Werbung, die gesetzlich verboten wird? Und wo verläuft die Grenze zwischen Werbung und Information? Die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel steht inmitten eines Verfahrens der politischen Debatte und stellt sich als beispielhaftes Flaggschiff vieler Ärzte und Ärztinnen bereit, die für sich beanspruchen, Patientinnen das Recht auf Information und Gesundheit zu gewährleisten, ohne dabei unter permanenter Strafandrohung arbeiten zu müssen.
Hänel listete auf der Website ihrer Praxis neben anderer medizinischer Dienstleistungen unter der Kategorie Frauengesundheit auch den Begriff und Hinweis Schwangerschaftsabbruch, der Hänel letztlich vor das Amtsgericht Gießen brachte. Die Initiative Nie wieder e.V. hatte die Ärztin angezeigt und dies bereits systematisch wiederholt, erstmals wurde die Anzeige jedoch nicht wieder fallen gelassen. Im November 2017 wurde Hänel zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt und brachte damit den Stein ins Rollen: Laut §219a StGB ist es Ärzten untersagt, einen Schwangerschaftsabbruch anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen. Doch mit der Verurteilung beginnt erst der Rechtsstreit. „Genau jetzt habe ich eine Chance, etwas zu ändern“, entgegnet Hänel im Interview mit ZEIT ONLINE. „Jede Frau sollte das Recht haben, sich frei und anonym zu informieren.“
Schwangerschaftsabbruch in Deutschland, Gesetzeslage & Praxis
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach wie vor per §218 StGB rechtswidrig, jedoch unter gewissen Voraussetzungen [geschildert in §218a] straffrei. Hierzu gehört eine verpflichtende Beratung. Die zwölfte Schwangerschaftswoche darf zudem nicht überschritten sein. Der Verlauf eines Schwangerschaftsabbruchs entpuppt sich dennoch als ein langwieriger Prozess. Teils ist dies gewollt, um Affektentscheidungen und manipulatives Fremdeinwirken anderer zu vermeiden. Nach einem ärztlichen Gespräch folgt ein externes Beratungsgespräch bei einem gesetzlich anerkannten Träger wie z.B. ProFamilia. Dort wird in psychologisch betreuten Gesprächen sichergestellt, dass die Person ihre Situation und die Folgen eines Eingriffes begreift, psychisch und physisch bewältigen kann und sie die Entscheidung eigenständig und ohne Druck und Fremdeinwirken fällt. Daraufhin wird ein Termin zu einem Vorgespräch in einer Klinik oder medizinischen Praxis beschlossen. Folgend müssen mind. drei Tage Bedenkzeit nach dem Erhalt einer Bescheinigung vergehen, bis ein Abbruch vorgenommen werden kann. Die Krankenkasse zahlt nicht.
Dieser Prozess mag für manche ein interessanter Einblick, kalter Kaffee oder verwerflich sein, so trifft er jedoch gar nicht den Kern der politischen Debatte. Darin geht es nicht um die reine Befürwortung (wie durch Pro Choice AktivistInnen) oder Ablehnung (wie es die Pro Life AktivistInnen tun) von Abtreibungen in Deutschland. Die Frage, um die es zentral geht, dreht sich um den Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches (StGB), der seit der Zeit des Nationalsozialismus die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet.
Wenn politische Theorie politische Praxis trifft
Der Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs stellt in seiner jetzigen Ausrichtung einen gänzlich unzureichenden Zustand dar und kann so nicht weiter bestehen. Und das obwohl sein Ziel eines ist, das durchaus schützenswert ist. Zwar soll es die Glorifizierung und kommerzielle Nutzung von Schwangerschaftsabbrüchen von Seite der Ärzte und Ärztinnen verhindern, so kriminalisiert er gleichzeitig die Ärztinnen und Ärzte, die Aufklärung und Information ihrer Patientinnen anstreben. §219 wird abseits der schwarz gedruckten Worte auf dem Papier in der Praxis zu einem Hindernis und gar Verbot von frei zugänglichen Sachinformationen. Eine veraltete Zensur, die ein Menschenbild nahelegt, das Frauen fälschlicherweise als unmündige Wesen zeichnet. Das äußern zumindest eine Vielzahl von Juristen, Politikern und gesellschaftspolitische AktivistInnen. Derzeit sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und/oder eine Geldstrafe vor, sollte man öffentlich auf konkrete Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches hinweisen.
Etwas stimmt in einer Gesellschaft ganz und gar nicht, wenn reine seriöse Sachinformationen nicht nur tabuisiert, sondern strafrechtlich verfolgt werden und damit das Recht auf Aufklärung, körperliche Selbstbestimmung und Informationsfreiheit beschneiden, als sei eine Information gleichzusetzen mit einer lustig spritzigen Werbung für etwas, für das sich Frauen in dieser Situation spontan hinreißen lassen.
Handlungsbedarf: Für eine Änderung von 219a. - Werben vs. Informieren und politische Ansätze
Die Linken und Grünen plädieren für eine komplette Abschaffung von §219a. Die FDP schlägt derweil kluge Abschwächungen und eine Reform des Paragraphen vor und will nur grob anstößige Werbung unter Strafe stellen. Die Liberalen zeigen sich offen für den Diskurs und andere Modelle einer Änderung, denn „die jetzige Rechtslage setzt seriöse Ärztinnen und Ärzte der Gefahr der Strafverfolgung aus“, so Marco Buschmann (FDP).
Zunächst hatten sich auch die Sozialdemokraten stark gemacht, §219a abzuschaffen, zogen den Gesetzesentwurf vor CDU/CSU jedoch wieder zurück, weil Uneinigkeiten bestehen blieben. Als Kompromiss einigten sich die Koalitionspartner auf die Ausarbeitung eines gemeinsamen Vorschlages. Kanzleramtschef Braun (CDU) sieht eine komplette Streichung für nicht unbedingt erforderlich, denn „einig sind sich Union und SPD, dass wir Informationen für betroffene Frauen zur Verfügung stellen wollen und den Ärzten Rechtssicherheit garantieren wollen“, sagte Braun. Eine radikale Änderung von §219a, der klaren Unterscheidungen zwischen sachlicher Aufklärung und kommerzieller Werbung unterscheidet, ist überfällig. Dabei sehe ich keine Zukunft, in der Ärzte und Ärztinnen in Deutschland „Buy now! Zwei zum Preis von einem! Live your life to the fullest“ in Leuchtschrift und mit prominenten Werbegesichtern schalten. Eine wesentliche Änderung des Paragraphen 219a gewährleistet weiterhin das unreflektierte Animieren oder die Beschönigung eines Eingriffes in die Schwangerschaft. Die Entscheidung für Information zum Thema und Angebot medizinisch durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der deutschen Gesetzeslage ist in erster Linie erst einmal eine Entscheidung für Wissen der Sachlage, das einer Entscheidung sowohl für, als auch gegen einen Schwangerschaftsabbruch immerzu vorausgehen sollte.
Ein möglicher Kompromiss könnte einerseits eine solche Änderung des Paragraphen darstellen, die eine Differenzierung zwischen klarer Werbung und sachlicher Information vornimmt. Des Weiteren könnte eine staatlich anerkannte Drittstelle Sachinformationen frei zugänglich aufführen. Also über die Möglichkeiten und Verfügbarkeit von Ärztinnen und Ärzten in der Region, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, informieren und einen anonymen Zugang zu diesen Informationen bereitstellen.
Falsche Annahmen eines problematischen Menschenbildes
Die Ängste von jenen Menschen und Politikern, welche den Paragraphen in seiner aktuellen Form behalten möchten, setzen sich in der Debatte aus folgenden Vorannahmen zusammen:
Alle drei Prämissen halte ich in der Debatte für mindestens verkürzt, wenn nicht gar auf absurde Weise für komplett falsch.
Irrtum 1: Hinweise und Angaben über Schwangerschaftsabbruch im Internet führen zu mehr durchgeführten Abbrüchen.
Der bestehende Paragraph kriminalisiert Ärzte und Ärztinnen, denen es unmöglich gemacht wird, zum Thema Schwangerschaftsabbruch zu informieren: Sachlich aufzuklären, sowie die neutrale Faktenlage zum Angebot potentieller Schwangerschaftsabbrüche liefern dürfen – ich wäre sogar davon ausgegangen, dass sie das müssten – und dies auch auf der Website ihrer Praxis tun, um Frauen in Notsituationen schnelle, anonyme und transparente Informationen bereit zu stellen. Der gesamte weitere Verlauf mitsamt der Bedenkzeit und psychologischen Vorgesprächen würde genauso wie bisher bestehen. Frauen müssten zuvor jedoch nicht im Dunkel eines Tabus stehen, über das es im Internet nur dubiose Einträge zu finden gibt. Denn das herrschende Tabu, das Schwangerschaftsabbrüche und entsprechende Frauengesundheit umgibt, bleibt ein eindringliches Problem. Eine Frau, die ungewollt schwanger wird, kämpft auf vielerlei Weise allein. Sie erfährt es in der Regel allein, ahnt es allein. Da passiert etwas, in ihr, und ihr als Person. Ihr allein und niemand anderem. Gedanken, Abwägungen, Ängste, Sorgen. Allein, allein. Frauen in einer ungewollten Schwangerschaft befinden sich in einer körperliche, sowie psychischen Notlage, denn sie ist – und das sollte jetzt keine Überraschung sein – nicht gewollt in diesen Ausnahmezustand gelangt. Durch das „Werbeverbot“ wird Frauen die Ausübung ihres Informationsrechts vorenthalten oder zumindest ganz bewusst erschwert. Dies führt zu der Absurdität, dass einerseits Frauen im Falle einer ungewollten Schwangerschaft keine legalen Möglichkeiten haben, sich eigenständig über die Möglichkeit und Risiken eines Abbruches zu informieren. Andererseits wird Ärzten die legale Möglichkeit der Gewährleistung von notwendigen Informationen genommen. Erst im Beratungsgespräch vor Ort kann eine betroffene Frau erfahren, wie das Versorgungsnetz vor Ort ist und ob in ihrer Region überhaupt die Möglichkeit besteht. Sucht man nach diesen Informationen bisher im Internet, fühlt man sich wie im Darknet. Als tippe man auf leisen Sohlen in die dunkle Gasse der verbotenen, dreckigen, gefährlichen und schamvollen Dinge. Kriminalisiert fühle ich mich allein schon auf der Reise durch semiseriöser Erklärungen und aufgebrachter Foreneinträge voller Verurteilungen. Abtreibungsgegner können im Internet nämlich frei Werbung für ihre Agenda und sich den §219a systematisch zu Nutze machen. Mehr Information jedoch schafft Reflexion, mehr Sicherheit und weniger Isolation. Der bewusste Eingriff in die Aufklärungsarbeit über Sexual- und Frauengesundheit ist die entmündigende Vorwegnahme der Entscheidung über andere Körper und andere Leben. Eine Entscheidung zu einer Suche zur Information ist die Entscheidung zur Auseinandersetzung mit der Thematik. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bestätigt diese Haltung. Bei Informationslücken der derzeitigen Rechtslage „werden wir sicher eine Lösung finden, dass Frauen einen noch besseren Zugang zu allen nötigen Informationen bekommen.“
Irrtum 2: Schwangerschaftsabbruch als leichtfertige Alternative
In den Debatten wird oft so argumentiert, als sei eine Abtreibung ein ganz normales, angenehmes Unterfangen, dem sich Frauen gerne unterziehen und das nicht mit riskanten und erheblichen Eingriffen in ihre Gesundheit verbunden ist. Eine Sorge, welche gegen die Änderung des Paragraphen vorgebracht wird, ist dass Männer und eben konkret Frauen in Zukunft leichtfertiger mit ihrer Sexualität und Verhütung umgehen, sodass Abbrüche zu einem gängigeren Mittel zur Verhütung genutzt und gesellschaftlich akzeptiert werden. Also die Vorstellung von Abtreibungen als pragmatische Norm. „Meiner Meinung nach argumentieren so immer Menschen, die sich nicht wirklich mit der Realität auseinandersetzen“, so Hänel. „Ich habe mittlerweile 30 Jahre Erfahrung mit betroffenen Frauen. Ich weiß, in welchen Situationen sie einen Schwangerschaftsabbruch machen. Keine Frau geht diesen Schritt leichtfertig. Es ist absurd, anzunehmen, dass mehr Frauen sich dazu entschließen würden, wenn man die Restriktionen wegnimmt.“
Was diesem Irrtum zugrunde liegt, ist ein Menschenbild, was Frauen nicht zutraut, dass sie 1. vernünftig ihre Situation abwägen und beurteilen können und sie dadurch 2. nicht in der Lage sind, die richtigen Entscheidungen über ihre Körper zu fällen und 3. sie per se allein die „Schuld“ daran tragen, in diese Situation gekommen zu sein, sodass ihnen die Entscheidung folglich lieber ab- und vorweggenommen wird, wie das mit der Zensur sachdienlicher Hinweise zu Schwangerschaftsabbrüchen getan wird. Dass ungewollte Schwangerschaften jedoch durch ganz verschiedene Umstände entstehen können – abseits von Gewaltverbrechen – z.B. durch Verhütungsfehler, die von beiden beteiligten Sexualpartnern ausgehen muss, bleibt durch den Paragraphen 219a nicht wegradiert. Mit weniger Information schafft man in erster Linie nicht weniger Abtreibungen, sondern mehr Angst, mehr psychischen Stress und füttert ein riesiges unausgesprochenes Problem des schamvollen Tabus.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich zunächst scharf gegen die Änderung ausgesprochen. Er wundere sich über „die Maßstäbe“, denn „wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos“ und in der Debatte um das Werbeverbot werde „manchmal gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht.“ Das schon geborene menschliche Leben der Frau, die unter Umständen gegen ihren Willen eine Schwangerschaft austragen muss, wird von ihm dabei übergangen. Zweifel an der Urteilskraft und dem Verantwortungsbewusstsein von Schwangeren zu Entscheidungen, die ihre Körper und ihr Leben betreffen. Als müsse man die Frau vor sich selbst schützen, denn sie wisse nicht, was sie da tue. Dabei sind sie es, die mit dem Wissen und dem Eingriff leben müssen. Was sagt diese Bevormundung über das Menschen- oder Frauenbild solcher Politiker aus?
Wir spulen zurück: Dieser Jens Spahn, der Frauen darauf hinwies, dass die „Pille danach“ ja wohl „kein Smartie“ sei und vielleicht glaubte, ihnen damit neues Wissen vermittelt zu haben. Die „Pille danach“ führt zu Nebenwirkungen und greift bei Einnahme massiv in den Hormonhaushalt einer Frau ein. Dies könnte einer der Gründe sein, warum es Ländern wie den Niederlanden und Frankreich – wo es die „Pille danach“ bereits seit Jahren rezeptfrei in den Apotheken zu kaufen gibt – bisher nicht dazu führte, dass sie sich die Mehrheit der Frauen zum Spaß, zum Snack oder als Alternative zur Verhütung die „Pille danach“ einwarfen. So wie es kein neuer Trend einer Freizeitaktivität sein wird, eine Schwangerschaft abzubrechen.
Irrtum 3: Kritiker des Werbeverbots sind Verfechter von Abtreibungen
Ich bin überzeugt, dass sich kein einziger vernünftiger Mensch finden wird, der Abtreibungen erstrebenswert und gut findet. Jede Partei und auch Ärzte und Ärztinnen sowie Schwangere werden sich alle darauf einigen können, dass sich niemand eine Abtreibung wünscht und die Menschheit besser dran wäre, wenn kein Mensch jemals in diese Situation kommen müsste. Dass dieser Zustand schlichtweg unrealistisch ist und es vielerlei Gründe und Notlagen gibt, einen Abbruch dennoch vornehmen zu müssen, scheint jedoch ebenso klar. So ist es eine Frage des Informationsrechts, aber auch der politischen Angemessenheit, möglichst viel Transparenz zu schaffen und diesbezüglich bewusst zu bilden und zu informieren, statt diese Bildung und Information unter Strafandrohung zu unterbinden. ProFamilia ist einer der gesetzlich anerkannten Träger, die verpflichtende Beratung bei der Abwägung eines Schwangerschaftsabbruches anbieten. Auf ihrer Homepage findet sich ein ganz zentraler Hinweis: „Ob Sie eine ungewollte Schwangerschaft fortsetzen oder ob Sie Ihre Schwangerschaft abbrechen lassen, ist eine Entscheidung, die Sie selbst treffen. Weder Partner, Familie, Ärzte oder Ärztinnen oder staatliche Behörden dürfen Ihre Entscheidung durch Druck, Einschüchterung, Bevormundung oder gar Strafdrohungen beeinflussen.“ Wie eine Beeinflussung und Bevormundung mitsamt des bisherigen Paragraphen 219a ausgeschlossen sein soll, bleibt für mich noch ungeklärt.
Handlungsbedarf: Für eine Änderung von 219a. - Werben vs. Informieren und politische Ansätze
Die Linken und Grünen plädieren für eine komplette Abschaffung von §219a. Die FDP schlägt derweil kluge Abschwächungen und eine Reform des Paragraphen vor und will nur grob anstößige Werbung unter Strafe stellen. Die Liberalen zeigen sich offen für den Diskurs und andere Modelle einer Änderung, denn „die jetzige Rechtslage setzt seriöse Ärztinnen und Ärzte der Gefahr der Strafverfolgung aus“, so Marco Buschmann (FDP).
Zunächst hatten sich auch die Sozialdemokraten stark gemacht, §219a abzuschaffen, zogen den Gesetzesentwurf vor CDU/CSU jedoch wieder zurück, weil Uneinigkeiten bestehen blieben. Als Kompromiss einigten sich die Koalitionspartner auf die Ausarbeitung eines gemeinsamen Vorschlages. Kanzleramtschef Braun (CDU) sieht eine komplette Streichung für nicht unbedingt erforderlich, denn „einig sind sich Union und SPD, dass wir Informationen für betroffene Frauen zur Verfügung stellen wollen und den Ärzten Rechtssicherheit garantieren wollen“, sagte Braun. Eine radikale Änderung von §219a, der klaren Unterscheidungen zwischen sachlicher Aufklärung und kommerzieller Werbung unterscheidet, ist überfällig. Dabei sehe ich keine Zukunft, in der Ärzte und Ärztinnen in Deutschland „Buy now! Zwei zum Preis von einem! Live your life to the fullest“ in Leuchtschrift und mit prominenten Werbegesichtern schalten. Eine wesentliche Änderung des Paragraphen 219a gewährleistet weiterhin das unreflektierte Animieren oder die Beschönigung eines Eingriffes in die Schwangerschaft. Die Entscheidung für Information zum Thema und Angebot medizinisch durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der deutschen Gesetzeslage ist in erster Linie erst einmal eine Entscheidung für Wissen der Sachlage, das einer Entscheidung sowohl für, als auch gegen einen Schwangerschaftsabbruch immerzu vorausgehen sollte.
Ein möglicher Kompromiss könnte einerseits eine solche Änderung des Paragraphen darstellen, die eine Differenzierung zwischen klarer Werbung und sachlicher Information vornimmt. Des Weiteren könnte eine staatlich anerkannte Drittstelle Sachinformationen frei zugänglich aufführen. Also über die Möglichkeiten und Verfügbarkeit von Ärztinnen und Ärzten in der Region, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, informieren und einen anonymen Zugang zu diesen Informationen bereitstellen.
Falsche Annahmen eines problematischen Menschenbildes
Die Ängste von jenen Menschen und Politikern, welche den Paragraphen in seiner aktuellen Form behalten möchten, setzen sich in der Debatte aus folgenden Vorannahmen zusammen:
1. Frauen, die sich informieren, wollen ihre Schwangerschaft unbedingt abbrechen. Da der Abbruch verhindert werden soll, sollte man auch keine Information über das Angebot in der Umgebung ermöglichen.
2. Frauen gehen leichtfertig mit Schwangerschaften um oder würden dies bei Abschaffung oder Änderung des Gesetzes tun.
3. Wer gegen das sogenannte Werbeverbot vorgeht, impliziert seine positive Haltung gegenüber Abtreibungen.
Alle drei Prämissen halte ich in der Debatte für mindestens verkürzt, wenn nicht gar auf absurde Weise für komplett falsch.
Irrtum 1: Hinweise und Angaben über Schwangerschaftsabbruch im Internet führen zu mehr durchgeführten Abbrüchen.
Der bestehende Paragraph kriminalisiert Ärzte und Ärztinnen, denen es unmöglich gemacht wird, zum Thema Schwangerschaftsabbruch zu informieren: Sachlich aufzuklären, sowie die neutrale Faktenlage zum Angebot potentieller Schwangerschaftsabbrüche liefern dürfen – ich wäre sogar davon ausgegangen, dass sie das müssten – und dies auch auf der Website ihrer Praxis tun, um Frauen in Notsituationen schnelle, anonyme und transparente Informationen bereit zu stellen. Der gesamte weitere Verlauf mitsamt der Bedenkzeit und psychologischen Vorgesprächen würde genauso wie bisher bestehen. Frauen müssten zuvor jedoch nicht im Dunkel eines Tabus stehen, über das es im Internet nur dubiose Einträge zu finden gibt. Denn das herrschende Tabu, das Schwangerschaftsabbrüche und entsprechende Frauengesundheit umgibt, bleibt ein eindringliches Problem. Eine Frau, die ungewollt schwanger wird, kämpft auf vielerlei Weise allein. Sie erfährt es in der Regel allein, ahnt es allein. Da passiert etwas, in ihr, und ihr als Person. Ihr allein und niemand anderem. Gedanken, Abwägungen, Ängste, Sorgen. Allein, allein. Frauen in einer ungewollten Schwangerschaft befinden sich in einer körperliche, sowie psychischen Notlage, denn sie ist – und das sollte jetzt keine Überraschung sein – nicht gewollt in diesen Ausnahmezustand gelangt. Durch das „Werbeverbot“ wird Frauen die Ausübung ihres Informationsrechts vorenthalten oder zumindest ganz bewusst erschwert. Dies führt zu der Absurdität, dass einerseits Frauen im Falle einer ungewollten Schwangerschaft keine legalen Möglichkeiten haben, sich eigenständig über die Möglichkeit und Risiken eines Abbruches zu informieren. Andererseits wird Ärzten die legale Möglichkeit der Gewährleistung von notwendigen Informationen genommen. Erst im Beratungsgespräch vor Ort kann eine betroffene Frau erfahren, wie das Versorgungsnetz vor Ort ist und ob in ihrer Region überhaupt die Möglichkeit besteht. Sucht man nach diesen Informationen bisher im Internet, fühlt man sich wie im Darknet. Als tippe man auf leisen Sohlen in die dunkle Gasse der verbotenen, dreckigen, gefährlichen und schamvollen Dinge. Kriminalisiert fühle ich mich allein schon auf der Reise durch semiseriöser Erklärungen und aufgebrachter Foreneinträge voller Verurteilungen. Abtreibungsgegner können im Internet nämlich frei Werbung für ihre Agenda und sich den §219a systematisch zu Nutze machen. Mehr Information jedoch schafft Reflexion, mehr Sicherheit und weniger Isolation. Der bewusste Eingriff in die Aufklärungsarbeit über Sexual- und Frauengesundheit ist die entmündigende Vorwegnahme der Entscheidung über andere Körper und andere Leben. Eine Entscheidung zu einer Suche zur Information ist die Entscheidung zur Auseinandersetzung mit der Thematik. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bestätigt diese Haltung. Bei Informationslücken der derzeitigen Rechtslage „werden wir sicher eine Lösung finden, dass Frauen einen noch besseren Zugang zu allen nötigen Informationen bekommen.“
Irrtum 2: Schwangerschaftsabbruch als leichtfertige Alternative
In den Debatten wird oft so argumentiert, als sei eine Abtreibung ein ganz normales, angenehmes Unterfangen, dem sich Frauen gerne unterziehen und das nicht mit riskanten und erheblichen Eingriffen in ihre Gesundheit verbunden ist. Eine Sorge, welche gegen die Änderung des Paragraphen vorgebracht wird, ist dass Männer und eben konkret Frauen in Zukunft leichtfertiger mit ihrer Sexualität und Verhütung umgehen, sodass Abbrüche zu einem gängigeren Mittel zur Verhütung genutzt und gesellschaftlich akzeptiert werden. Also die Vorstellung von Abtreibungen als pragmatische Norm. „Meiner Meinung nach argumentieren so immer Menschen, die sich nicht wirklich mit der Realität auseinandersetzen“, so Hänel. „Ich habe mittlerweile 30 Jahre Erfahrung mit betroffenen Frauen. Ich weiß, in welchen Situationen sie einen Schwangerschaftsabbruch machen. Keine Frau geht diesen Schritt leichtfertig. Es ist absurd, anzunehmen, dass mehr Frauen sich dazu entschließen würden, wenn man die Restriktionen wegnimmt.“
Was diesem Irrtum zugrunde liegt, ist ein Menschenbild, was Frauen nicht zutraut, dass sie 1. vernünftig ihre Situation abwägen und beurteilen können und sie dadurch 2. nicht in der Lage sind, die richtigen Entscheidungen über ihre Körper zu fällen und 3. sie per se allein die „Schuld“ daran tragen, in diese Situation gekommen zu sein, sodass ihnen die Entscheidung folglich lieber ab- und vorweggenommen wird, wie das mit der Zensur sachdienlicher Hinweise zu Schwangerschaftsabbrüchen getan wird. Dass ungewollte Schwangerschaften jedoch durch ganz verschiedene Umstände entstehen können – abseits von Gewaltverbrechen – z.B. durch Verhütungsfehler, die von beiden beteiligten Sexualpartnern ausgehen muss, bleibt durch den Paragraphen 219a nicht wegradiert. Mit weniger Information schafft man in erster Linie nicht weniger Abtreibungen, sondern mehr Angst, mehr psychischen Stress und füttert ein riesiges unausgesprochenes Problem des schamvollen Tabus.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich zunächst scharf gegen die Änderung ausgesprochen. Er wundere sich über „die Maßstäbe“, denn „wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos“ und in der Debatte um das Werbeverbot werde „manchmal gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht.“ Das schon geborene menschliche Leben der Frau, die unter Umständen gegen ihren Willen eine Schwangerschaft austragen muss, wird von ihm dabei übergangen. Zweifel an der Urteilskraft und dem Verantwortungsbewusstsein von Schwangeren zu Entscheidungen, die ihre Körper und ihr Leben betreffen. Als müsse man die Frau vor sich selbst schützen, denn sie wisse nicht, was sie da tue. Dabei sind sie es, die mit dem Wissen und dem Eingriff leben müssen. Was sagt diese Bevormundung über das Menschen- oder Frauenbild solcher Politiker aus?
Wir spulen zurück: Dieser Jens Spahn, der Frauen darauf hinwies, dass die „Pille danach“ ja wohl „kein Smartie“ sei und vielleicht glaubte, ihnen damit neues Wissen vermittelt zu haben. Die „Pille danach“ führt zu Nebenwirkungen und greift bei Einnahme massiv in den Hormonhaushalt einer Frau ein. Dies könnte einer der Gründe sein, warum es Ländern wie den Niederlanden und Frankreich – wo es die „Pille danach“ bereits seit Jahren rezeptfrei in den Apotheken zu kaufen gibt – bisher nicht dazu führte, dass sie sich die Mehrheit der Frauen zum Spaß, zum Snack oder als Alternative zur Verhütung die „Pille danach“ einwarfen. So wie es kein neuer Trend einer Freizeitaktivität sein wird, eine Schwangerschaft abzubrechen.
Irrtum 3: Kritiker des Werbeverbots sind Verfechter von Abtreibungen
Ich bin überzeugt, dass sich kein einziger vernünftiger Mensch finden wird, der Abtreibungen erstrebenswert und gut findet. Jede Partei und auch Ärzte und Ärztinnen sowie Schwangere werden sich alle darauf einigen können, dass sich niemand eine Abtreibung wünscht und die Menschheit besser dran wäre, wenn kein Mensch jemals in diese Situation kommen müsste. Dass dieser Zustand schlichtweg unrealistisch ist und es vielerlei Gründe und Notlagen gibt, einen Abbruch dennoch vornehmen zu müssen, scheint jedoch ebenso klar. So ist es eine Frage des Informationsrechts, aber auch der politischen Angemessenheit, möglichst viel Transparenz zu schaffen und diesbezüglich bewusst zu bilden und zu informieren, statt diese Bildung und Information unter Strafandrohung zu unterbinden. ProFamilia ist einer der gesetzlich anerkannten Träger, die verpflichtende Beratung bei der Abwägung eines Schwangerschaftsabbruches anbieten. Auf ihrer Homepage findet sich ein ganz zentraler Hinweis: „Ob Sie eine ungewollte Schwangerschaft fortsetzen oder ob Sie Ihre Schwangerschaft abbrechen lassen, ist eine Entscheidung, die Sie selbst treffen. Weder Partner, Familie, Ärzte oder Ärztinnen oder staatliche Behörden dürfen Ihre Entscheidung durch Druck, Einschüchterung, Bevormundung oder gar Strafdrohungen beeinflussen.“ Wie eine Beeinflussung und Bevormundung mitsamt des bisherigen Paragraphen 219a ausgeschlossen sein soll, bleibt für mich noch ungeklärt.
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