SEXISMUS | Über Schlampen und die Grenze der Friendzone

„Sei verfügbar, aber nicht zu verfügbar“, könnte man als Leitsatz nennen, an den Frauen sich halten müssen, um unverurteilt durch ihr L...



„Sei verfügbar, aber nicht zu verfügbar“, könnte man als Leitsatz nennen, an den Frauen sich halten müssen, um unverurteilt durch ihr Liebesleben zu kommen. Hält sie sich nicht daran, wird sie gleich als Schlampe abgestempelt oder aber ist diejenige, die all die guten Männer „friendzoned“.


Ist da etwas zwischen uns oder können wir auch Freunde sein?

Ich bin jemand, der ein paar Mal nicht so ganz oder zu spät verstanden hat, dass ein Freund wohl etwas von mir wollte. Vielleicht war er auch ein bisschen verknallt. Vielleicht war er das – wie ich immer überzeugt war – auch einfach nicht. Ich hab das ganz einfach deswegen nicht verstanden, weil ich es normal finde, wenn man nett zueinander ist und man Interesse an einer Person zeigt. Erst recht, wenn ich lange mit jemanden befreundet bin und nie etwas in die Richtung gesagt oder angedeutet wurde. All meine Freunde interpretierten das trotzdem immer recht zackig und warfen mir lachend vor, ich müsse ja schon sehr blind sein.
Das war nie böse gemeint. Es wurde gelacht, über den armen Verschmähten, über die Situation, über mich. Guter Joke. Dennoch waren diese Situationen und auch die Reaktionen etwas, was mich bis heute aufregt. „Mother of friendzoning“ schrieb man mir mal. Ich hab nicht gelacht.
Etwa zeitgleich kommt ein Mädchen neu auf meine Schule, mit der ich mich fast direkt anfreundete. Wir waren in dem Alter, in dem man gerade die ersten Male feiern ging. Das Alter, wo man in der sturmfreien Bude von Gleichaltrigen saß und den billigen Wodka oder Sangria trank, aber vielleicht noch nicht so genau wusste wieso. Meine Freundin knutschte an dem einem Wochenende mal mit dem einen Jungen auf einer Party, mal mit einem anderen Typen beim Feiern. Und – Hoppala – war sie plötzlich nicht mehr neu, sondern jedem war klar, „was das für Eine ist“.

Schlampen, Scham und Schuldzuweisung
– „Niemand, den du als Freundin willst“

Slut shaming, nennen die feministische Netzwelt und Soziologen das Phänomen, wenn eine Person (statistisch gesehen sehr viel häufiger Frauen) beleidigt oder herabgesetzt wird, weil sie ihre Sexualität auf eine Weise ausdrückt, die nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen übereinstimmt. Diese Erwartungshaltung und Verurteilungsform ermöglicht es, Frauen mit dem Ruf einer Schlampe zu versehen. Sie ist dann eine, die doch jeder hatte, die zu viel zeigt, zu viel tut, die rumhurt.

Ich sprach vor einer Weile mit alkoholisierten Kumpeln, die mir von einem Mädchen erzählten, die super „cool“ gewesen sein soll, „immer mindestens so viel getrunken hat wie wir“, mit der „man richtig Spaß haben konnte“. Okay, coole Sache. „Die hat aber mit jedem von uns rumgemacht“, wurde mit weniger Euphorie fortgefahren. „Naja, sagen wir mal, sie war halt niemand, den du als feste Freundin haben willst“.

Ich sehe ein, dass man sich seinen Partner selbst aussucht, meist sogar nach einem Ideal, das man irgendwie hat. Sei es jetzt näher an Adriana Lima, Charlotte Roche oder – hups – der eigenen Mutter angelehnt. Mit so einem Ideal sind natürlich auch bestimmte Eigenschaften impliziert, die man sich wünscht und welche, die einen abschrecken. Das ist eine Privatsache, sehr persönlich und auch sehr unterschiedlich. Wie die öffentliche Wahrnehmung von Frauen als solches und als Geschlechtsgruppe jedoch angeführt wird ist aber nicht privat, sondern etwas, was die Gesellschaft prägt.
Menschen dürfen machen, was sie wollen und so viele wechselnde Geschlechtspartner haben wie sie wollen – darin sind sich oberflächlich alle einig. Doch wird eine unsichtbare Grenze überschritten, gilt es subtil oder offen verbal plötzlich als doch nicht mehr akzeptabel. Sie ist dann selbst Schuld, wenn sie beleidigt wird. „Dann hätte sie das nicht tun sollen“ oder „das nicht tragen sollen“, hört man Männer und auch andere Frauen schulterzuckend sagen.

Die Skandalität von zu viel Sex?

Hat eine Frau auf eine Art und Weise Sex, die nicht den traditionellen Schemata entspricht oder hat sie einfach Lust, öfter mal mit unterschiedlichen Männern zu schlafen, kann sie also nicht mehr als eine anständige Frau wahrgenommen werden. Aber: Sinkt bzw. steigt der Wert eines Menschen mit der Anzahl der Sexualpartner? Kulturhistorisch ist das in vielerlei Hinsicht beobachtbar. Das Konstrukt der Jungfräulichkeit der Frau ist bei uns heute nicht mehr ganz so aktuell wie zuvor. Dass sie trotzdem nicht „Ganzkörperbekannt“ im ganzen Dorf sein sollte, ist aber noch immer wichtig.

Jessica Valenti, Autorin und Journalistin u.a. für den Guardian und Washington Post, fordert aufzuhören Frauen als Schlampen zu bezeichnen. Es sei nicht notwendig sich unter Frauen gegenseitig anzufeinden und man solle es ansprechen, wenn Männer das selbe tun. „Ich werde nie die Unterhaltung vergessen, die die Mitbewohner meines Freundes im College hatten“, schreibt sie. „Beide haben mit demselben Mädchen innerhalb eines Jahres geschlafen – sie nannten sie eine Hure und machten Witze über ihre ‚ausgeleierte‘ Vagina. Ich fragte, warum sie die schlechte Person in diesem Szenario ist – letztlich hatten sie auch mit ihr Gelegenheitssex. Sie konnten mir keine Antwort geben, aber das hinderte sie nicht daran, weiter zu lachen.“




Das Konzept des Friendzoning und Mädchen, die auf Arschlöcher stehen

Das Urban-dictionary beschreibt die Friendzone wie folgt:

What you attain after you fail to impress a woman you’re attracted to. Usually initiated by the woman saying, „You’re such a good friend“. Usually associated with long days of suffering and watching your love interest hop from one bad relationship to another. Verb tense is „Friend-ed“.

Gleich so vieles stört mich an dieser Definition.

1. „fail to impress a woman you’re attracted to“

Frauen friendzonen, Männer scheinbar nicht. Fragezeichen?

2. „long days of suffering and watching your love interest hop from one bad relationship to another“

Zu sehen wie der Schwarm in Beziehungen ist oder im regen Wechsel von einem schlechten Partner zu dem nächsten, ist nicht schön. Als Beobachter sieht man manchmal weniger von dem, was in Beziehungen vor geht, was Gründe für den Beginn und das Ende einer solchen Beziehung sind. Manchmal – gerade als Freund – hat man jedoch auch eine Distanz, die einem den Blick ein wenig schärft. „Frauen stehen halt auf Arschlöcher“ kommt mir als Phrase entgegen. Macht sich einerseits natürlich gut als simple Erklärung, warum man abgewiesen wird, andererseits habe ich auch einfach viele Frauen gehört, die etwas in die Richtung gesagt haben. Liebe Mädchen, die das sagen, mit Koketterie, mit Stolz und Lachen oder Scham: Wenn ihr das ernst meint, dann solltet ihr echt mal über euer Leben nachdenken, aber das ist ein anderes Thema…

Sex als Steigerung jeder Beziehung

Erst durch diese Prämisse der Bevorzugung der Arschlöcher wird der liebenswürdige Freund in der friendzone zum tragischen Helden. Er ist immer da, kümmert sich, ist nett. Und trotzdem wird er nicht als romantischer oder sexueller Partner gesehen und in Betracht gezogen. Eine wörtlich übersetzter Freundschaftsbereich wird plötzlich etwas, das negativ konnotiert ist. Wer als Freund auch cool genug aussieht, bisschen das Arschloch raushängen lässt, der bekommt ein Upgrade in die Lounge der sexuellen Anziehung, welche über jeder Freundschaft steht. Ist das so? Ist Sex immer das Ultimatum und das eigentlich beste Ziel einer Beziehung zu einem anderen Menschen?
Es wird außer Acht gelassen, dass es sich um vollkommen unterschiedliche Beziehungsebenen handelt, die anders behandelt und auch bewertet werden. Ich liebe meine Freunde. Anders jedoch als meinen Freund. Und übrigens auch anders als meine Familie und meine Eltern. Rollen sind in sozialen Dynamiken normal und menschlich, sie sind nicht zwangläufig wertend, sondern zeigen auf – wenn man sie denn setzt – in welcher Art von Beziehung man steht, auf welche Erwartungen und Pflichten man sich ggf. wortlos einigt.

Ich weiß auch wie sich Zurückweisung anfühlt. Meine erste Reaktion darauf ist jedoch keine Beleidigung der Person, an der ich Interesse gezeigt habe und ich benutze auch nicht den Ausweg, dass der Typ „ja wohl einfach nicht auf nette Mädchen steht“. Er steht nicht auf mich. Und das kann viele Gründe haben. Vielleicht weil er keine Lust hat, sich schlechte Wortwitze anzuhören, ihm meine Sturheit nicht gefällt, mich schlichtweg vielleicht einfach null attraktiv findet. Wenn A aus Gründen kein Bock auf Typ B hat, ist Typ B doch noch lange nicht in der friendzone. Es gibt zahlreiche Gründe, warum man jemanden als Beziehungs- und Sexualpartner ablehnt und Person A ist noch lange nicht in Rechtfertigungspflicht.

Bevor man also das Opfer spielt – als netter Freund – weil man keine Anerkennung für Handlungen in der Ebene der Freundschaft mit Belohnungen auf Ebene von Beziehung und Sexualität bekommt, könnte man darüber nachdenken, ob man vielleicht schlichtweg kein netter Freund ist, sondern ein Schwachkopf. Vielleicht ist es eine Tatsache, dass du in einer seltsamen Blase unsichtbarer friendzone warst, aber dann war sie in einer „girlfriendzone“, in die sie ebenfalls nicht hinein wollte.

Was dich auf jeden Fall erwartet: Ein Urteil

Was hier passiert ist, ist dass der Wert einer Person über die Möglichkeit der Sexualisierbarkeit oder der Akzeptanz ihrer ausgelebten Sexualität beigemessen wird. Eins gilt dabei mit Garantie: Es wird ein Urteil gefällt. Die Bezeichnung einer Schlampe verurteilt eine Person in ihrem Recht Ja zu sagen – zu wem oder zu wie vielen Menschen auch immer. Die friendzone in dem Recht, abzulehnen – jeden oder wie viele Menschen auch immer. Sei verfügbar, aber nicht zu verfügbar.

Das Problem sind nicht Männer. Problem sind sexistische Modelle, die in der Gesellschaft verbreitet, anerkannt, wiederholt und nicht reflektiert werden, von jedem Geschlecht. Ich finde nicht, dass Schlampen das Letzte sind und ebenso wenig, in der Friendzone zu sein. Ich finde es erbärmlich, dass diese Modelle überhaupt konstruiert wurden.




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