Der Populist in dir - Überlegenheit, Bubbles, Toleranz und Hannah Arendt

Demokratie heißt andere Meinungen ertragen zu müssen. Es gibt aber Meinungen, die ich für so schlimm oder auch schrecklich falsch halte, d...


Demokratie heißt andere Meinungen ertragen zu müssen. Es gibt aber Meinungen, die ich für so schlimm oder auch schrecklich falsch halte, dass ich fast schon körperliche Schmerzen empfinde, sie zu hören oder zu lesen. Die Abneigung oder den Ekel gegenüber derjenigen, die mir etwas von rassistischer Überlegenheit, von Defiziten der Frau oder der Abwägung von Menschenwürde erzählen wollen verstehe ich also ganz gut. Diese aus meinem Social Media Feed zu löschen und in Gesprächen zu vermeiden ist auch besser für meinen Blutdruck und mein Seelenheil. Ich gestehe, Accounts aus meiner Liste gelöscht zu haben, weil ich sie für dumm hielt. Ganz merklich kriecht da aber etwas in mir hoch: Zweifel. Zweifel an der Zukunft gesellschaftlichem Klimas und daran, Zweifel an meinem Verhalten und daran ein Problem lösen zu können, ohne es anzuerkennen.







Gesellen wir uns gemeinsam an den Tisch der Ehrlichkeit. Jeder nimmt sich eine Tasse Tee oder eine Bionade und wir legen die Karten auf den Tisch.


Haben wir darauf schnelle Antworten? Wer seine Meinung ändert, sich umstimmen lässt oder eingesteht, keine Lösung zu haben, der hat kein gutes Standing. So war das schon damals mit der Clique beim Vortrinken, wenn man zugab etwas nicht zu wissen, was als Allgemeinwissen galt und jeder lachte und so ist überlebt es auch heute noch. Zwar sind Offenheit, Kritikfähigkeit und Ehrlichkeit Charaktereigenschaften, die wir fantastisch finden (übrigens auch bei der Wahl unseres Partners!), doch die tatsächliche Ausübung fällt uns selbst manchmal reichlich schwer. Lieber als ehrlich und voller Eingeständnisse sind wir nämlich klug und bereits sicher und fertig.

Insbesondere PolitikerInnen, die ihre Haltung verändern, haben schnell den Ruf als inhaltloses "Fähnchens im Wind" in einer Politik, in der "Verantwortung übernehmen" mit der Erwartung eines Amtsrücktritts einhergeht und ein "Da hast du wohl recht" in einem Alltagsstreit manchmal dem Schuldeingeständnis eines Verlierers gleich kommt.

Wir leben in einer politischen Kultur, in der das Zugeben von Fehlern mit einem noch viel schlimmer wahrgenommenem Fehler einher kommt: Schwäche.

Menschliches und argumentatives Wachstum soll bereits abgeschlossen sein. Und daraus entsteht die Forderung der richtigen, einfachen und möglichst schnellen Antwort. Kein Wunder, dass überall der Populismus blüht. Chauvinisten in Machtpositionen überall und jeden zweiten Tag eine große Schlagzeile. Möglichst laute Reden, gewichtige Schlagworte, aggressives Durchsetzungsvermögen, Reichweite, Likes und Beifall. Ein Verhalten das vor allem der Selbstdarstellung dient. Politische Aussagen bleiben nicht länger wirkender Teil einer lösungsorientierten Diskussion, sondern werden in solch einer Welt zur Arbeit am eigenen Image und zur inszenierten Performance. Ladies and Gentlemen, die gruselige Selbstreflexion: Machen wir das auch?



Wir lieben es mit Menschen zu reden, die genauso sind wie wir, suchen uns im Durchschnitt unsere Freundschaften auf die Weise aus: Menschen, in denen wir Ähnlichkeit zu uns und unserer Lebensgeschichte sehen, die uns beipflichten. Wir umgeben uns mit Gleichgesinnten, denn wir lieben spannende Unterschiede nur dann, wenn sie aus einer grundsätzlichen Einigkeit herauswachsen – und wir sie spannend finden und nicht doof. So können wir über das reden, was wir aus tiefstem Herzen glauben, über das, was uns verletzt und aufregt und wir werden dabei unterstützt. Das gilt im sozialen Bereich vom Wunsch emotionalen Verständnisses in Freundschaften und auf politischer Ebene und ermöglicht jede Echokammer rechter Extremisten wie auch Filterbubbles linksliberale Sozialaktivisten. Wir lieben es, uns bestätigt zu fühlen, denn Zustimmung ist Balsam für die Seele – und für's Ego.
Confirmation Bias nennt man das in der Kognitionspsychologie - eine verzerrende Tendenz, Informationen so auszuwählen, zu akzeptieren und zu interpretieren, dass sie unsere bisherigen Erwartungen und Haltungen bestätigen. Wir sind allein schon aufgrund unserer subjektiven Wahrnehmungsperspektive niemals der Bösewicht in unserer eigenen Geschichte und dieser Effekt trägt dazu bei, uns selbst im Recht sehen - alles andere könnte unterbewusst verletzen oder verwirren.


Was uns im Alltag logisch erscheint, ist in der Identifikation des "Gutseins" im Kontrast zu den "anderen" keineswegs die Folge eines ethisch überlegten Zuges. Aus Sicht der Argumentationstheorie und Metaethik ist sie vorallem die Vermeidungsstrategie von Komplexität oder gar eine überhebliche Überschätzung des Typus predigenden Moralisten. Sie offenbart Faulheit im Denken, der Auseinandersetzung und manchmal einen Hauch von Egozentrismus. Wir kommen nicht aus unserer Haut, wenn wir uns nicht bewusst aus ihr herausbewegen. Müssen wir aber.

"Moral ist nicht gratis zu haben. Wir müssen um sie ringen. Welche Entscheidung in einem konkreten Fall moralisch richtig ist, ist kaum je eindeutig. Mit dieser Ungewissheit zu leben, ist anstrengend. Doch das ist der Preis, mit dem wir das kostbarste Erbe der Aufklärung bezahlen: die Freiheit. Ein selbstgerechter Moralismus, der glaubt, der Unübersichtlichkeit der Welt mit ein paar Imperativen beizukommen, begeht einen fatalen Denkfehler: Vernunft ist keine Ware, die gebrauchsfertig bereitliegt. Sie ist ein Projekt, das immer wieder neu entsteht, aus dem Widerstreit von Positionen, aus dem Kampf um das bessere Argument." - Thomas Ribi

Doch heutzutage wird die Konfrontation zu radikal Andersdenkenden online und offline vor allem dann gesucht, wenn man ihn von seiner Meinung abbringen, sie als falsch bloßstellen und gewinnen will. Dabei war Zweck des Diskurses tatsächlich nie das Überreden des anderen und die Bestätigung dessen, was ich eh schon zu wissen glaube: Der Zweck ist Reibung. Das Aufeinandertreffen verschiedener Haltungen, Perspektiven und Inhalte. Bestenfalls mit dem Ausgang eines (Zwischen-)Ergebnisses, das weiter an eine Lösung eines Problems, an Erkenntnis und gegenseitiges Verständnis führt – Diskurs ist argumentative Kommunikation, Verständigung.

Alles andere könnten wir uns ja auch sparen, wenn beide Parteien eines Gesprächs wissen, dass sie niemals von ihrem Standpunkt abweichen wollen, komme was wolle. Wieso dann überhaupt?





Entweder du bist für etwas oder dagegen. Könnte man meinen. Pro- oder Contra. Dabei wissen wir eigentlich auch aus unserem Privatleben, dass es oftmals eben nicht so einfach ist. Kategorien wie super oder scheiße sind vielleicht nicht richtig, aber so schön einfach für uns. Was lieben wir, was hassen wir. Schnell ergibt sich daraus, wer zu uns gehört und wer gegen uns ist, wem wir welches Etikett des Plastiktütenkäufers, des Flüchtlingskritikers, Fleischessers oder grundsätzlichem Sexisten aufstempeln können. Meinung! Haltung! Alerta! Schnell! Radikal!
Undifferenzierte Urteile wie aus der Pistole geschossen sind gerade in politischen und moralischen Fragen fast schon normal, radikales schwarz-weiß Denken gerade im jungen Aktivismus. Und auch das ist schade. Das Vereinfachen von Antworten, das Zuspitzen auf ein "gut" und "böse" und der Anspruch auf Wahrheit, die die anderen bloß noch nicht erkannt haben. Strategien, die wir eigentlich von religiösen Predigern oder von Populisten kennen. Wenn wir ehrlich sind, leben wir sie ganz oft aber auch selbst aus. Auch uns geht es um Etiketten. Sie sagen uns auf Packungen von Kosmetik oder des Fair Trade Kaffees, ob sie moralisch einwandfrei und gut sind. Wir legen sie selbst auf uns, bezeichnen uns kategorisch. Als Feministinnen, Veganerinnen oder gar Social Justice Warrior, geben uns Rollen mit Zuschreibungen, die wir gut bewerten. Wir wollen gefälligst das gute Abzeichen, wir haben es verdient.


"Mit denen rede ich ganz sicher nicht." - Ein Muster, das sich inzwischen in jedem politischen Lager und auch in moralischen und politischen Individualdiskussionen in Alltag und Social Media finden lässt: "Mit Faschisten rede ich nicht!" ist die neue und alltagstaugliche Version des Trump'schen "Mit Medien spreche ich nicht, die lügen eh nur!" Unfollow me, wenn du mir widersprichst.

Schaue ich auf mich selbst und Familienfeiern, auf gescheiterte Versuche und all die Wut und Ohnmacht, die in mir aufkommt, verstehe ich es. Es kostet Zeit, Kraft und Nerven, wovon wir mittlerweile ohnehin schon viel zu wenig haben. Es gibt außerdem Themen, die mich persönlich zutieftst mitnehmen, aufregen und überreagieren lassen. Ein schreckliches Gefühl, verletzend und frustrierend. Ich verstehe es auf emotionaler Ebene der Privatperson. Schließe ich damit jede Möglichkeit eines problematischen Dialogs aus, mache ich es mir selbst leichter. Aber der Veränderung gleichzeitig schwerer.
Auseinandersetzung tut manchmal weh und frustriert, doch "Der Demokrat ist Schmerzkünstler", sagt Volker Kitz. Er muss es sein, denn Schmerzen dieser Art sind ein Lebenszeichen einer Gesellschaft, in der Freiheit und Vielfalt herrschen. "Diese Gesellschaft schmerzt nicht nur. Sie nährt auch eine aufgeklärte Gelassenheit, die uns durch turbulente Zeiten lotst." Wir brauchen Vertrauen in die Grundlage von Toleranz und die Stärke von Argumentation. Andernfalls können Demokratie und Aufklärung nur an Wirkkraft verlieren. Müssen wir also mit allen reden?


"Aber man sollte denen keine Bühne geben", begründen einige die Tatsache, dass sie nicht mit Rechten reden wollen. Da stimme ich zu. Ich glaube allerdings, dass es einen Unterschied gibt, ob ich jemanden eine Bühne gebe und ihm damit ermögliche sich vor einem großen Publikum zu vermarkten, oder aber ihn überhaupt erlauben oder verbieten zu wollen, sich beim Ansehen, Kommentieren und Reflektieren des Bühnenschauspiels namens Demokratie zu beteiligen. Die Bedingung zum Mitspielen in der Demokratie ist nämlich nicht besondere Intelligenz, sondern für jeden da, der seine Grundregeln akzeptiert.


Wenn ich sage, ich rede nicht mit Rechten, meine ich da eigentlich: Das soll schon jemand tun, aber ich selbst will nicht? Oder meine ich damit, das sollte man grundsätzlich nicht tun? Ein Boykott von Menschen aufgrund politischer Haltung? Eine Ebene, auf der ich die Absage eines Dialogs tatsächlich überhaupt nicht verstehe ist die, tatsächlich zu glauben, dies sei eine produktive Lösung zur Beseitigung des politischen Problems. "Es bringt einfach nichts", sagt die Erfahrung vieler, die gegen Menschen diskutieren, die eine ganz andere Meinung vertreten. Zum einen bin ich der Auffassung, dass eine Diskussionen niemals ein Kampf gegen die Person ist, sondern höchstens gegen den Inhalt gerichtet sein soll, den man für falsch hält. Zum anderen halte ich den Vorwurf der Sinnlosigkeit aufgrund zweier Dinge allerdings für zu kurz gedacht.


Kommunikation: Jede Diskussion bringt etwas.

Selbst wenn es bloß die Erkenntnis ist, dass es Menschen gibt, die etwas anders sehen als ich und mein Umfeld es tun. Dass es Menschen gibt, die ähnliche oder ganz andere Werte haben als ich, die ähnliche oder ganz andere Informationen haben und Schlüsse ziehen als ich. Geht man aus einer Diskussion heraus und jeder hat noch immer die gleiche politische Positionen, weiß ich allerdings zumindest, all das, was im Kopf der Gegenseite vorgeht: An welchem Punkt sich unsere Pfade trennen, bis wohin sind wir uns einig sind und was sehen wir grundsätzlich anders. Vielleicht sogar aus welchem Grund. Nur Gegenargumente können das eigene Argument stärken, denn durch sie erkennen wir Angriffspunkte, bei denen wir entweder falsch liegen oder die noch nicht überzeugend genug sind. Problematische Haltungen können nur widerlegt werden, indem man sie im Kern versteht, entweder auf inhaltlich argumentativer Weise oder persönlicher psychologischer.

Bringt es denn was, nicht mit ihnen zu reden?

Die Antwort auf die Frage, warum ich mit jemandem denn diskutieren sollte, der so falsche Dinge behauptet erübrigt sich für mich recht schnell: Weil er so falsche Dinge behauptet. Wenn jemand offensichtliche Unwahrheiten in die Welt setzt, ist für mich genau das der Grund, warum man mit ihm sprechen und davon abhalten sollte. Wenn jemand etwas grundsätzlich falsch versteht, ist exakt das der Grund, warum man mit ihm reden sollte. Auf die Frage "Mit Rechten reden?" fällt mir eben nicht ein Ja oder ein Nein an, sondern die simple Gegenfrage:


Sie werden auch nicht durch einen Geistesblitz plötzlich genau das Gegenteil vertreten. Wenn wir diejenigen ignorieren, die uns widersprechen, was glauben wir dann, wie sich dieses Problem dann löst? Zwar ist Auseinandersetzung unter Umständen qualvoll vielleicht nicht die dankbarste Methode, doch was soll aus konsequenzialistischer Sicht sonst die Alternative sein?
Nicht mit denjenigen zu reden, die man für gefährlich hält trägt schlimmstenfalls sogar zu dem Gegenteil bei: Mit politischen Problemen ist es wie mit Tabus oder Ängsten. Dadurch, dass man sie unter den Teppich kehrt sind sie nicht verschwunden. Sie tauchen zwar im eigenen Wahrnehmungsfeld, im eigenen Feed und im eigenen Öhrchen nicht mehr auf, sie sind aber weiterhin da und real. Und wie mit Tabus oder Ängsten besteht die Gefahr, dass sie dadurch sogar größer werden oder sich verfestigen, weil man ihnen die Vorteile einer tabuisierten Underdogposition noch auf dem Silbertablett des Exils serviert, während man doppelmoralisch gleichzeitig für Pluralismus, Diversität und gleiche Rechte für alle plädiert. Der Mangel an Kommunikation führt nicht zur Ausmerzung von Meinungen, sondern im Zweifelsfall zur Entpolitisierung oder gar der Befürwortung extremer Ressentiments.



Konstruktive Gespräche können nur auf der Grundlage der Bereitschaft und des grundsätzlichen Respektes gegenüber einer anderen Person entstehen, der Anerkennung, dass sie es wert sind, dass ihre Meinung gehört wird, egal wie diese Meinung aussieht. Frank Richter sieht in der Haltung "agree to disagree" eine politische Kulturleistung. Einigkeit in der Uneinigkeit, denn die Möglichkeit diversen politischen Diskurses und die Toleranz sind Grundlage moderner Demokratie. Gerade Toleranz jedoch scheint einer der missverstandenen Begriffe des 21. Jahrhunderts zu sein. Der Jurist Volker Kitz erklärt die Fehlinterpretation:


Die Furcht, die oft besteht wird im philosophischen "Paradox der Toleranz" deutlich: Was, wenn wir durch zu tolerantes Verhalten dazu beitragen, dass sich Toleranz selbst zerstört und abschafft? Kitz entgegnet, dass unser Rechtssystem aus diesem Grund nicht zulasse, "dass aus einer Meinung ein Angriff wird, etwa eine Beleidigung oder Volksverhetzung. Dass einem Menschen, ob wir ihn mögen oder nicht, gleiche Menschenrechte abgesprochen werden."
Toleranz heißt nicht das Gutheißen von Verhalten, Konventionen und Menschen, die man ohnehin schon gut findet. Sie ist die Akzeptanz derer, die wir in ihrem Verhalten, ihren Konventionen oder ihrer Person nicht mögen und nicht verstehen. Derer, die ganz anders sind als wir selbst. Wer aufgibt miteinander zu sprechen und beginnt eigene Sphäre der unterbundenen und homogenen Rede zu schaffen, handelt tatsächlich entgegen politischen Konstruktivität. Wer bestimmte Diskussionen der politischen Meinungsbildung gründsätzlich blockiert, Menschen in Riegen einteilt, die man gar nicht hören, nicht sehen, gar nicht erst ernst nehmen will, scheitert an glaubhafter Demokratie: "Toleranz hat auch nichts damit zu tun, einem fremden Standpunkt zuzustimmen. Sondern damit, die Existenzberechtigung des anderen anzuerkennen, auch wenn mich dieses andere stört. Wenn ich Meinungen höre, die ich verwerflich finde, dann sollte ich widersprechen. Den Raum dafür schaffen kann aber nur Toleranz."



"Withdrawal from public affairs is more than a sign of cynical escapism and alienation; for Arendt, it denotes the situation of ‘worldlessness,’ whereby the sense of shared reality begins to disintegrate. Worldlessness is like a desert that dries up the space between people. By resigning ourselves to the belief that political engagement is futile, we remove ourselves from the world and from one another. As Arendt argues in Crises in the Republic (1972) and her posthumously published The Promise of Politics (1993), when we lose touch with the world, we experience a dangerous ‘remoteness from reality.’ Worldlessness, as the loss of a shared common space, typifies the post-truth age of alternative facts and conspiracy theories. In reducing the boundaries of the world to ourselves and our digital bubbles, we foreclose connections with a larger shared reality full of people with conflicting beliefs. By retreating to the inner citadel, we limit chances to find common ground with those holding different political opinions. Remoteness and withdrawal leads to tribalism and the inability to listen to the other person’s point of view." - Siobhan Kattago

Meinungsfreiheit, Toleranz und Diskussionskultur bedeuten auch das Recht auf eine Meinung, die ich persönlich dumm finde, die aber dennoch gesagt werden darf, solange sie nicht gegen unser Rechtssystem verstößt. Demokratischer Diskurs muss von Fairness, von Gehörtwerden und dem Streben nach politischer Streitkultur, inhaltlicher Sachbezogenheit, Konstruktivität und letztlich auch Kompromissen bestimmt sein. Radikalität in Aggression und absolutem Wahrhheitsanspruch findet seinen Platz vor allen Dingen in Diktaturen, denen in anderen Ländern und unbewusst auch in der in unserem Kopf unserer Rechthaberei im Alltag.
Politischer Diskurs und auch historische Entwicklung sind niemals nachhaltig durch etwas wie reine Vermeidungsstrategien entstanden, sondern immerzu durch Konfrontation und Verständigung, wechselseitigem Verstehen und auch negativ empfundener Reibung. Vor wenigen Wochen feierten wir 100 Jahre Frauenwahlrecht und diejenigen, die dafür gekämpft hatten, darum gestritten hatten, um ihnen und allen Frauen in Deutschland das Recht endlich zugänglich zu machen, das ihnen zusteht. Sie haben nicht aufgehört zu reden, nicht aufgehört zu streiten. Wieso sollten wir rausnehmen zu glauben, wir hätten es nicht nötig?

Wenn es uns um so wichtige Dinge geht wie Menschenrechte, Sicherheit und Lebensrealitäten, dann muss es uns das Wert sein. Als Gemeinschaft. Wir können nicht denjenigen Ignoranz vorwerfen, die wir daraufhin ignorieren wollen. Wer eine gesellschaftliche Spaltung befürchtet, sollte nicht auch noch dazu aufrufen. Wer Differenziertheit in Argumenten wünscht, sollte nicht selber kategorisieren. Ich rede mit Rechten. Ich spreche mit Linken. Mit allem, was sich dazwischen befindet und ich spreche mit Extremisten, wenn sie sich darauf einlassen. Manchmal hasse ich es, denn es ist schrecklich und zermürbend, aber die einzige Möglichkeit, die wir haben, um politische Probleme zu lösen, ohne Gewalt anzuwenden. Nur wer spricht, kann widersprechen. Kommunikation kann schiefgehen. Nicht-Kommunikation wird schiefgehen.

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