ESSAY | Arbeit, Wirtschaft, Gerechtigkeit: Wieso es sich für mich mehr lohnt zu heiraten statt Karriere zu machen

Das Private ist politisch - Die Politik und das Private Familie, Beziehung und Alltag und allerlei Probleme, mit denen man sich dort ko...


Das Private ist politisch - Die Politik und das Private


Familie, Beziehung und Alltag und allerlei Probleme, mit denen man sich dort konfrontiert sieht, so privat wir sie empfinden, sind auf einigen Ebenen eben nicht rein individueller Natur, sondern struktureller. Das Private ist politisch, denn jede Art von Arbeitsteilung ist es. Der Zugang zu nahezu jedem feministischen Thema, seien es Chancengleichheit, Sprechakte, sexualisierte Gewalt, Slutshaming und Sexismus in breiter Öffentlichkeit, im Job, in den Medien und auch die Fragen nach Sichtbarkeit, nach Lohngerechtigkeit, die Frage danach, ob ich Mutter und berufstätig sein kann und nicht in Altersarmut falle, sowie das Thema Sorge- und Fürsorgearbeit, war in erster Linie das Bewusstwerden, wie viel in meinem Umfeld von Dynamiken rund um dieses Thema betroffen ist. - Wie sehr ich davon betroffen oder beteiligt bin und es noch weiterhin sein werde. Direkt danach kam Empörung über Statistiken und politische Stellschrauben hinzu:

Die Politik steht in der Pflicht, Rahmenbedingungen zu setzen, die die freie Entscheidung für allerlei Lebensmodelle ermöglichen.

Aus einem Positionspapier, das ich zum Thema Geschlechtergerechtigkeit, Wirtschaft und Vereinbarkeit geschrieben habe, lassen sich drei politisch weitläufige Zielsetzungen herausarbeiten: Ermöglichung gleichberechtigter Elternschaft, Modernisierung von Arbeitswelt und drittens Einkommenssicherung und Anreize für Erwerbstätigkeit von Frauen. Familienpolitik steht untrennbar in Zusammenhang mit Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, mit Wirtschaftswachstum, Zukunftsfähigkeit, Steuer- und Sozialpolitik und damit Gerechtigkeit. Der Fachkräftemangel ist hoch, die Geburtenrate niedrig und die Erwerbstätigkeit von Müttern ebenso. Dabei kann manchmal der Eindruck entstehen, Frauen würden systematisch in der geringen Erwerbstätigkeit, gar in finanzielle Abhängigkeit, gehalten, u.a. durch ein Versagen des Zusammenspiels von Familien und Arbeitsmarktpolitik.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken und somit Anreize und leichtere Spielräume für Familiengründungen schaffen: Eine familienorientierte Politik ist nicht nur etwas, das in der sozialen Zelle der Gesellschaft Probleme löst, sondern eben auch den wirtschaftlichen Bereich maßgeblich prägt. Zum Positiven. Dennoch scheinen sich auch Arbeitgeber gegen Veränderungen dieser Art zu sträuben. Die deutsche Wirtschaft verliert die Frau und damit die Hälfte ihrer BürgerInnen in ihrem Potenzial an Wirtschaftskraft. Eine Ressource, die Studien zufolge, verhältnismäßig leicht vitalisiert werden und gleichzeitig vielerlei positive Wechselwirkungen hervorrufen kann, mal davon abgesehen, dass es vor allem eines hervorbringen sollte: Gleichberechtigung.
Gleichzeitig könnte man auch sagen: Die politischen Strukturen führen mittlerweile auch dazu, dass die Frau ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit verliert. Die Probleme liegen hierbei sowohl in noch immer gesellschaftlich verwurzelten Rollenmustern und Stereotypen, allerdings maßgeblich auch an politischer Rahmensetzung (oder dem Mangel dessen), die diese geschlechtsrelevanten Ungerechtigkeiten auch noch stützen und vertiefen. Als junge und gut ausgebildete Frau in Deutschland könnte dieses Positionspapier auch den zynischen Titel tragen: "Wieso es sich für mich mehr lohnt zu heiraten, statt zu studieren oder eine Karriere anzustreben." All das ist ein massives Gerechtigkeitsproblem, eines, das sozialen Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Ein durchaus feministisch lesbares Positionspapier, das über Frauenpolitik hinaus jedoch zeigt, dass diese geschlechtsspezifischen Ungleichheiten hochgradig relevant sind für soziale Gerechtigkeit, Familienpolitik, Attraktivität von Unternehmen, Innovation und Wirtschaftswachstum. Kurz: Zukunftsfähigkeit. Ziel dieses Positionspapiers ist es, aufzuzeigen, wo die Politik falsche Hebel setzt oder blinde Punkte enthält, die dazu führen, dass Frauen als immense Wirtschaftskraft verloren gehen und gleichzeitig in Deutschland nahezu in finanzielle Abhängigkeiten gedrängt werden.



Arbeitsmarktpolitik & Geschlechtergerechtigkeit

Lohngerechtigkeit - Der Gender Pay Gap

Der sogenannte Gender Pay Gap (GPG) bezeichnet die geschlechtsspezifische Lohnlücke, d.h. den prozentualen Unterschied des durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern und Frauen. Laut Statistischem Bundesamt betrug er 2018 bei Frauen 17,09€, bei Männern rund 21,60€. Aus diesen Zahlen ergibt sich die Prozentzahl des deutschen GPG von rund 21%.
Eine absurde Zahl auch deswegen, weil Mädchen bessere Schulabschlüsse machen, seltener Ausbildungen abbrechen, und ihr Studium mit besseren Noten abschließen. 21% ist eine Zahl, die vielerlei politisch relevante Fragen aufwirft, zumal Veränderungen kaum merklich sind: "Seit 2002 ist der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern fast konstant. Das Ziel der Bundesregierung, [ihn] bis zum Jahr 2010 auf 15% zu senken, wurde damit deutlich verfehlt", so Statistisches Bundesamt. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit weit hinten, 2015 hatten nur Estland und Tschechien höhere Einkommenslücken. Ursachen der geschlechtsspezifischen Lohnlücke sind an vielerlei Stellschrauben zu finden, auf die in Teilen im weiteren Verlauf des Positionspapiers noch näher eingegangen wird.

  • Berufswahl: Frauen wählen öfter als Männer Berufsbilder im sozialen und personennahen Pflege- und Dienstleistungsbereich, die schlechter bezahlt sind und weniger Anerkennung erfahren als diejenigen, die Männer präferieren wie z.B. im technischen Bereich.
  • Gender Care Gap: Frauen verzeichnen sehr viel mehr (und auch längere) familienbedingte Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Sorgearbeit. Sie leisten häufiger als Männer unbezahlte Tätigkeit wie die sogenannte Care Arbeit, sowohl Erziehung und Versorgung von Kindern, als auch Pflege von kranken und alten Angehörigen oder Arbeit im Haushalt. Laut BMFSFJ liegt der Gender Care Gap bei derzeit 52,4%.
  • Teilzeitfalle: Durch solche familienbedingten Erwerbsunterbrechungen gerät ein Wiedereinstieg in das vorherige Berufsbild meist in eine Art Teilzeitfalle. 47% der sozialversicherungspflichtigen beschäftigten Frauen arbeiten in Teilzeit, 62% der Minijobs werden von Frauen ausgeübt. Oftmals bietet die Reduzierung auf eine Erwerbstätigkeit in Teilzeit für Frauen die einzige Lösung, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.
  • Führungsposition: Die sogenannte gläserne Decke sollte einst als Metapher verdeutlichen, was Statistiken bereits mehrfach gezeigt haben: Schlechtere Chancen für Frauen, in Führungspositionen zu gelangen. Das BMFSFJ sieht Gründe für die Unterrepräsentanz auch durch Rollenstereotype und geschlechtsspezifischer Zuschreibungen begründet, die in vielen Fällen zu indirekter Benachteiligung und mittelbarer Diskriminierung führen können.
Der sogenannte bereinigte GPG ist eine Berechnung, bei der derjenige Teil des Verdienstes herausgerechnet wird, der auf geschlechtsspezifisch strukturelle Unterschiede wie z.B. Berufswahl, Bildungsstand, Beschäftigungsumfang oder Anteil von Frauen in Spitzenpositionen zurückzuführen ist. Nach Statistischem Bundesamt lag dieser im Jahr 2014 bei 6%, d.h.


Bei gleicher Berufswahl, gleicher Position, gleichem Bildungsstand etc. erhalten Frauen in Deutschland durchschnittlich 6% weniger Gehalt als ihr männlicher Kollege, der die gleiche Arbeit leistet.

Eine politische Relevanz jedoch nur dem bereinigten GPG zuzuschreiben zeugt von Relativierung und Gedankenlosigkeit hinsichtlich Arbeitsmarktsegregation: Die Zahl  von 21% GPG ist nicht weniger real, sondern zeigt einen anderen Sachverhalt und Probleme auf, die es neben eindeutiger Entgeltdiskriminierung zu bearbeiten gilt. Ein Verweis darauf, Frau könne sich doch für einen besser bezahlten Job entscheiden verklärt tiefer liegende Ursachen der Auswahltendenzen und den Anspruch an Lohngerechtigkeit generell. Eine reine Humankapitaltheorie reduziert Verdienstunterschiede auf individuell-biographische Entscheidungen in der Ausbildung, eine im hohen Maß individualistische Lesart, die die Bedeutung von Geschlecht als Strukturkategorie für Ungleichheiten verkennt, so Sozialwissenschaftlerin Hendrix. Alternativ wird die soziologisch fundierte Devaluations- bzw. Entwertungs-These vorgeschlagen. 

Die riesige Zahl unbezahlter Care Arbeit

Unbezahlte Sorgearbeit von Frauen Wie bereits durch den Gender Care Gap angesprochen zeigt sich, dass vor allem strukturelle Faktoren die niedrigere Entlohnung von Frauen beeinflussen. Noch immer liegt die Hauptverantwortung der Pflege und Versorgungsarbeit größtenteils bei Frauen: Sie leisten täglich 52,4% mehr unbezahlte Tätigkeit als Männer, zeigt das Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht des Bundesfrauenministeriums.

Auch im Auge des demographischen Wandels von immer größer werdenden Bedeutung ist die Pflege von Angehörigen in Alter und Krankheit. 62% der Deutschen kümmern sich selbst um die Betreuung, ca. 6 Millionen Menschen leisten mindestens in Teilen die Pflegearbeit der Angehörigen eigenständig, zwei Drittel von ihnen sind weiblich. 67% der Frauen empfinden die Pflegearbeit als starke oder sehr starke psychische Belastung, 46% als starke oder sehr starke körperliche Belastung, geht aus der Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der R+V Versicherung hervor.

Laut Statista verbringen Frauen durchschnittlich 164 Minuten am Tag mit häuslichen Tätigkeiten wie putzen und kochen, während Männer lediglich halb so viel Zeit beim Verrichten von Haushaltsaufgaben verbringen. Damit bewegt sich der deutsche Mann im EU-Mittelfeld, hinter Ländern wie Polen, Frankreich, Dänemark. In vielen Partnerschaften bleibt Hausarbeit auch dann größtenteils Aufgabe der Frau, wenn sie selbst arbeitet deckte eine Studie des Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) auf, an der rund 5.000 berufstätige Paare teilnahmen:

Laut RWI-Studie übernehmen Frauen etwa drei Viertel der anfallenden Tätigkeiten. Tendenziell mehr Haushaltsarbeit leisten sie sogar dann, wenn sie in der Position der Besserverdienerin in Vollzeitkarriere sind.

Statistiken zeigen ebenso, dass kinderlose Paare Hausarbeit noch relativ egalitär aufteilen, doch nach der Familiengründung Traditionalisierungen auftreten: 40% der neu verheirateten Paare leben ein partnerschaftlich ausgeglichenes Modell von Hausarbeit, nach 14 Ehejahren trifft dies nur noch auf 13,7% zu.

Die wohl bedeutungsvollste Rolle für die Lohnungerechtigkeit sowie geringere Erwerbstätigkeit von Frauen kommt dem Fall einer Familiengründung durch Kinder und der strukturellen (Un)Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu: Väter konzentrieren sich nach der Geburt des ersten Kindes statistisch "noch stärker auf ihren Beruf und die Sicherung des Lebensunterhalts" durch Erhöhung ihres Erwerbsumfangs, während Frauen "ihre Erwerbstätigkeit massiv und dauerhaft" reduzieren und "die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen", so eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. In Deutschland arbeiten 70% der Mütter minderjähriger Kinder in Teilzeit, im Schnitt nur knapp 20 Stunden. 



Elternschaft & Arbeit

Neue Formen gelebter Familie und moderner Arbeitswelt

Die genannten Zahlen stellen aus normativer Sicht (mit Ausnahme empfundener Belastung) erst einmal nicht zwangsläufig ein Problem dar, sie sind Beschreibungen von Zuständen, die vorerst deskriptiv Ungleichverteilungen aufzeigen. Im Aufgabenbereich der Politik steht nicht die ideologische Zielsetzung eines gemeinsamen Lebensmodells, sie steht jedoch in der Pflicht, Rahmenbedingungen so zu setzen, dass es sich um möglichst freie Entscheidungen handelt. Jede selbstbestimmte Entscheidung als Mutter oder Vater einen Fokus der gemeinsamen Aufgabenverteilung auf Arbeit oder aber Familie zu setzen, scheitert an den Fremdbestimmungen politischer Strukturen: Der Ausbau von Kitas ist in Arbeit, doch längst nicht ausreichend und der Mangel an Kindergartenplätzen noch immer präsent: Es fehlen rund 273 000 Betreuungsplätze. In Kitas fehlen aktuell 106.500 Fachkräfte, so eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Schwierigkeit um Rückkehrrecht auf volle Stellen nach Elternpause und die Frage, inwiefern es sich ein Familienmodell "leisten kann", über Nachwuchs nachzudenken oder einer bestimmten Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind nur wenige Beispiele. Solange eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gegeben ist, kann eine gleichberechtigte Elternschaft nicht innerhalb der Optionen stehen.

Die Bundesrepublik ist – auch im europäischen Vergleich – tatsächlich noch eine Nation, die mit dem Übergang eines konservativen Familienbild in das der Postmoderne zu hadern scheint. Mütter sind nicht mehr Eltern, als es Väter sind. Jedenfalls nicht aus biologischer Sicht. Sozial, so könnte man fast meinen, scheint es anders: Journalist Johannes Schneider kritisiert dies in einem ZEIT Artikel von 2018. Schneider reflektiert sich darin, warum der Druck finanzieller Absicherung "so oft noch der Druck der Väter" ist und fragt: "warum lastet der Druck, dass die Kinder gesund, geimpft und glücklich durchs Leben gehen, noch so oft allein auf den Müttern?" Archaische-Mutter-Kind-Stereotype titelt der Artikel diesen Absatz und zitiert etwas weiter eine OECD-Statistik, nach der sich deutsche Väter durchschnittlich rund 37 Minuten am Tag um ihren Nachwuchs kümmern.


Der Mann als Verdiener, die Frau in der Hauptverantwortung für Familie zieht sich noch immer beliebt durch die Statistiken. Dabei haben sich Meinungsbild, Zukunftswünsche und Lebensrealitäten längst auf pluralistische Weise modernisiert. 


Nicht nur Geschlechterstereotype haben sich verändern, sondern auch Familie generell und Arbeitsleben. Familien- und Arbeitsmarktpolitik muss sich den Realitäten gelebter moderner Gesellschaft stellen, was bedeutet, dass Kinderwunsch nicht länger in Konkurrenz zur Arbeitswelt gedacht werden dürfen wie bisher. Denn es zeigt sich recht klar: Wer aufgrund von Nachwuchs seine Berufstätigkeit pausiert oder die Arbeitszeit reduziert, hat mit erheblichen Nachteilen im Beruf zu kämpfen. Gerade junge Paare und Familien stellen sich dem Problem der Vereinbarkeit heute auf neue Weise. Für sie ist das traditionelle Modell nicht mehr Wunsch, sondern manchmal lediglich einzige Möglichkeit im Hinblick auf finanzielle Bevor- und Benachteiligung, Berufsrückkehr oder Karrierechancen. "Können wir uns das leisten?" ist eine Frage, die sich junge Paare inzwischen ganz automatisch stellen müssen, wenn sie Kinder wünschen, was sich auch darin zeigt, dass gerade in der Mittelschicht die Geburtenraten am niedrigsten sind. In Abwägung stehen jeweilige Karrieren und Einkommen.


Familie neu denken: Das traditionelle Familienmodell des männlichen Alleinverdieners und Familienernährers und der Ehefrau als Hausfrau in Sorge- und Erziehungsarbeit hat sich  gewandelt in eine Vielzahl denkbarer und gelebter Familienkonstellationen, denen sich die Politik anpassen und ihnen gerecht werden muss. Biologische Verwandtschaft ist nicht mehr das notwendige Merkmal von Familie, ein verheiratetes Elternpaar ebenso längst nicht mehr. Patchworkfamilien, auch haushaltsübergreifende Konstellationen, Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Elternpaare, Co-Parenting. Familie wird mittlerweile in vielerlei Modellen gelebt, in denen Verantwortung übernommen wird: "Wo Kinder sind, da ist Familie", beschrieb es Horst Köhler.
Die Relevanz des Modells der bürgerliche Kleinfamilie hat abgenommen, denn es wird weniger gewünscht: Mehr Paare wünschen sich eine gleichberechtigte Elternschaft. Zwei Drittel der Frauen unter 39 Jahren geben an, dass ihre ökonomische Unabhängigkeit von hoher Bedeutung für ihre Lebensqualität ist. Nur noch 3% können sich vorstellen, ihren Beruf dauerhaft aufzugeben, rund 84% der 20 bis 39-Jährigen wollen als Mütter einen Beruf nachgehen, 82% der Männer wollen ebenfalls, dass ihre Frau arbeitet. Und trotzdem beobachten wir in den Statistiken vor allem die männliche Versorgerehe: Nahezu die Hälfte der Frauen in Deutschland im erwerbsfähigen Alter erhalt den überwiegenden Teil ihres Lebensunterhalts durch Angehörige. Mütter in Deutschland hegen häufiger den Wunsch, in den Beruf zurückzukehren oder zu fokussieren und sind oftmals überqualifiziert für die Erwerbstätigkeiten, die sie dann tatsächlich ausüben. Gleichzeitig scheitern arbeitende Väter, die sich mehr Familienzeit wünschen, an veralteten Erwartungen in Unternehmen und Gesellschaft und an rechtlicher Absicherung.

Gleichberechtigte Elternschaft ermöglichen heißt auch: Väterrechte stärken. Zwar besteht der Wunsch nach einer aktiven Vaterrolle und mehr Zeit für Familie, doch Männer mit Kindern arbeiten statistisch gesehen sogar mehr als diejenigen ohne Kinder. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 2015 rund 83% der Väter mit Kindern unter drei Jahren in Vollzeit, bei Müttern ist es lediglich jede Zehnte. Die Konstellation der ganztags arbeitenden Mutter und einem Vater, der nicht oder in Teilzeit erwerbstätig ist beträgt 2%. Zwar haben Väter in Deutschland Anspruch auf drei Jahre Elternzeit, in denen sie sich freistellen lassen können, insgesamt wird aber nicht mal jeder zehnte Elterngeld-Monat in Deutschland von Vätern in Anspruch genommen, zumeist für wenige Monate, ebenso wird das Elterngeld Plus vor allem von Müttern in Anspruch genommen. Werdende Väter haben zudem kein Äquivalent zum Kündigungsschutz von Frauen während der Schwangerschaft, für sie gilt ein Schutz erst nach Antragsstellung, frühestens acht Woche vor Beginn der Elternzeit. Jeder dritte Vater fürchtet eine Gefährdung der eigenen Karriere durch Inanspruchnahme familienfreundlicher Angebote. Zwei Drittel der Manager schreiben Vätern, die beginnen in Teilzeit zu arbeiten, einen geringeren Ehrgeiz und Karrierestreben zu.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein altruistisches Thema, sondern eines, das auch maßgeblich die Zukunftsfähigkeit von Arbeitswelt und Wirtschaft beeinflusst und sich pluralistischen Lebensmodellen und Innovation stellen muss.
Vor allem aber eines, das Gerechtigkeit nicht nur als Ideal, sondern als Lebensrealität betrifft, der sich mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger zu beugen scheinen muss, weil es zu wenig Beachtung findet. 

Dennoch scheinen sich auch Arbeitgeber gegen Veränderungen hinsichtlich einer Frauen- und Familienförderung zu sträuben. Ein Grund könnte ein noch immer dominierendes Bild von Arbeit sein, das auf diese Weise über Jahrzehnte hinweg schlichtweg nicht mehr überlebensfähig ist: Die Vorstellung einer ununterbrochenen Erwerbstätigkeit ist unrealistisch geworden.
Dies ist nicht nur der Fall aufgrund moderner Vorstellungen von Elternschaft, sondern auch durch einen Wechsel der Priorisierung von Karriere und Privatleben seit Generation Z. Mehr wünschenswerte Flexibilität z.B. innerhalb von Präsenzkultur würde sich modernen Lebensmodellen und dem Wunsch nach mehr Work-Life-Balance anpassen und durch Digitalisierung zunehmend ermöglicht werden. Eine Unternehmenskultur, die Vielfalt ermöglicht stärkt nachweislich Unternehmen: "Deutschland ist Diversity-Entwicklungsland", titelte das Handelsblatt bereits 2016 in Referenz auf die Diversity-Studie der Page Group. "Diversity stärkt nicht nur die Unternehmenskultur, sondern treibt auch Arbeitsprozesse voran", so Goran Barić. Diversity-Management als strategischer Managementansatz zielt auf Wahrnehmung und Entfaltung maximaler Leistung ab.


Die Wirtschaft verliert die Frau

Wirtschaftsjournalist Alexander Hagelüken pointiert: "Das Land könnte mehr Kinder gebrauchen. Und die Wirtschaft artikuliert seit Langem, ihr fehlten geeignete Bewerber. Rentenlöcher und Fachkräftelöcher - schon diese Kombination zeigt, was Deutschland verschenkt, in dem es Frauen weniger als vergleichbare Staaten ermöglicht, beides zu haben: Kinder und eine Arbeit, in der sie ihre Qualifikation voll nutzen." Die Geburtenrate liegt in Deutschland bei 1,59 Kindern pro Frau vergleichsweise niedrig. Nicht überraschend jedoch, weil auch einige finanzielle Boni der letzten Jahrzehnte allein wohl nicht genug Anreize bieten, um Familien zu gründen. Dabei sind Kinder nicht nur die wichtigste Zukunftsressource, von der alle profitieren, sie bilden Familien die Keimzelle von Gesellschaft, Solidarität und Verantwortung. Mit mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf können geschlechtergerechte Defizite minimiert werden, es steigert die Beschäftigung im Land und damit Wachstum und verringert Armutsrisiko: Sowohl weibliche Altersarmut, als auch das Armutsrisiko von Kindern reduziert sich von einem Haushalt mit einem erwerbstätigen Elternteil von 20% zu unter 5% bei beiden Elternteilen.

Deutschland gleitet ein riesiges wirtschaftliches Potenzial durch die Finger, sofern wir uns nicht neuen Formen von Familie, Arbeit und Vielfalt stellen. Gerade aus unternehmerischer Sicht, sowohl in Privatwirtschaft, als auch im öffentlichen Dienst.

Eurostat berechnete 2016 den Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland mit rund 29%. Damit liegt die Bundesrepublik unter dem EU Durchschnitt von 33% und befindet sich im unteren Drittel im Vergleich anderer EU-Nationen. Die Spitze führen Lettland (43,9%), Ungarn (40,8%) und Polen (40,6%) an. Die Ineffizienz der geschlechtsorientierten Quote von 30% für Aufsichtsräte börsennotierte Unternehmen, die sich Zielvorgaben für eine Erhöhung des Frauenanteils setzen sollten, lässt sich in vielerlei Zahlen erkennen: Die Initiative Frauen in Aufsichtsräte (FidAR) zeigte auf, dass von den 130 börsennotierten Unternehmen hatten 2015 nur 60% überhaupt eine Zielvorgabe festgelegt. Noch absurder: Im Jahr 2016 haben Großkonzerne wie Porsche, Commerzbank, Thyssen-Krupp und Eon die Zielgröße des Frauenanteils in ihren Vorständen bis zum Jahr 2022 auf die ambitionierte Zahl von "Null" gesetzt.

Dabei lässt sich laut einer McKinsey Studie von 2007 eine messbare verbesserte Performance von Unternehmen feststellen, wenn mindestens 30% der Führungsgremien von Frauen besetzt sind. Neurowissenschaftliche Studien zeigen besondere Kompetenzen der Entscheidungsfindung und Empathievermögens von Frauen in Stress-Situationen und Vorteile konzentrierterer Risikoabwägungen und nachhaltigerem Wirtschaften. In Teilen die Kompetenzen, die sich das Centre For Feminist Foreign Policy schon auf globaler Ebene der Außenpolitik zunutze macht. 

Eine Studie des Internationalen Währungsfonds untersuchte makroökonomische Auswirkungen vom Geschlechterunterschied. Sie kommt zu dem Schluss, dass weltweit mehr als 1,6 Milliarden Frauen besser in den bestehenden Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Die IWF-Studie setzt das Bruttoinlandsprodukt in Zusammenhang mit der Frauenerwerbstätigkeit. In dem riesigen Potenzial an Wirtschaftskraft, insbesondere in Industrienationen, werden Frauen jedoch wenig wahrgenommen, könnte man meinen. Auch eine OECD-Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die Förderung von Frauen und insbesondere von Müttern positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Kaum verständlich also, wieso auch rein aus wirtschaftlichem Interesse, die Politik noch so sehr mit geschlechtsspezifischer Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt hadert und sich an einem traditionellen Familien- und Rollenverteilungsmodell verbeißt. Ergebnis der OECD-Studie: Die Steigerung der Beschäftigungsquote von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in skandinavischen Ländern ist für ein jährlichen Wirtschaftswachstum von 0,25 bis 0,4% pro Einwohner verantwortlich, also für bis zu 20% des Wachstums. Unternehmensintern korreliert Flexibilität in Arbeitsstrukturen nicht nur mit höherer Zufriedenheit aller Mitarbeiter, sondern auch mit positiven Auswirkungen auf Engagement und Gesundheit, stellte das Families and Work Institute 2011 fest.

Was an dieser Stelle jedoch das wichtigste Zitat ist, das eingefügt werden muss, ist eines, von Journalistin Mareice Kaiser. „Fuck you, fiskalische Effekte!“ ist der Titel eines Artikels, der vor allem eines kritisiert: Frauen leisten zu viel unbezahlte Arbeit. Kaiser las eine sehr ähnliche Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): „Fiskalische Wirkungen eines weiteren Ausbaus ganztägiger Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter.“ Der wirre Twist in der Studie, den sie dabei kritisiert: „Wenn Mütter mehr lohnarbeiteten, könnten sie damit den Ausbau der Ganztagsbetreuung ihrer Kinder refinanzieren. Lohnarbeiten, Care- -Arbeiten, emotionale Arbeit, Hausarbeit, Kinderbetreuung. Jetzt sollen Mütter also auch noch für die Volkswirtschaft arbeiten.“ Das zentrale Argument für Gerechtigkeit sei hier also erneut: Geld. Natürlich.
Kaiser schreibt: „Ich sehe ganz andere Argumente. Zum Beispiel die Vision einer Gesellschaft, in der Menschen ihre Zeit selbstbestimmt aufteilen können. […] Selbstbestimmung halte ich für ein wichtigeres Argument als das fiskalische. Doch Selbstbestimmung muss für Mütter mehr beinhalten als eine 40-Stunden-Woche plus Fürsorgearbeiten. Und ja, für viele Mütter sind bessere Betreuungsangebote, vor allem in Randzeiten, existenziell wichtig“ und zählt noch viele weitere Aspekte auf, die in der Studie nicht genannt werden. „Das Wort Väter kommt auf den 35 Seiten der Studie genau zweimal vor, und zwar in diesen zwei Sätzen: „Veränderungen in der Erwerbstätigkeit von Vätern werden nicht berücksichtigt, da empirische Studien auf Basis deutscher Daten belegen, dass sich ihre Erwerbstätigenquote und ihr Erwerbsvolumen durch einen Ausbau von Ganztagsangeboten für Grundschulkinder nicht signifikant verändern wird. Dies hängt auch damit zusammen, dass nahezu alle Väter mit Kindern im Grundschulalter bereits einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen.“ Kurz gesagt: Väter machen Lohnarbeit, Mütter machen Lohnarbeit und Kinder und Gedöns. Wenn’s gut läuft, bringen sie auch noch die Volkswirtschaft in Ordnung und sorgen dafür, dass sie die Betreuung ihrer Kinder selbst refinanzieren.“ 

Die Frau verliert die Wirtschaft
- Teufelskreise und Armut. Oder: Wieso es sich für mich mehr lohnt zu heiraten statt Karriere zu machen.

Finanzielle Abhängigkeit und Armutsrisiko durch politische Stellschrauben

"Ein riesiges wirtschaftliche Potenzial liegt brach", könnte man sagen. "Denn es ist damit beschäftigt, Pflegearbeit zu leisten und in eine finanzielle Abhängigkeit gerollt", könnte man polemisch formulieren. Ganz falsch ist das allerdings nicht. Häufig geht eine Senkung der Frauenerwerbstätigkeit mit einem hohen Sozialstandard einer Nation einher. Was kontraintuitiv überraschen könnte, ist nachvollziehbar: Leben Frauen in einem Haushalt mit hohen Einkommen und bestehen keinerlei Anreize oder wenig Möglichkeitsspielraum für den eigene Laufbahn, bleibt die Frau in der Rolle unbezahlter Tätigkeit oder die des Minijobbers. Eine repräsentative Studie des Bundesfamilienministeriums zeigte 2016 auf: Frauen zwischen 30 und 50 Jahren verfügen über die gleichen Schulabschlüsse wie Männer, in 82% berufliche Qualifikation, doch von ihnen waren lediglich 39% in Vollzeit beschäftigt, während 88% der Männer ihren Beruf in Vollzeit ausübten.

Noch gravierender sind die folgenden Zahlen:

Nur 10% der Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren verfügt über ein eigenes Nettoeinkommen von mehr als 2000€.

Über ein eigenes Einkommen von über 2000€ verfügten nur 6% der verheirateten Frauen.


Im Falle heterosexueller Ehen hatten verheiratete Frauen in 19% der Fälle gar kein eigenes Einkommen. 63% verdienten unter 1000€


Finanzielle Existenz- und Alterssicherung sind auch im Jahre 2019 für viele Frauen noch immer an das Einkommen des Mannes geknüpft, was eine elementare Abhängigkeit zur Folge hat: Fällt der Ehemann entweder durch Trennung oder durch Arbeitslosigkeit oder andere Umstände weg, verschwindet die finanzielle Sicherung, Frauen müssen von vorne anfangen und um ihre Existenz bangen. Ein Umstand, der sowohl in diesem Jahr, als auch in diesem Land erschreckend wirken muss und es auch tut.


Altersarmut und Rentenansprüche

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) bestätigt dies in einem Fazit: In Deutschland sei zu beobachten, dass der "Heiratsmarkt" Frauen noch immer besser vergüte als der Arbeitsmarkt, sodass in vielen Fällen eine Witwenrente höher ausfalle als die eigene Altersrente.

Während in einem Alter von 35 noch kaum geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen den Rentenansprüche erkennbar sind, ändert sich dies massiv mit der Familiengründung, in der vor allem Frauen ihre Arbeitszeit reduzieren. Laut Studie der Universität Mannheim auf Basis von Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufforschung (IAB) erhalten Frauen im Schnitt 26% weniger Rente als Männer, auch hier liege der Grund für diese Renten Differenz in der "noch immer [...] dominierende Rolle der Frauen bei der Kinderbetreuung", so Prof. Alexandra Niessen-Ruenzi. Armut und vor allem Altersarmut ist damit auch ein frauenpolitisches Problem, da sich in Partnerschaften überwiegend Verdienstgefälle zeigen, in denen Frauen auf das Gehalt ihrer Ehemänner angewiesen sind und gerade alleinerziehende Mütter somit  besonders hohem Risiko von Einbußen und (Alters-)Armut ausgesetzt sind. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2036 ihr Anteil von 16,2 auf 27,8% steigen wird.
Zwar können in früher Phase der Elternschaft Väter wie Mütter Elternzeit beanspruchen, doch verstärkt das Ehegattensplitting, sowie kostenlose Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern die Erhärtung der Struktur, es lohne sich aufgrund finanzieller Anreize, dass ein Partner nicht bezahlter Arbeit nachgeht: Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern wird nach deutschem Steuermodell schlechter gestellt als ein Paar mit dem selben Einkommen ohne Kinder.

Gerade das Ehegattensplitting ist eine Maßnahme, die Familien schwächt, in ihrer Dynamik einschränkt und Armutsrisiko steigert: So profitieren verheiratete Kinderlose Paare von Steuerersparnissen, Familien mit Kindern, die aber nicht in einer Ehe leben, werden nicht einmal berücksichtigt. Dabei scheint der gesellschaftliche Vorteil von Ehen verschwindend gering im Vergleich zu dem von Kindern. Auch die Notwendigkeit von Steuerersparnissen ist bei kinderlosen Paaren geringer. Insbesondere die 1,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland scheinen nicht im Fokus der Familienpolitik zu sein. Stattdessen wird weiterhin die Konstellation aus alten Zeiten gefördert: Ein Elternteil arbeitet, das andere (zumeist das mit weniger Einkommen) macht sich abhängig und geht in Teilzeit oder Erwerbslosigkeit. Kostenfreie Mitversicherung des geringer verdienenden Partners verstärken den Effekt und trägt zur Tendenz geringfügiger Beschäftigung bei. Berufstätigkeit muss sich für beide Elternteile lohnen und ihnen die Möglichkeit einer eigenen Altersvorsorge geben. Je gleichberechtigter die Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit um Kinder zwischen Eheleuten aufgebaut ist, desto weniger profitieren sie vom Ehegattensplitting, werden sogar durch härtere Bedingungen abgestraft.



Reformvorschläge

Politik muss strukturelle Rahmenbedingungen setzen, die es zulassen, dass sich Menschen (unabhängig von Geschlecht) für oder gegen bestimmten Lebensmodelle entscheiden können, für oder gegen Kinder, für oder gegen eine priorisierte Karriere. Eine Steuerpolitik und ein Sozialstaat, die gewisse Modelle abstrafen oder belohnen, schaffen durch finanzielle Unsicherheiten und Abhängigkeiten das Gegenteil von Wahlfreiheit: Ein Bedrängnis, in das sich Familien wieder finden und dem sie sich beugen müssen. Aus den bisherigen Schilderungen lassen sich drei politische weitläufige Zielsetzungen herausarbeiten:

1. Ermöglichung gleichberechtigter Elternschaft
2. Modernisierung von Arbeitswelt
3. Einkommenssicherung und Anreize für Erwerbstätigkeit

Alle drei Punkte sind untrennbar miteinander verbunden und müssen auch gemeinsam, mitsamt ihrer Wechselwirkungen, gedacht und bearbeitet werden.

Familie wird bereits neu gelebt, sie muss nun auch auf politischer Ebene neu gedacht werden und von Rahmenbedingungen gestützt werden. Hierzu gehören subventionierte Kitaplätze und Nachmittagsbetreuung für Schulkinder und Ausbau des gesamten Betreuungswesens. Denkbar könnte auch eine Verknüpfung verschiedener Sozialinstitutionen sein, sodass Gemeinschaft z.B. mit und durch alle Generationen besteht, Senioren und Kinder unter einem Dach betreut werden. Notwendig ist vor allem ein Arbeitsmodell, das Familie mitdenkt und  nicht in Rivalität begreift. Unabhängig von Geschlecht und Kinderwunsch müssen Menschen berufliche Ziele verfolgen können, ohne durch Familienzuwachs massive Benachteiligung zu befürchten. Vereinbarkeit durch großzügige Elternzeit Regeln, Erziehungsurlaub gezielt für Väter sind Stellschrauben, die andere Nationen bereits fördern. Elternschaft bedeutet auch Vaterschaft: Eine Stärkung von Väter-Rechten ist durch Anreize und Sicherungen wie größer gefassten Vaterschutz denkbar, der die Möglichkeit offen lässt, bereits am Anfang der Familiengründung im Beruf (auch längere Zeit) kürzer zu treten und Familienbindung zu stärken. Modelle wie Familienzeit bevorschussen Eltern im Fall einer gemeinsamen Arbeitsreduzierung zugunsten von Nachwuchs. Familienpolitik und Wirtschaftspolitik sind nicht ohne einander zu denken: Initiativen, die sich für Gründerinnen, weiblichen Unternehmergeist und Förderung von Frauen einsetzen, setzen sich für eine gerechtere und leistungsfähigere Arbeitswelt insgesamt ein.

Unternehmen, die sich der Modernisierung ihrer Firmenkultur verweigern, bleiben langfristig weder Konkurrenzfähig, noch beliebter Arbeitgeber für eine jüngere Generation, die sich nach mehr Flexibilität und Vereinbarkeit sehnt. Weniger Druck nach familienbedingten Erwerbsunterbrechungen und die Sicherung von Einkommen und Anreize für Erwerbstätigkeit kann z.B. durch das Recht auf Jobrückkehr in Vollzeit nach bezahlter Elternzeit ermöglicht werden. Auch neue Modelle oder die Zunahme von Tarifverträgen kann diskutiert werden.

Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau muss in unserem Sozialmodell erkennbar verankert sein. Das Steuerrecht und Sozialversicherungssystem ist noch immer eines, das auf Grundlager eines Familienmodells der 60er Jahre beruht. "So hält das 1958 erdachte Ehegattensplitting Frauen vom Beruf ab, weil es die Zweitverdienerin wie eine Strafsteuer trifft. Fast kein Industriestaat nimmt Müttern durch Abgaben so viel vom Lohn weg wie die Bundesrepublik. Ach Schatz, argumentiert der Karrieremann, es lohnt sich doch gar nicht, dass Du arbeiten gehst", schreibt Alexander Hagelüken. Das Ehegattensplitting ist ein Steuermodell, das den einkommensschwächeren Partner belastet und damit eindeutige politische Signale setzt und in Zusammenhang mit hohem Risiko von Altersarmut zu sehen ist. Ein System, das vor allem die Alleinverdienerehe fördert, obwohl diese nicht mehr vorherrscht oder gewünscht ist. Ein modernes Rentensystem muss ein Rentensplitting zwischen Ehepaaren diskutieren und unbezahlte Erziehungsarbeit mehr berücksichtigen, als es das bisher tut. 


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