DICTIONARY | Was ist Care Arbeit?

Wäre dies ein Schaltjahr, wäre morgen der 29. Februar. Doch stattdessen ist morgen der erste März und der 29. Februar wird einfach übergegan...

Wäre dies ein Schaltjahr, wäre morgen der 29. Februar. Doch stattdessen ist morgen der erste März und der 29. Februar wird einfach übergegangen. Er existiert nicht. Und genau aus diesem Grund ist der 29. Februar, beziehungsweise in den meisten Fällen der 01. März der Aktionstag des Equal Care Day. Denn genau wie dieses Datum des Schaltjahrs bleibt Care Arbeit häufig unsichtbar. 


Was ist Care Arbeit? Care Arbeit ist die Basis der Gesellschaft. 

Hinter Care Arbeit versteckt sich nichts anderes als Sorgearbeit. Das heißt, (re)produktive und versorgende Tätigkeiten im Rahmen des sich Sorgens und Kümmerns um andere Personen, um Tiere und Dinge, aber auch um sich selbst. 

Um Arbeit im Rahmen von Care zu definieren, wird das Dritt-Personen-Kriterium herangezogen. Das heißt, wenn eine Tätigkeit theoretisch an eine*n Dritte*n (gegen Bezahlung) abgegeben werden kann, handelt es sich um Arbeit. Weiterhin muss die Tätigkeit körperliche und/oder geistige Anstrengung beinhalten und Zeitressourcen binden, die für keine andere Tätigkeit aufgewendet werden können. Wie zum Beispiel Erwerbsarbeit, aber dazu später. 

Neben der Erziehung, Pflege und Betreuung von Personen, beinhaltet Care Arbeit auch alle Tätigkeiten die notwendig sind, um für Gesundheit, Schutz und Wohlbefinden zu sorgen. Denn nur wenn Grundbedürfnisse gedeckt und emotionale Bedürfnisse versorgt sind, kann ein Mensch Leistungen zum Beispiel im Rahmen von Erwerbsarbeit erbringen. Somit ist Care Arbeit die Basis der Gesellschaft.


Wer leistet Care Arbeit?

Die Frage danach, wer Care Arbeit leistet, lässt sich mit Hilfe von Daten der Zeitverwendungserhebung im Auftrag der Bundesregierung leicht beantwortet: vor allem Mütter, und Frauen allgemein. 

Im Rahmen des zweiten Gleichstellungsberichts wurde zum ersten Mal der Gender-Care Gap berechnet, der den relativen Unterschied aufzeigt, wie viel Zeit Frauen und Männern täglich für unbezahlte Sorgearbeit aufbringen. Konkret wurde die Zeit erfasst, die für Haushaltsführung (inklusive Reparaturen, Gartenarbeit und Tiersorge), Pflege und Betreuung von Haushaltsmitgliedern, ehrenamtliches Engagement und informelle Hilfen für andere Haushalte erbracht wurde. 

Das Ergebnis war ein Gender Care Gap von 52,4%.

Oder anders ausgedrückt:


Betrachtet man unterschiedliche Haushaltskonstellationen sowie -stile sind die Unterschiede noch deutlicher.  Während der Gender Care Gap in Paarhaushalten mit Kindern bei 83,3% liegt (Frauen: 5:30h/Tag; Männer: 3:00h/Tag), liegt er in Paarhaushalten ohne Kinder bei 35,7% (Frauen: 4:11h/Tag; Männer: 3:05h/Tag). In traditionellen Haushalten, in denen der Mann Vollzeit arbeitet und die Frau keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, beträgt der Gap sogar 154%. Auch in der sogenannten „Rush Hour of Life“, ungefähr im Alter von 34, erhöht sich der Gender Care Gap deutlich auf 110,6%. 

Die Zeit, die Frauen mehr im Rahmen von Sorgearbeit aufbringen, zeigt sich auch in weniger Zeitverwendung für Erwerbsarbeit. So sind es vor allem Frauen, die einer (geringfügigen) Teilzeittätigkeit oder keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies zeigt sich nicht nur in geringeren oder nicht vorhandenen Einkommen, sondern kumuliert sich im Laufe des Lebens bis hin zu einer deutlich geringeren Rente und unzureichenden Altersvorsorge. So ist die Entscheidung in einer Partnerschaft nach der Arbeitsteilung essentiell um zu vermeiden, in eine finanzielle Abhängigkeit zu geraten. 

Vor allem Familien, die es sich leisten können, geben Care Arbeit an Dritte ab. Doch die Antwort, wer Care Arbeit leistet, bleibt die gleiche, wenn man sich die bezahlte Sorgearbeit anschaut. Im Sektor der  sogenannten SAHGE Berufe (Soziale Arbeit, Haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheit & Pflege, Erziehung) sind 80% der Beschäftigten Frauen. Im Bereich der Kindererziehung und -betreuung sogar knapp 90%. 

Doch das Problem, dass Sorgearbeit ungleich verteilt ist, hört nicht in Bezug auf die Geschlechter auf. Stattdessen ist es zu einem transnationalen Verteilungsproblem geworden.

Unter dem Begriff Care Chains, wird beschrieben, dass vor allem Migrantinnen ihr Heimatland verlassen, um in einem wirtschaftlich besser gestellten Land zu arbeiten. Insbesondere Osteuropäerinnen kommen als (informelle) Pflege- oder Betreuungskraft nach Deutschland und lassen Familie und Kinder und ein Pflegedefizit in ihrem Heimatland zurück. Dieses muss gefüllt werden, entweder durch das soziale Umfeld oder erneut durch immigrierte Pflegekräfte eines wirtschaftlich schlechter gestellten Landes.


Was ist Care Arbeit wert?

Ein zentrales Problem der Care Arbeit ist, dass sich ihr Wert, monetär nicht widerspiegelt. Erstens, da ein Großteil der Care Arbeit unbezahlt ist. Zweites, weil SAHGE Berufe bereits während der Ausbildung gar nicht oder gering vergütet werden und auch später schlechte Arbeitsbedingungen mit sich bringen. Allen voran ist die Bezahlung zu gering wie der Gehalt von Angestellt in Pflege- oder Kinder- sowie Grundschuleinrichtungen zeigt: 517€ bis 1278€ im Monat. Zudem sind in der Pflege 65% der Beschäftigten in Teilzeit angestellt und 19% der Stellen sind befristet. 

Würden die weltweit durch Frauen geleistete, unbezahlte Sorgearbeit, die sich auf 12,5 Milliarden Stunden am Tag beläuft, mit dem Mindestlohn bezahlt werden, wäre die Summe 24 Mal größer als der Umsatz von Apple, Google und Facebook zusammen. 

Auch in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist die Wertschöpfung durch unbezahlte Sorgearbeit nicht enthalten. Im Rahmen des Satellitensystems Haushaltsproduktion wurde versucht, diese in der VGR sichtbar zu machen. Mit unterschiedliche Ansätze wurde versucht den wirtschaftlichen Wert der Care Arbeit mit Hilfe von Stundenlöhnen zu berechnen:

  • Generalistenansatz: das Gehalt einer Hauswirtschaftlerin 
  • Spezialistenansatz: das Gehalt einer Fachkraft, d.h. für die Zeit des Kochen wird der Gehalt eines Kochs/ einer Köchen genutzt oder für die Zeit der Kinderbetreuung die eines Erziehers/ einer Erzieherin
  • Durchschnittslöhne der gesamten Volkswirtschaft

Selbst bei einer vorsichtigen Berechnung auf Grundlage des Spezialistenansatzes ohne dabei Ausfallzeiten zu beachten, wurde ein Wert von 749Mrd.€ errechnet. Somit wäre das BIP um ein Drittel höher – bei einer vorsichtigen Berechnung!  Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass private Haushalte im Jahr 35% mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten, als Erwerbsarbeit.


"Sie nennen es Liebe. Wir nennen es unbezahlte Arbeit."

- Silvia Federicis Manifest „Wages Against Housework“


Care Arbeit ist zeitaufwendig auch deshalb, weil es eine Arbeit ist, die permanent benötigt wird denn menschliche Grundbedürfnisse können nicht pausiert werden. Es ist eine Arbeit, die für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig ist. Die Corona Pandemie hat diese Tatsache einmal mehr verdeutlicht. 

Care Arbeit darf nicht länger unsichtbar bleiben. Sie muss wertgeschätzt und auch monetär ausreichend entlohnt werden, sodass jene, die Care Arbeit leisten, die Möglichkeit haben, für sich selbst zu sorgen – ausreichen und nicht im Rahmen prekärer Arbeitsbedingungen oder finanzieller Abhängigkeit eines Partners. Care Arbeit ist kein Gut, dass zeitlich optimiert und effizient produziert wird. Care Arbeit umfasst Beziehungsarbeit, Emotionsarbeit, Liebe und Zuneigung. Care Arbeit braucht Zeit, viel Zeit und hierfür ist es notwendig Arbeitsbedingungen im SAHGE Sektor selbst, aber auch in allen anderen Erwerbsbranchen zu schaffen, sodass Personen ausreichend Zeit haben, sich um ihre Mitmenschen und auch um sich selbst sorgen zu können – bezahlt oder unbezahlt. 



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Leni lebt aktuell in Frankfurt, von wo aus sie ihren Master in Ökotrophologie beendet. Zuvor hat sie anderthalb Jahre in Bologna gelebt und studiert. Neben Essen und Italien, liebt sie den Sommer und die Natur. In ihrer freien Zeit verliert sie sich gerne in Büchern oder auch schnell mal in eigenen Gedanken und Grübeleien. Ihre aktuelle Obsession ist Sally Rooney. In ihren eigenen Texten setzt sie sich oft mit alltäglichen Erfahrungen und Beobachtungen auseinander. Denn gerade diese sind es, mit denen Beziehungs- und Gesellschaftsstrukturen aufgezeigt werden können.



Zum Weiterlesen: 

  • Equal Care Day Aktionstag https://equalcareday.de/die-idee/
  • BMFSJ: Was der Gender Care Gap über Geld, Gerechtigkeit und die Gesellschaft aussagt. Einflussfaktoren auf den Gender Care Gap und Instrumente für seine Reduzierung
    https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Angebote/Berufe-auf-einen-Blick/Berufe-auf-einen-Blick-Anwendung-Nav.html Ebd.
    https://www.bpb.de/apuz/care-arbeit-2020/317855/wirtschaft-neu-ausrichten-wege-in-eine-care-zentrierte-oekonomie#footnode29-29

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