Über die Erfahrung, sprachlos zu sein

Dass meine Familie und ich deutsch sind, wird nicht hinterfragt. Unsere Aussehen mit hellen Haare und heller Haut sorgen maximal dafür, dass...


Dass meine Familie und ich deutsch sind, wird nicht hinterfragt. Unsere Aussehen mit hellen Haare und heller Haut sorgen maximal dafür, dass wir im Ausland nordeuropäischer, als Schweden oder Dänen wahrgenommen werden. Deutschsein ist ein Teil von mir, der mir jedoch nie bewusst war. Weder hatte ich das Gefühl, eine besonders stark ausgeprägte Nationalverbundenheit zu haben, noch mich explizit als Deutsche zu identifizieren. Vielmehr waren es mein Charakter, meine Gedanken und Ansichten sowie Interessen und Leistungen über die ich mich identifizierte. Es waren Adjektive wie rational, nachdenklich oder ängstlich mit denen ich mich vielleicht beschrieben hätte. Deutsch tauchte da nicht auf.

In meiner Familie reden wir Deutsch. Wir diskutieren und streiten und tauschen uns aus. Ebenso habe ich in der Schule gelernt, mich zu äußern, zu argumentieren und Sachverhalte auf Deutsch zu präsentieren. Während ich auf Deutsch ohne viel Aufwand gut darin war, mich auszudrücken und zu artikulieren, fiel es mir in den Fremdsprachen wesentlich schwerer. In Englisch gelang es mir erst in den letzten Jahren durch einen großartigen Lehrer.

Als ich beschloss für mein Auslandssemster nach Italien zu gehen, hatte ich nie darüber nachgedacht, dass Englisch nicht ausreichen könnte. Die Möglichkeit mich wenn nicht auf Deutsch, dann wenigstens auf Englisch unterhalten und austauschen zu können, hatte ich bisher immer gehabt. Doch in den ersten Tagen an der Uni merkte ich schnell, dass dies diesmal nicht der Fall war. Auch wenn ich auf Englisch studierte, sprachen die Studierenden um mich herum untereinander Italienisch. Ich verstand kein Wort. In mitten dieser Gruppe, die sich verständigte, fühlte ich mich völlig isoliert. Bereits mein Aussehen offenbarte, das ich nicht dazugehörte. Die Tatsache, dass ich die Sprache weder verstand noch sprach, machte es mir unmöglich an den Gesprächen um mich herum teilzuhaben.

Außerhalb der Uni im Rahmen der Erasmusgemeinschaft tauschten wir uns darüber aus, woher wir kamen. Aus Deutschland. Zum ersten Mal fragte ich mich, was andere auf Grund dieser Antwort von mir hielten. Einmal, nachdem ich mich auf Deutsch unterhalten hatte, wurde ich im Spaß gebeten, lieber Englisch zu reden. Ich würde viel freundlicher wirken. Nicht so aggressiv.


Learning a new language is like growing a new head.
You see with new eyes, hear with new ears, speak with a new tongue.

– Jhumpha Lahiri, In Other Words


Bin ich als Deutsche wenn ich meine Muttersprache spreche aggressiv und unfreundlich? War ich freundlicher, wenn ich stattdessen Englisch sprach? Zunehmend assoziierte ich die Adjektive um meine Art und mein Verhalten zu beschreiben mit der Tatsache, dass ich Deutsche bin. Statt einfach rational, introvertiert und manchmal ungeduldig zu sein, empfand ich mich plötzlich als harsch, unfreundlich und hektisch. Ich war nicht länger pünktlich und organisiert, sondern typisch deutsch. Natürlich war mir klar, dass es bei Klischees häufig um negative Eigenschaften geht, die durch Übertreibung witzig wirken sollen. Sie entsprechen nicht der Realität und doch enthalten sie oftmals ein Fünkchen Wahrheit.



Während ich mich damit auseinandersetzte, was Deutschsein für mich bedeutete und ob es überhaupt etwas bedeutete, begann ich Italienisch zu lernen. Doch es fiel mir schwer. Sehr schwer. Die Satzstruktur ist anders. Die Betonung und Melodie ungewohnt. Dass ich mich in einer Sprache nicht ausdrücken kann, war lange her gewesen. Mich plötzlich mit 23 nicht mehr mitteilen zu können, keine Worte zu haben, um die einfachsten Dinge zu sagen, verunsicherte mich.

Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie viel meines Seins und meiner Identität ich mit Hilfe meiner Sprache transportierte. Wie wichtig es ist, dass ich meine Meinungen und Gedanken anderen mitteilen kann, damit ich mich selbst repräsentieren kann.

In Italienisch fühlte ich mich nicht wie ich selbst. Das, was ich in der Lage war zu sagen, entsprach nicht dem, was ich gerne gesagt hätte. Beim Versuch die Worte zu betonen und richtig auszusprechen, kam ich mir vor als würde ich schauspielern. Ich fühlte mich lächerlich und nicht wie ich selbst. Es war eine Rolle, in der ich mich unwohl fühlte.


Selbst als ich anfing Kleinigkeiten zu verstehen und das nötige Vokabular für Small-Talk zu beherrschen, schämte ich mich, diese neue Sprache zu benutzten in der ich mich unfassbar fremd fühlte.

Auch die Versuche, Italienisch zu sprechen, führten nicht dazu, dass ich mich dazugehörig fühlte. Im Gegenteil. Mein deutscher Akzent war deutlich hörbar. Während durch mein Englisch nicht direkt klar wird, woher ich komme, kann ich es im Italienischen nicht verbergen. Doch irgendwo zwischen Scham und dem starken Gefühl nicht dazu zu gehören, wollte ich nichts anderes als das: Dazugehören. Ich wollte nicht die fremde Deutsche sein. Erst recht nicht die, die unfreundlich und kalt ist in diesem Land, das ich selbst zum Gegenteil des stressigen, harschen Deutschlands idealisiert hatte.


Learning a foreign language is the fundamental way to fit in with new people in a new country. It makes a relationship possible. Without language you can’t feel that you have a legitimate, respected presence. You are without a voice, without power.

– Jhumpha Lahriri: In other Words


Nach fast einem Jahr, fühlte sich Bologna wie mein Zuhause an. Der Weg über Via Zamboni, die seit Corona nicht mehr von Studenten gefüllt war, bis zu den Due Torri war mir inzwischen vertraut. Gegenüber wartete auf mich die Buchhandlung Feltrinelli, in der ich zu einer treuen Kundin geworden war. Die Due Torri waren auch der Ort, an dem wir uns abends häufig trafen, bevor es über Via Ugo Bassi in die Via del Pratello ging, in der vor Corona dank unzähliger Bars ebenfalls ein reges Nachtleben existiert hatte. Nun schlenderten wir meist eher durch die Stadt, setzten uns für einen Moment auf die Treppen der Basilica San Petronio und ließen die Stimmung des Piazza Maggiore auf uns wirken.

Doch neben dem Gefühl, in dieser bezaubernden Stadt ein neues Zuhause gefunden zu haben, war da noch ein anderes Gefühl. Es kam auf, wenn ich alleine durch die Straßen schlenderte und die Menschen um mich herum reden und lachen sah. Es kam auf, wenn ich in der Wohnung meines Freundes, die einzige war, mit der die Mitbewohnerin kein Gespräch suchte. Es begleitete selbst die Abende, in denen ich mit meinem Freund und seinem Freundeskreis ausging. Es war das Gefühl, nicht dazuzugehören. Es war ein Zweifel, ob ich überhaupt das Recht dazu hatte, Bologna als mein Zuhause zu bezeichnen.

Doch ich wollte ein Teil von dieser Gesellschaft und ihren Gesprächen sein. Ich wollte nicht nur zuhören, sondern mitsprechen. Ich wurde zur stillen Beobachterin. Es war als würde ich von außen auf die Ereignisse und Momente blicken ohne daran teilzuhaben. Obwohl ich mitten drin war. Denn bis ich mich auf dieser, mir noch immer nicht vertrauten Sprache ausgedrückt hätte, wäre das Gespräch längst an einem anderen Punkt. Die richtigen Worte zu finden, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen und schließlich einen Satz hervorzubringen, der korrekt ist und gleichzeitig die gewollte Botschaft übermittelt, passiert in der eigenen Muttersprache automatisch. In einer Fremdsprache, vor allem am Anfang, ist es das nicht.



In Italien zu leben, fühlte sich an manchen Tagen alles andere als selbstverständlich an. In Deutschland ist es das hingegen. Denn ich spreche die Landessprache, wodurch ich mich austauschen und Beziehungen aufbauen kann. Ich kann meine eigene Identität darstellen und meine Meinung, Bedürfnisse, Ideen und Ängste kommunizieren. Und vor allem kann ich für das, was mir wichtig ist und mich selbst einstehen.


„I realise that in spite of the limitations the horizon is boundless.”


Neben all den Momenten des Zweifels und der Scham, gab es auch jene, in denen ich meine Angst überwand, den Mund aufmachte und Teil hatte. Kurz bevor ich nach Deutschland zurückflog, verbrachten Freunde und ich einige Tage in Trentino. Aus den Fenstern der Wohnung waren die schneebedeckten Berge und der immerzu fallende Schnee zu sehen. Wenn wir abends von unseren Ausflügen wiederkamen, wartete die mulmig warme Wohnung auf uns. Wir kochten gemeinsam und verbrachten die Abende dann mit Spielen. Ich fühlte mich nicht länger als würde ich schauspielern, oder beobachten sondern war als ich selbst ein legitimer Teil der Gruppe. Es war vielleicht nicht die Rolle, die ich in einer Gruppe in Deutschland eingenommen hätte, doch ich fühlte mich wohl.

Als wir Stadt, Land, Fluss spielten, waren die Worte, die ich aufschrieb ein Chaos aus deutschen Städten und Namen, sowie englischen und italienischen Begriffen für Berufe, Essen und Tiere. Doch welche Sprache es letztlich war, mit der ich teilnahm, spielte keine Rolle. Stattdessen gaben mir diese drei Sprachen einen Schatz aus Wörtern, den ich nutzten konnte.

Wörter, die ich gelernt hatte. Von meinen Eltern, meinen Lehrer:innen, den Autor:inen, die ich gelesen hatte, den Sänger:innen, die ich gehört hatte. Wörter, die ich zufällig an Wänden, oder auf Werbeplakaten gelesen hatte. Wörter, die ich in den Gesprächen um mich herum aufgeschnappt hatte. Im Italienischen aber vor allem von meinen Freunden, die mir geduldig, Wörter und Redewendungen erklärt hatten. Mir meine grammatikalischen Fragen beantwortet haben. Die mir geduldig zugehört haben und mir damit einen Raum gegeben haben, in dem ich mich ausprobieren und Fehler machen konnte.



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Leni lebt aktuell in Frankfurt, von wo aus sie ihren Master in Ökotrophologie beendet. Zuvor hat sie anderthalb Jahre in Bologna gelebt und studiert. Neben Essen und Italien, liebt sie den Sommer und die Natur. In ihrer freien Zeit verliert sie sich gerne in Büchern oder auch schnell mal in eigenen Gedanken und Grübeleien. Ihre aktuelle Obsession ist Sally Rooney. In ihren eigenen Texten setzt sie sich oft mit alltäglichen Erfahrungen und Beobachtungen auseinander. Denn gerade diese sind es, mit denen Beziehungs- und Gesellschaftsstrukturen aufgezeigt werden können.



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