UND SONST SO? | Vom Umgang mit Blödsinn
Samstag, Mai 22, 2021Supermärkte, Drogeriemärkte, den gesamten Handel von Produkten zu befreien, die nicht den eigenen Wertevorstellungen, dem eigenen Weltbild oder dem Zeitgeist entsprechen, scheint auf den ersten Blick eine attraktive Idee zu sein. In Wahrheit ist es das Gegenteil davon.
„Die Höhle der Löwen“ schaue ich eigentlich nie, es ist kein Format, das mich sonderlich interessiert. Ein paar Mal reingezappt konnte ich Stefan, 29, der bei seinem Work and Travel-Jahr 2014 auf Bali auf die Idee gekommen ist, dass Energieriegel aus Dörrobst das sind, was uns in der deutschen Gesellschaft zwischen Gemüsedöner und Thüringer Klößen noch fehlt, nicht viel abgewinnen. Aber meine Instagram-Blase sorgt, verlässlich wie eh und je, auch in der Woche darauf dafür, dass ich trotz Verschmähung des Fernsehformates mitbekomme, was da passierte. Zwei junge Männer stellen pinke Einweghandschuhe vor, die zur Entsorgung von Periodenprodukten dienen sollen und erhalten von Juror Ralf Dümmel dafür Finanzierung.
Was folgt ist eine Welle der digital zur Schau gestellten Empörung. Und zunächst ist es auch nur das: Empörung. Empörung über die der Produktidee zugrundliegende Stigmatisierung der Menstruation, Empörung über die zweifelsfrei wenig nachhaltige Verwendung von Einweg-Plastik, Empörung über die Tatsache, dass es zwei junge Männer sind, die Finanzierung erhalten, wenn zwei junge Frauen ein Jahr vorher mit einem thematisch zumindest verwandten Produkt Ablehnung erfahren. „Ich bin erst zufrieden, wenn ihr das Produkt vom Markt nehmt.“ schreibt eine Nutzerin auf Instagram. Ich finde diese Forderung fast noch gruseliger als das Produkt an sich.
Zu erwarten, dass alle auf einem Markt verfügbaren Güter den eigenen Moralvorstellungen, der eigenen Weltanschauung entsprechen, ist am Ende des Tages auch nur eine Form des Totalitarismus. Es widerspricht den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft und erhebt für die eigenen Werte einen Allgemeingültigkeitsanspruch.
Eine andere Nutzerin schreibt „Wie kann es sein, dass NIEMAND in eurem Umfeld euch auf die Probleme aufmerksam machen konnte? Das macht mich am meisten feddisch“. Was im ersten Moment lustig klingt, ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als Engstirnigkeit. Es ist der Glaube, dass alle anderen Menschen die Welt doch so betrachten müssen, wie man selbst es tut. In einer pluralistischen Gesellschaft zu leben, bedeutet am Ende des Tages vor allem eins: Unterschiede auszuhalten. Es ist der friedliche Dissens, nicht der gewaltvoll erzeugte Konsens, der den Wert einer freien Gesellschaft ausmacht.
Die Empörung schlägt schnell um in Wut, in Rage und, wie so häufig im digitalen Raum, in virtuelles Geschrei. Ich bin auch wütend. Wütend darüber, dass Gründerinnen gegenüber Gründern strukturell immer noch benachteiligt sind. Wütend darüber, dass Themen weiblicher Gesundheit immer noch so schambehaftet sind wie sie es sind. Wütend darüber, dass es ein Naturgesetz zu geben scheint, dass vorschreibt alle Produkte, die primär eine weibliche Zielgruppe ansprechen sollen, zwingend pink sein müssen. Aber mindestens genau so wütend bin ich über den Ausgang der Debatte. Eine Woche nach Ausstrahlung der besagten Folge veröffentlichen die beiden Gründer ein Statement, in dem sie den Rückzug vom Markt verkünden. Am Ende des Statements geben sie an, sich massiven Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt gefunden zu haben. Es beklemmt mich, und ich stelle mir vor, wie es hätte laufen können. Wir hätten die Ablehnung eines solchen Produktes kundtun können, ohne jemanden zu beleidigen. Mehr Unternehmen hätten mit ähnlich humoristischem Moment-Marketing zeigen können, wozu Wettbewerb fähig ist, wie IKEA es getan hat. Und vor allem: Wir hätten unsere Macht als Verbraucher wahrnehmen und das Produkt einfach nicht kaufen können. Was für eine wunderbare Bewährung wäre es für die soziale Marktwirtschaft und vor allem für den Wandel in unserem gesellschaftlichen Diskurs gewesen, wenn sich eine Überzeugung nicht nur in Instagram-Posts, sondern in echten, realwirtschaftlichen Vorgängen niedergeschlagen hätte. Ich stelle mir vor, welche ruhige, aber vor allem kraftvolle Wirkung das gehabt hätte, welcher Eindruck zurückgeblieben wäre. Was nun zurückbleibt, ist das Bild zweier Fronten, die völlig überzeichnet anmutende Karikatur des scheinbar allwissenden und völlig am Zeitgeist vorbei laufenden Mannes auf der einen und eines schreienden und tobenden Inquisitions-Mobs auf der anderen Seite. Ich hätte uns mehr zugetraut.
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Carolin Jacobi ist 28 Jahre alt und lebt in Köln und ist seit 2021 Teil des Teams von Sans Mots. Neben Fuerteventura und Ferdinand von Schirach liebt Jacobi Sprache, Popkultur und feine Dinge und schreibt seit ihrer frühen Kindheit. Sie interessiert sich für Fragen des gesellschaftspolitischen Tagesgeschehens, Formen der menschlichen Begegnung und möglichst simple Memes. Auf Sans Mots schreibt sie die Kolumne „Und sonst so?“ über die großen Fragen in den kleinen Dingen unseres Zusammenlebens.
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