Pride ist das ganze Jahr: fünf LGBTQ-Buchempfehlungen

Ich weiß, ich weiß, ich bin zwei Monate zu spät. Die Firmen haben ihre Regebogenavatars auf Instagram schon längst stillschweigend entfernt ...


Ich weiß, ich weiß, ich bin zwei Monate zu spät. Die Firmen haben ihre Regebogenavatars auf Instagram schon längst stillschweigend entfernt (wobei, ihre Accounts für die Märkte in Autokratien wie Russland und Katar hatten sie gar nicht erst geändert, da gab es diesen Aufwand nicht) und medial dreht es sich wie gewohnt nur um die Rechte queerer Menschen, wenn wir damit anderen Menschengruppen Intoleranz vorwerfen können. Aber dennoch - oder vielleicht auch gerade deswegen - tue ich heute einfach so, als wäre das ganze Jahr über Juni. Also: Happy Pride!


Seit einem guten halben Jahrzehnt (seit wann sind die Siebziger-Jahre eigentlich fünfzig und nicht mehr dreißig Jahre entfernt?) wird der Monat Juni auch „Pride Month“ genannt und bietet einen Zeitraum, den Fokus auf nicht-heteronormative Lebensrealitäten zu legen. Lesbians, Gays, Bisexuals, Transgender und ganz allgemein Queers (wie zum Beispiel nicht-binäre Menschen) kämpfen in diesem Monat für Sichtbarkeit und gegen eine Gesellschaft, die sie zum „Anderen“ macht.

Und Kampf ist in diesem Zusammenhang ein gutes Stichwort, denn auch wenn die Pride-Paraden in der westlichen Welt mittlerweile von enthusiastischer Musik, bunten Farben und Partystimmung geprägt sind, standen und stehen antidiskriminierende Forderungen im Vordergrund. Der Höhepunkt des Pride Months findet vom 27. auf den 28. Juni statt und erinnert an selbige Nacht im Jahr 1969, als in New York die Bar „Stonewall Inn“, eine Bar, die vor allem von schwulen Menschen besucht wurde, in der Christopher Street von Polizist*innen gestürmt wurde.


Der Pride Month hat seinen Ursprung also im politischen Kampf, und kann Dank dieser Kämpfe heute in einigen Teilen der Welt genutzt werden, um sich selbst und die eigene Sexualität mit Stolz zu feiern - und auf die Kämpfe aufmerksam zu machen, die noch immer nicht ausgefochten sind.


Für cis-heterosexuelle Menschen wie mich ist dieser Monat also ein guter Anlass, um sich vermehrt über das Leben von queeren Menschen und ihre Diskriminierungserfahrungen zu informieren - dank jahrzehntelangen Forderungen nach Sichtbarkeit gibt es da aktuell mehr Möglichkeiten denn je. Unsere Beschäftigung mit queeren Lebensrealitäten kann sich für eine langfristige Veränderung allerdings nicht nur auf einen von zwölf Monaten im Jahr beschränken. Warum also nicht jetzt damit anfangen, das eigene Leseerlebnis um Geschichten über LGBTQ zu erweitern? Für euch habe ich fünf Bücher herausgesucht, die unterrepräsentierte Perspektiven aufzeigen und uns zu Unterstützer*innen machen können:



Bernardine Evaristo: Mädchen, Frau, etc. (2021)


Wenn ihr euch ein bisschen in der Buchszene auskennt, seid ihr vielleicht schon auf diesen Roman gestoßen; er hat in seinem Entstehungsort England mehrere Preise gewonnen und ist auch hier zum Bestseller geworden. „Mädchen, Frau, Etc.“ ist ein feministischer Unterhaltungsroman, in dem die Autorin die Geschichten verschiedener weiblicher Charaktere und eines nicht-binären Charakters im aktuellen England und dem England der letzten Jahrzehnte erzählt. Positiv finde ich, dass der Fokus in den Kapiteln der lesbischen Charaktere über das Coming-Out hinausgeht. Eine meiner Lieblingsgeschichten in diesem Buch erzählt von einer manipulativen Beziehung zweier Frauen - ein Thema, das aktuell in heterosexuellen Beziehungen immer mehr Beachtung findet, aber natürlich auch im queeren Kontext vorkommt und thematisiert werden sollte.


Ronya Othman: Die Sommer (2020)

In diesem Roman geht es nur nebensächlich um die Sexualität des Hauptcharakters - und genau deswegen empfehle ich ihn euch. Eigentlich handelt er von einer kurdisch-ezidischen jungen Frau, die die eigene Kindheit und Jugend zwischen Deutschland und den Sommern in Kurdistan in Syrien im Zuge des Krieges und der terroristischen Bedrohungen für Ezid*innen reflektiert. Gleichzeitig ist unser Hauptcharakter aber auch lesbisch und geht Beziehungen (oder das, was dem nahe kommt) mit anderen Frauen ein. „Die Sommer“ zeigt also etwas, was bei heterosexuellen Charakteren gang und gäbe ist: einen lesbischen Charakter, ohne seine Sexualität  zum Thema zu machen. Romane, in denen es keine Erklärung für die Diversität eines Charakters geben muss, sondern sie selbstverständlich ihre Daseinsberechtigung haben, fehlen noch immer und kann ich deswegen nicht oft genug empfehlen.



Linus Giese: Ich bin Linus. Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war (2020)


Dieses kurze, intime und sehr gut lesbare Buch ist eine Mischung aus Autobiografie und Sachbuch. Giese erzählt darin von seiner Transition, von den ersten Anzeichen über sein Coming Out bis hin zum vollen Ausleben seines Mann seins. Er erzählt dabei so intim, wie ich bisher kaum eine Biografie gelesen habe, über seine Gedanken, Sorgen und Ängste, was sicher viel Kraft gekostet hat, aber einen großen Mehrwert bringt. Gleichzeitig lenkt er den Fokus immer wieder auf strukturelle Diskriminierungen, denen trans Menschen auf dem Weg zur Geschlechtsangleichung ausgesetzt sind - und die mit trans-freundlicheren Gesetzesänderungen leicht zu überwinden wären. Wer cis ist und sich mit dem Leben von trans Menschen nicht auskennt, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen! Und ich kann mir vorstellen, dass wer trans ist, sich in diesem Buch verstanden und gehört fühlt.



Juno Dawson: Meat Market. Schöner Schein (2020)


Es ist zugegebenermaßen länger her, dass ich diesen Jugendroman über die toxische Modewelt gelesen habe, aber soweit ich mich erinnere, gibt es dort keinen queeren Charakter (correct me if I’m wrong!). Weshalb dieser Roman dennoch nicht auf der Liste fehlen darf, liegt an der Autorin, denn Juno Dawson ist eine trans Frau und Schriftstellerin. Auch das bedeutet Pride Month: wir wollen nicht nur cis-heterosexuelle Schriftstellerinnen und Schriftsteller über queere Charaktere und Lebenssituationen schreiben sehen, wir wollen, dass auch queere Schriftsteller*innen selber trotz all der Widrigkeiten in ihrem Leben die Möglichkeit haben, ihre Kunst zu veröffentlichen. Representation matters, und zwar nicht nur vor der Kamera, sondern auch hinter ihr.



Madeline Miller: Das Lied des Achill (2020)

Zum Schluss gibt es eine Empfehlung für uns alle - mich eingeschlossen. „Das Lied des Achill“ habe ich noch nicht gelesen, sollte es aber unbedingt bald tun! Es beschreibt die fiktive, in der griechischen Mythologie spielende Geschichte von Achill, der sich in einen Prinzen verliebt. Gemeinsam kämpfen sie in Troja - mit, so viel habe ich schon herausfinden können, tragischem Ende. Historische Romane sind wohl das Genre, in dem queere Menschen seltener vorkommen, mit der Begründung, dass „das damals noch kein Thema gewesen wäre“. Dass das Quatsch ist, ist einleuchtend und von mehreren Forscher*innen widerlegt. Umso besser, dass, wenn auch fiktive, historische Phänomene wie die griechische Mythologie endlich queerer gedacht werden.




Diese Auswahl ist natürlich nur eine kleine, quasi eine Mischung aus Starterpack und Geheimtipps, sodass hoffentlich für alle etwas dabei ist und langfristig queere Kunst nicht mehr aus Musik, Film, Literatur und Popkultur wegzudenken ist. Wie im Black History Month gilt nämlich auch hier: Ziel ist, dass es Artikel wie diese irgendwann nicht mehr geben muss.




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Saskia Heegardt hat Pädagogik und Islamwissenschaften im Bachelor an der Uni Kiel studiert. Aktuell studiert so dort im Master Migration und Diversität. Gleichzeitig sammelt sie erste Arbeitserfahrung als Sozialpädagogin in einer Migrant*innenselbstorganisation. Schon während ihrer Jugend interessierte Saskia sich für politische und gesellschaftliche Gerechtigkeitsfragen, aber erst im Studium hat sie gelernt, ihnen aktiv nachzugehen: sie war ein Jahr lang Teil des Bundesgremiums des pluralistischen Netzwerks Junge Islam Konferenz, hat ehrenamtlich Deutschunterricht gegeben und auch wenn sie jetzt nicht mehr Mitglied der SPD ist und diesen Teil als „dunklen Fleck“ in ihrem Lebenslauf betrachtet, war sie zwei Jahre lang Mitglied im örtlichen Kreisvorstand der Jusos.Ihre Liebe zu Büchern hat sie im Studium wiederentdeckt. Dabei ist ihr aufgefallen, welchen Einfluss Romane und Sachbücher auf gesellschaftliche Debatten haben können. Seitdem liest und rezensiert sie vor allem feministische Arbeiten - in der Hoffnung, dass ihr Einfluss so entfaltet werden kann.





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