Feministischer Buchclub #02 | Warum Feminismus gut für Männer ist

  Feminismus dient uns allen. Auch Männern. Das ist die selbsterklärende These des danach benannten Buches “Warum Feminismus gut für Männer ...

 


Feminismus dient uns allen. Auch Männern. Das ist die selbsterklärende These des danach benannten Buches “Warum Feminismus gut für Männer ist” von Jens van Tricht. Und dass Männer das dringend einsehen müssen, dieser Meinung ist van Tricht ebenso. Dass Feminismus die sexistische Diskriminierung von Frauen bekämpft, das sei vielen zumindest irgendwie klar. Dennoch glauben die meisten Jungen und Männer, mit ihnen habe das nichts oder kaum etwas zu tun. Das sei ein Kampf, der von anderen (Frauen) für andere (Frauen) ausgetragen werde, so die verbreitete Haltung. Doch van Tricht widerspricht: “Erst wenn Männer einsehen, dass Feminismus und Emanzipation auch sie etwas angehen, werden sie merken, dass auch alle anderen Probleme, mit denen sie zeitlebens zu tun bekommen können”, schreibt er und meint damit unter Anderem: “Stress, Konkurrenz, Burn-Out, Einsamkeit, Depressionen, Sucht, Statusangst, Gewalt etc. - an die Art und Weise gekoppelt sind, wie sie gelernt haben, sich als Mann zu verhalten und daran, wie sie als Mann behandelt werden. Solche Probleme entspringen nicht der männlichen Natur, sondern der Art, wie wir als Gesellschaft den Begriff Männlichkeit definieren, und wie wir die Erwartungen, Normen und Anforderungen, die sich daraus ergeben, gestalten. Daher können wir auch etwas daran ändern.”

Als Laura und ich den feministischen Buchclub von Sans Mots gründeten, standen die ersten drei Bücher, die wir gemeinsam mit den Teilnehmenden lesen wollten, sehr schnell fest. Während das erste Buch (“Untenrum frei” von Margarete Stokowski) eines war, das popkulturell, anekdotisch, manchmal radikal war, manchmal so gar nicht, sollte das zweite Buch eines sein, das den Blick auf andere Weise weitet. Stokowski sprach in ihrem Buch - unser erstes im Buchclub -  außerdem aus einer Lebenswelt und eines Aufwachsens, das den meisten von uns alterstechnisch nah war. Wir verstehen die Anspielungen, die ironischen Witze, die meisten von uns kennen auch Margarete Stokowski als linke Kolumnistin, die in Deutschland eine wichtige Stimme für den Feminismus darstellt. Feminismus für den Einstieg. In sich selbst erklärender Sprache, in bekannten Szenarien. Ich war es, die das zweite Buch auswählte und mich dabei für dieses hier entschied. Um es in den Worten des Autors zu sagen:


“Die Zeit ist reif, Männer in die Emanzipationsfrage und den Feminismus tatsächlich miteinzubeziehen.”


“Als weißer Mann ein solches Buch zu schreiben ist eine spannende Angelegenheit. Wer bin ich schließlich, um mich zu diesem Thema zu äußern?”, hinterfragt van Tricht schon ganz selbstständig und will keinen Geltungsanspruch erheben. Ein Mann will mir etwas über Feminismus erklären? Ja, bitte. Zumindest aus dieser Perspektive. Geschlechtergerechtigkeit und den Druck der Konformität aus einer männlichen Sicht, ist etwas, das ich nur aus der Theorie kenne.

Nur 160 Seiten hat das Buch des niederländischen Autors Jens van Tricht, der sich seit über 25 Jahren mit dem Thema “Männer und Männlichkeit” auseinandersetzt, an diversen Organisationen und Initiativen beteiligt ist, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und männliche Emanzipation einsetzen.

“Als Jugendlicher war ich ziemlich unglücklich mit der Welt im Allgemeinen und meinem Leben im Besonderen. Meine innere Unzufriedenheit und Wut implodierten und explodierten gleichzeitig. Ich wurde depressiv, hörte The Cure und Joy Division und fing an zu kiffen und zu trinken”, erinnert sich van Tricht an die eigene Jugend. Und dann. Dann änderte sich das. “Anfang der Neunziger schrieb ich mich für das Studienfach Frauenforschung an der Universität Amsterdam ein. Ich erinnere mich noch gut an das Poster, das dort an der Tür hing: “Wo bleiben die Männer in der Frauenforschung?” Da stand ich nun.”


Männlich, Weiblich, Männlich, Weiblich

Männlichkeit und Weiblichkeit sind Rollen, denen Eigenschaften zugeordnet werden.  Während Frauen den Druck erfahren, immerzu schön, sexy, lieb, freundlich, süß und kümmernd zu sein, ihnen Fähigkeiten abgesprochen und Aufgaben zugetragen werden, sind auch Männer nicht davon verschont. “Wir verbinden alle möglichen Begriffspaare mit “Männlichkeit” und “Weiblichkeit”, wie zum Beispiel: hart, rational, stark und kompetitiv mit Männlichkeit. Weiblichkeit mit: weich, emotional, schwach, verbindend.” Und wenn man einmal darauf achtet, kann sieht man es immer deutlicher, “dass die Welt entlang einer rosafarbenen und blauen Gendergrenze verläuft.” 


Ob als übertriebener Scherz, als unschuldige Bemerkung oder klare Kritik verpackt, Männer bekommen implizit oder explizit die Botschaft vermittelt, was sie sein sollten: Ein echer Kerl, ein richtiger Mann. Was das heißt? Der Mann als Entscheider. Als Karrieretyp. Hauptverdiener und Ernährer. Ein Anpacker. Mutiger Held. Beschützer. Gewinnertyp. Frauenheld (heterosexuell, of course!). Ein echter Mann ist stark, ehrgeizig, sexuell erfahren und aktiv, rational, selbstsicher, mutig, risikofreudig, lösungsorientiert. Ohne Ängste und Zweifel, ohne Tränen, aber bestenfalls mit Erfolg im Gepäck und Sixpack unterm Shirt.


Die Vorstellung von Männlichkeit in dieser Art determiniert Männer. Freie Weiterentwicklung und Entfaltung, Man-selbst-sein wird unmöglich, wenn es eigentlich bedeutet, man muss etwas ganz bestimmtes sein, und zwar: Männlich im Sinne der Man Box. Und dieser Druck, sich dem anzupassen und zu entsprechen. All das ist ein Nährboden für toxische Vorstellungen, die letztlich gesellschaftliche Probleme, aber auch enorme persönliche Probleme im Alltag und Lebensweg von Männern verursacht. Für Männlichkeit in diesem Sinne bezahlen Männer einen hohen Preis. Dauerbelastung im Beruf, der Druck zu performen, Stress, Konkurrenzdruck. Und nachweislich auch: Eine höhere Tendenz zu Alkoholmissbrauch, Drogenabhängigkeit, destruktives Verhalten und Gewalt gegen sich selbst, Spielsucht, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Einsamkeit, gestörte Beziehungen in Partnerschaften, zu den eigenen Kindern, oberflächliche Beziehungen in Freundschaften.

Die Man Box ist der begrenzte Raum, in dem sich diese normgerechte Männlichkeit bewegen kann. Entspricht Mann ihr nicht, sondern zeigt sich in weiblich empfundenen Charakteristika, gibt es Begriffe wie Mädchen, Homo, Weichei, Sofie, Pussy, Muttersöhnchen und schwul, die als Beleidigung und Abwertung fungieren. Denn Weiblichkeit, so ist das in patriarchalen geprägten Gesellschaft, steht nun mal in der Statusleiter tiefer. Weiblichsein heißt Schwäche. Und wir wollen Männer. Wollen wir das wirklich?

“Warum Feminismus gut für Männer ist” erschien 2018 erstmals in den Niederlanden, in deutscher Übersetzung wurde das Buch 2019 im Christoph Links Verlag veröffentlicht.

Wir können verändern: Feminismus heißt, Freiheit schaffen

Es braucht die folgende Klarheit: Wir können etwas verändern, wir verfestigen oder verändern Realität durch das, was wir denken, was wir akzeptieren oder eben nicht. Denn das, was Menschen als wirklich ansehen, hat reale Folgen: “Eins der grundlegenden Gesetze der Soziologie lautet: If men define situations as real, they are real in their consequences - Was als wirklich angesehen wird, hat Konsequenzen für die Realität. Dieses sogenannte Thomas-Theorem manifestiert sich in den unterschiedlichsten Bereichen. Wenn Menschen davon ausgehen, dass etwas “nun einmal” so ist, tragen sie durch ihr Handeln dazu bei, dass es so wird. Dadurch werden Fakten geschaffen. Auf diese Weise wird auch Gender eine selbsterfüllende Prophezeiung.”

Feminismus heißt Freiheit. Oder Freiheit zu schaffen. Van Tricht zeigt in seinem Buch sein Ziel auf: Die Entwicklung einer neuen, einer anderen Zukunftsperspektive. “Wenn wir den Gedanken aufgeben, Männer müssten männlich und Frauen müssten weiblich sein, und wenn es uns darüber hinaus gelingt, alle menschlichen Eigenschaften als wirklich ebenbürtig wertzuschätzen, können wir in Freiheit und Gleichheit Entscheidungen über das Leben treffen, das wir gern führen möchten, zusammen und allein.” Das funktioniere durch Feminismus.


“Mensch zu sein, statt sich als Mann aufzuspielen.”


Das Erreichen dieses Ziel ist nur gemeinsam schaffbar, nicht im Alleingang. “Männer und Feminismus benötigen einander. Der Feminismus braucht Männer, damit die Welt eine bessere wird, Männer wiederum brauchen Feminismus, damit ihr Leben ein besseres wird.”


“Feminismus ist weitaus mehr als nur der Ruf nach Gleichberechtigung. Er wirft ein kritisches Licht auf gesellschaftliche Mechanismen der Dominanz und der Unterdrückung, er ist eine fundamentale Kritik an einem System, das Ungleichheit hervorbringt, ein Ruf nach radikaler Veränderung der Verhältnisse.”


Sich für den Feminismus stark machen, ist für van Tricht selbstverständlich eine politische Forderung. “Emanzipation ist sowohl der Akt der Befreiung als auch die Entwicklung hin zu Gleichheit und Gerechtigkeit”, schreibt er. Dass dies im engsten Sinne jedoch persönlich ist, ist in der Bewegung nichts neue. Männer und Jungen sollten sich für Feminismus einsetzen, weil es der Einsatz für Gerechtigkeit ist, aber auch, weil es jeden Menschen wieder zum Menschen macht, unabhängig vom Geschlecht. Und das befreit auch Männer aus ihrer Man Box, in der sie gefangen sind. Van Tricht verspricht Männern durch nicht wenig: eine höhe Lebensqualität und bessere Beziehungen. Zu anderen, aber auch zu sich selbst.

“Ich konnte den Schmerz und das Leid der Welt nicht ertragen, widersetzte mich heftig und entdeckte, dass Männer wie ich dafür verantwortlich waren. Und dann stellte sich auch noch heraus, dass ich zur Kategorie der besonders privilegierten Männer gehörte: weiß, heterosexuell, Hochschulabschluss, Mittelklasse. Männer erfahren ihre Vorrechte und Privilegien als derart selbstverständlich, dass sie dazu neigen, Gleichheit als Benachteiligung und Unterdrückung wahrzunehmen. Zu viele Männer hüllen sich in Schweigen, sobald männliche Privilegien und männliche Dominanz zur Sprache kommen oder gehen unbesonnen zum Gegenangriff über. Während ich persönlich durchaus noch Verständnis für die Angst und Unsicherheit dieser Männer aufbringen kann, herrscht doch auch bei mir Unverständnis vor: Wie ist es möglich, dass rechtschaffene Männer, die sich aktiv gegen allerlei Unrecht in der Welt einsetzen, sich so schwer tun, dieser Form des Unrechts die nötige Aufmerksamkeit zu widmen? Wie können wir uns für eine bessere Welt einsetzen, wenn wir nicht mit diesem Kampf in unserer unmittelbaren Nähe beginnen?” 

160 Seiten Einführung in männlichen Feminismus von einem Aktivisten, der sich diese Aufklärung und politische Arbeit zum Beruf gemacht hat. Zwar fallen auch Fachbegriffe wie “hegemoniale Männlichkeit”, “Intersektionalität” oder “androzentrisches”, doch werden diese Begriffe erklärt und in einen Zusammenhang gesetzt. Für jemanden, der oder die sich bereits sehr viel mit feministischer Literatur beschäftigt hat, für den ist dieser Band vermutlich nichts. Etwas zu sehr an der Oberfläche, vielleicht zu repetitiv. Für jemanden, der oder die bei einem Buch mitgenommen werden möchte in eine anderen Alltag, für den ist dieses Buch vielleicht auch zu theoretisch und wenig anschaulich. Aber - und jetzt kommt das große “Aber” - für alle, die sich ganzheitlich mit Feminismus auseinandersetzen möchten, ob männlich, weiblich oder divers. Für all diejenigen, die gegen Rollenerwartungen und Stereotype kämpfen und sich vielleicht selbst eingestehen wollen, wo sie selbst daran beteiligt sind.

"Warum Feminismus gut für Männer ist" gelingt es, klar zu machen: Geschlechtergerechtigkeit meint wirklich Geschlecht, nicht nur Weiblichkeit. (Genau genommen auch nicht nur Weiblichkeit und Männlichkeit, aber darauf gehen wir erstmal noch nicht ein.) Ihm gelingt es auch zu verdeutlichen: Feminismus ist ein gemeinsamer Kampf gegen Ungleichheit. Mit der Betonung auf “gemeinsam” und der Klarstellung, dass nicht Männer die Gegner sind.



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