Gewalt gegen Frauen | Frauen haben ein Recht auf Sicherheit und Gewaltfreiheit. Frauen haben ein Recht auf Leben.

Da ist er wieder: Der 25. November. Und somit auch der jährlich stattfindende internationale Aktionstag zur Beendigung von Gewalt gegen Frau...

Da ist er wieder: Der 25. November. Und somit auch der jährlich stattfindende internationale Aktionstag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen. - Frauen haben das Recht auf Unversehrtheit. Dass dieses Menschenrecht in unglaublicher Dimension tagtäglich verletzt wird, bleibt viel zu oft unsichtbar, nicht besprochen und ohne Konsequenzen für Täter und Verursacher. Politisch, rechtlich, zivilgesellschaftlich muss noch sehr viel passieren, damit die Rechte von Frauen* und Mädchen* auf der ganzen Welt und auch im ganz kleinen - in unser aller Alltag - wirklich umgesetzt und geschützt werden können.

Was ist Gewalt gegen Frauen? "Der Begriff  'Gewalt gegen Frauen'  bezeichnet jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt, die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben." So wurde es auf der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking formulierrt.


  • Eine großangelegte Studie innerhalb der EU zum Thema Gewalt gegen Frauen kommt zu dem Ergebnis: 62 Millionen Frauen, ein Drittel der Frauen in der EU zwischen 15 und 74 Jahren gaben an, „körperliche und/oder sexuelle Gewalt“ erfahren zu haben.
  • 5% erklärten, Opfer einer Vergewaltigung gewesen zu sein.
  • 12% gaben an, als Kinder Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein.
  • 55% der Frauen gaben an, Opfer von sexueller Belästigung gewesen zu sein - unter ihnen 75% der Frauen, die in Führungspositionen tätig sind.
  • Bei Weitem nicht alle Frauen wenden sich an Sicherheitskräfte. Lediglich der Gewaltopfer hatten einen Arzt oder ein Krankenhaus aufgesucht und nur 15% der Gewaltopfer meldeten den Vorfall oder die Vorfälle der Polizei.

“Gewalt beginnt nicht mit physischer Gewalt. Sie beginnt mit Abwertung, Kontrolle und Manipulation.”

- Christina Clemm


Sophie Lilienthal:
Die juristische Brille: Defizitäre Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland

Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, genannt Istanbul-Konvention, wurde am 11. Mai 2011 zur Zeichnung aufgelegt und trat am 1. August 2014 in Kraft. Das Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Der Gewaltbegriff der Konvention umfasst - neben körperlicher und sexueller Gewalt - auch psychische Gewalt, Stalking und sexuelle Belästigung. Ebenfalls sind Zwangsheirat, Zwangsabtreibungen, Zwangssterilisierungen und Genitalverstümmelung unter Strafe zu stellen. Die Istanbul-Konvention sieht eine Vielzahl von Instrumenten zum wirksamen Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt vor.


So weit, so schön? Insbesondere die COVID-19 Pandemie hat gezeigt, dass Frauen und Mädchen weiterhin in nicht tolerablem Ausmaß von Gewalt betroffen sind. Auch in Deutschland zeigt sich, dass eine hinreichende Umsetzung der Istanbul-Konvention noch weit entfernt ist.


Der deutsche Juristinnenbund (djb) zeigte in einem Schattenbericht zur Evaluation der Umsetzung in Deutschland vom 1 Februar 2021, dass es an der vollständigen Umsetzung der Konvention in Deutschland noch mangelt. Der djb fordert in diesem Bericht Verbesserungen in der Prävention, insbesondere bei Gewalt in Paarbeziehungen. Ebenfalls weist der Schattenbericht darauf hin, dass gewaltbetroffenen Frauen noch kein umfassender Schutz zur Verfügung steht und bemängelt, dass kein effektiver Zugang zur Justiz besteht.


Ein effektiver Zugang zur Justiz erfordert barrierefreie Informations- und Rechtsberatungsangebote, die in Deutschland kaum zu finden sind.


Auch bei Unterstützungs- und Beratungsangeboten sieht der djb Notwendigkeit. Außerdem werden deutsche Unterstützungszentren den Anforderungen der Istanbul-Konvention an Krisenzentren noch nicht gerecht. Darüber hinaus fordert der djb, dass Lücken beim Schutz vor Zwangssterilisation und psychischer Gewalt und im Staatshaftungsrecht geschlossen werden. Ebenfalls setzt sich der djb für einen wirksamen Schutz vor Gewalt auch für Migrantinnen und geflüchtete Frauen ein. Schließlich weist der djb darauf hin, dass ein unabhängiges Monitoring und eine umfassende Datenerhebung für die strukturelle Umsetzung der Istanbul-Konvention erforderlich wären.

Zum Weiterlesen: der djb hat verschiedene ausführliche Themenpapiere zu den einzelnen Umsetzungsdefiziten erstellt, wie zum Beispiel:

  • Femizide in Deutschland: Strafverfolgung und angemessene Bestrafung von sogenannten Trennungstötungen (25.11.2019)
  • Umsetzungsdefizite bei Frauenschutzhäusern und Fachberatungsstellen (26.11.2019)
  • Effektive Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt (29.11.2019)
  • Strafzumessung bei sexualisierter Gewalt durch (Ex-)Partner (2.12.2019)
  • Unterstützung und Schutz der Betroffenen von sexualisierter Gewalt: Krisenzentren für Opfer von Vergewaltigung sowie Verfahrensbeistand und psychosoziale Prozessbegleitung (3.12.2019)
  • Unterbindung geschlechtszuweisender Operationen an Kindern (5.2.2020)
  • Entschädigung Betroffener bei psychischer Gewalt mit schweren Folgen (7.2.2020)

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Aus einer Arbeitsgruppe unter UN Women ist ein offener Brief erarbeitet worden, der sich an die zu bildende Bundesregierung mit Forderungen zur effektiven Umsetzung der Istanbul-Konvention richtet. Unterstützt den Brief gerne, indem ihr ihn unterschreibt und an die frauenpolitischen Sprecher*innen der SPD, B90/Die Grünen und FDP schickt.

Wer mag, kann auch den Aufruf von UN Women teilen:

Orange the World: Stop Gewalt gegen Frauen. Jetzt.




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“Seit dem ersten Lockdown erreicht uns alle 20 Minuten beim Hilfe-Telefon eine Anfrage zu häuslicher Gewalt."

- Leiterin des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen", Petra Söchting

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Saskia Heegardts Buchempfehlung:

Christina Clemm: AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt (2020)

Christina Clemm ist Strafverteidigerin und Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistischer Gewalt in Berlin. In diesem Buch sammelt sie in anonymisierter und daher abgewandelter Form Fälle ihrer Klientinnen, die auf verschiedenste Weise Gewalt ausgesetzt waren.

Dabei zeigt die Anwältin ein erschütterndes Bild: Frauen quer durch die Gesellschaftsschichten mit unterschiedlicher privilegierter oder weniger privilegierter Vergangenheit sind von Gewalt in der Partnerschaft, Polizeigewalt, Stalking, Rechtsextremismus, Justizwillkür, Vergewaltigung, Unterdrückung und Mord betroffen. Frauen aus ärmeren oder bildungsferneren Schichten, mit ungeregeltem Aufenthalt, Frauen in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen und politisch aktive Frauen erleben dabei noch besondere Schwierigkeiten: zusätzlich zu der Gewalt wird ihnen von verschiedenen Stellen nicht geglaubt, werden ihre Schilderung nicht ernst genommen oder müssen sie gar mit persönlichen Konsequenzen rechnen.

Zusammengefasst: Clemm zeigt, dass (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen ein strukturelles Problem ist, das nicht bei dem schlagenden Ehemann aufhört, sondern sich quer durch die Institutionen Deutschlands zieht - Institutionen, deren Aufgabe es ist, Gerechtigkeit zu schaffen und Opfern Schutz zu ermöglichen.


"Dieses Buch soll den Blick auf die betroffenen Frauen lenken, ihre Schicksale und ihren Kampf. Es soll Anstoß geben, endlich gesamtgesellschaftlich das Massenphänomen der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Aber auch Zuversicht, dass es sich lohnt."


Im Vordergrund des Buches stehen die anonymisierten Fälle. Zwischendrin untermauert Clemm einzelne Sachverhalte immer wieder mit Fachwissen aus der Justiz. Aber nicht nur deswegen lohnt es sich, dieses Buch zu lesen: es ist ein Must-Read um zu verstehen, was für eine große Bedrohung Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft darstellt und wie weit sie verbreitet ist. Ich möchte für dieses Buch aber unbedingt eine Triggerwarnung aussprechen. Selbst wenn ihr von Gewalt nicht betroffen seid: es wird euch wütend machen.

Rosanna Giannelli:

Menschenrechtsverletzungen, Femizide und Kontrolle:
Es gibt noch viel zu tun.

Menschenrechtsverletzungen gibt es viele. Sie reichen von Armut und Hunger über mangelnde medizinische Versorgung und Schulbildung bis hin zu Kriegen und zur politischen, ethnischen und religiösen Verfolgung. Mittlerweile kann man sogar die Folgen der Umweltzerstörung dazuzählen.

Allerdings gibt es auch Menschenrechtsverletzungen, die Mädchen und Frauen im Speziellen betreffen. Sie basieren auf patriarchalen Strukturen und sind verbunden mit der Kontrolle über den weiblichen Körper und die weibliche Sexualität. Zu dieser patriarchalen Gewalt zählen beispielsweise Witwenverbrennung, Kinder- bzw. Zwangsverheiratung, Genitalbeschneidung und -verstümmelung (FGC/FGM), Zwangsprostitution und Vergewaltigung, aber auch Zwangsabtreibung sowie Zwangsfortpflanzung oder Zwangsver- oder entschleierung.

Wenn man an Witwenverbrennungen und Genitalbeschneidung denkt, könnte man dem Irrtum erliegen, dass patriarchale Gewalt – also Gewalt an Frauen – eher im globalen Süden stattfindet. Irgendwo anders. Nicht "hier" jedenfalls. - Wer dann aber den Blick nach Deutschland richtet und sieht, dass Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 strafbar ist oder sexuelle Belästigung vor gerademal fünf Jahren zur Straftat erklärt wurde, merkt, dass das Patriarchat auch in Deutschland noch lange nicht besiegt ist. So hat die Bundesregierung die Istanbulkonvention im Jahr 2016 nur unter Vorbehalt unterzeichnet. Damit "entzieht sich Deutschland der Vorschrift, geflüchteten oder migrierten Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder als Zeuginnen in Strafverfahren aussagen, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu ermöglichen", so der Deutscher Frauenrat.

Außerdem versucht in Deutschland jeden Tag ein Mann, seine Partnerin oder Expartnerin zu töten. An jedem dritten Tag gelingt es einem. Bei diesen Taten geht es in den meisten Fällen "nicht nur darum, eine Frau umzubringen, sondern darum, sie regelrecht zu vernichten. Die Forschung beschreibt das als 'overkilling'. Übertötung." Kurzum: Femizid. Die Tötung einer Frau, weil sie Frau ist. Die Tötung einer Frau zu ihrer absoluten Vernichtung.


"In vielen Fällen von Gewalt gegen Frauen geht es um Macht: Es geht um die Kontrolle, über das Leben, den Körper, die Sexualität und die Rechte einer anderen Person entscheiden zu können."


2020 verzeichnete Deutschland 139 Femizidfälle. Die Trennung vom Partner gilt als Hochrisikofaktor: Nicht die Zunahme der zuvor ausgeübten Gewalt ist entscheidender Faktor für einen Femizid, sondern die Verstärkung eines inneren Konfliktes des Täters, wenn die Frau sich der Kontrolle des Partners entzieht oder sich etwa trennt.

Studien wie die von Jane Monckton Smith und Luise Greuel haben ergeben, dass die meisten Femizide keine Affekttaten sind. Ein Femizid ist das brutale Ende eines mehrstufigen ProzessesWas sich in Prozessen entwickelt, ist absehbar.


Was absehbar ist, kann verhindert werden. 


Fallmanagement, Studien und Täterarbeit geben uns genügend Ankerpunkte für Risikoanalyse und Prävention. Prävention kann jedoch nur geleistet werden, wenn Politik, Medien und Gesellschaft aufgeklärt und sensibilisiert sind. Und da gibt es noch viel zu tun.

Teresa Bücher schrieb vor wenigen Tagen: “Es macht mich so ratlos, warum eine Bundesregierung, die sich die besten Berater*innen leisten könnte, patriarchale Gewalt so framed, als könnten Polizei, Hilfetelefone und Frauenhäuser sie verhindern.” Und weiter: “Wir brauchen Rollenbilder, die dabei helfen, dass niemand Täter*in wird. Ökonomische und soziale Strukturen, die Trennungen jederzeit möglich machen (Stichwort: Mieten und Equal Pay). Wir brauchen eine Politik, die es ernst meint mit der Überwindung des Patriarchats.”

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Janet Kinnert:
Gewalt gegen Frauen ist überall. Und was fast noch schlimmer ist: Wir gewöhnen uns daran.

Es gibt Diskussionen in meinem Umfeld, da fange ich plötzlich an zu weinen. Oft aus Wut. Aus dem wütenden Unverständnis, wieso mein Gegenüber nicht begreift, wie ernst die Sache ist. Aus einem Gefühl der Ohnmacht. Meistens ist es der Gedanke darüber, dass es doch schon so viel gibt und es wirklich langsam reicht. Im mehrfachen Sinne.

“Mädchen und Frauen bekommen im Laufe ihres Lebens eine Art Regelwerk mit, wie sie sich vor sexueller Gewalt schützen können”, schreibt Julia Anton und macht auf die Omnipräsenz der Gefahr für Frauen aufmerksam. “Nicht zu viel Alkohol trinken, das Glas nicht aus den Augen lassen, auf dem Heimweg dunkle Gassen meiden, unterwegs telefonieren oder lieber gleich ein Taxi nehmen – und, auch das steht häufig immer noch auf der Liste, das freizügige Outfit vielleicht noch einmal überdenken. Frauenparkplätze in Tiefgaragen, mehr Videoüberwachung und bessere Beleuchtung an öffentlichen Plätzen sollen das Sicherheitsgefühl stärken, Codewörter in Bars und Telefonhotlines unkomplizierte Hilfe ermöglichen.” All das scheint notwendig im öffentlichen Raum. Und schützt dennoch nicht immer. Denn Zuhause angekommen, ist frau genau an dem Ort, der für sie statistisch gesehen am gefährlichsten ist. "Schattenpandemie" ist ein Begriff, der seit Coronazeiten immer wieder auftaucht. Er bezeichnet die Pandemie, die hinter verschlossenen Türen, hinter vorgezogenen Vorhängen passiert: Gewalt im eigenen Heim. "Der gefährlichste Ort im Leben einer Frau ist das eigene Zuhause", sind sich Politikwissenschaftler:innen einig.


“Nach Zahlen des Bundeskriminalamts werden jedes Jahr in Deutschland mehr als 100.000 Frauen Opfer sogenannter Partnerschaftsgewalt. Circa 15.000 Kinder und Jugendliche werden sexuell missbraucht, circa 75% sind weiblich. Nahezu 9000 Frauen werden jährlich Opfer von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen, mehr als 400 Frauen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. [...] Die Dunkelziffer bei diesen Delikten wird erheblich höher eingeschätzt.” 

Christina Clemm

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  • Weltweit werden 38% der Frauenmorde von den männlichen Partnern oder Ex-Partnern der Opfer begangen, also durch Partnerschaftsgewalt.
  • Allein in Deutschland stirbt jeden 3. Tag eine Frau durch die hand ihres Partners. Das entspricht jährlich mehr als 100.000 Frauen.

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Wir haben seit Jahren Statistiken darüber, wie allgegenwärtig Gewalt gegen Frauen ist. Nicht nur "irgendwo" und "manchmal", sondern immer und überall. In jeder Nation, in jeder Schicht und Klasse, in jedem Alter, im öffentlichen Raum genauso wie im privatesten Ort intimer Partnerschaften, im digitalen, am Arbeitsplatz: Überall. Wir haben all diese Zahlen. Sie sind öffentlich. Nicht unter Verschluss. Und wir haben NGO's, haben Artikel, haben Aktivist:innen, haben Privatmenschen, die darüber aufklären und Mühe, Zeit, Geld, vor allem aber: Schmerz dort hinein stecken, damit es endlich aufhört. Sensibilisierung, politische Forderungen, rechtliche Empfehlungen, gesellschaftliches und soziales Miteinander, Sichtbarmachung. Wir haben genug. Genug Opfer. Oft genug davon erzählt und zu selten auf Menschen gestoßen, die zuhören, die ernst nehmen, die nicht nur stumm nicken und es dann vergessen, sondern die aktiv werden. Wir haben genug. Genug Frauen, die minütlich all das erleben und dann weiterleben und Diskussionen darüber führen müssen, dass es das "wirklich gibt" und auch "wirklich nicht okay ist" und auch kein Witz und keine Ideologie, sondern die Realität, mit der Frauen auf der ganzen Welt durch ihr Leben laufen. Zu glauben, "Gewalt gegen Frauen" sei ein Thema, das mit dir und deinem Umfeld nichts zu tun hat, ist ein gewaltiger Irrtum.



Der Umgang von geschlechtsspezifischer Gewalt in Medien


Die Beantwortung der Frage, wo die Gewaltbereitschaft von Tätern beginnt, ist komplex. Es gibt viele Zusammenhänge, die inzwischen nachgewiesen sind. Einen, den ich erwähnen will ist der Umgang von Gewalt gegen Frauen in unseren Medien. Sowohl in der Berichterstattung, als auch die Trivialisierung von Gewalt in unserer Kultur.

Wie greifen Medien das Thema "Gewalt gegen Frauen" auf und wie stellen sie es dar? Vor diesem Hintergrund haben die MaLisa Stiftung und die UFA GmbH die Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen. Eine Medieninhaltsanalyse“ initiiert und gefördert, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Die Studie bietet einen Überblick über die Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen TV. 

Zentrale Ergebnisse:

  • Geschlechtsspezifische Gewalt kommt in rund einem Drittel (34 %) der Sendungen vor. Häufig handelt es sich dabei um explizite und schwere Gewalt gegen Frauen und Kinder.
  • Sie wird in unterschiedlichen Programmsparten und Genres dargestellt, am häufigsten jedoch in fiktionalen Programmen (66 %). Innerhalb dieser kommt sie meist in Krimi-Serien (26 %) und Spielfilmen (13 %) vor.
  • Die Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt kommen nur in 8 Prozent der Darstellungen ausführlich selbst zu Wort.
  • Bei der Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen TV fehlen häufig Vorabwarnungen über den Inhalt, Hinweise auf Hilfsangebote für Betroffene, die Beschreibung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und eine stärkere Einbeziehung der Betroffenen-Perspektive.

Medien prägen unsere Wahrnehmung der Realität. Wir als Medienschaffende tragen dadurch eine besondere Verantwortung, gerade bei einem gesellschaftlich so dringlichen Thema wie Gewalt gegen Frauen. Wenn wir diese verzerrt darstellen, werden wir eher ein Teil des Problems, dabei können und sollten wir Teil der Lösung sein."

 Co-Gründerin der MaLisa Stiftung Furtwängler

Darstellung, Trivialisierung und Ästhetisierung von Gewalt gegen Frauen

Und wenn man darüber nachdenkt, findet man sie plötzlich überall: Misogynie. Grabenkämpfe, Pointen, Angriffe auf Kosten von Frauen. Man muss gar nicht nur tiefst frauenverachtenden Rap hören, um ihnen zu begegnen. Oft reicht ein Blick ins Comedyprogramm. Oliver Pocher wird vor allem dann gefeiert, wenn er auf vermeintlich dumme Influencerinnen hetzt. Ist doch nur ein Witz. Oder nicht? Ob bei Comedians, Youtubern oder Männlichkeitscoaches, die Pointe sitzt vor allem dann tief, wenn sie schön grenzüberschreitend ist. TrueCrime Podcasts und Videos sind vor allem dann erfolgreich, wenn möglichst viele Frauen sterben. Serienkiller kommen immer gut.
Der 28-jährige Singersongwriter FABER singt vom dummen, scharfen sechzehnjährigen Mädchen, das ihm ihre "Tits" zeigen soll, weil sie doch an ihre Zukunft denken sollte, sie später mal "ein Auto, Haus mit Garten"  haben will. Und weiter: “Du bist zwar erst sechzehn / Ach komm, wir drehen Sexszenen / Gönn mir nur ein Küsschen / Lass mich dich etwas kitzeln / Etwas Nähe ist nicht schlimm / Sei doch kein Kind.”
Und während Luke Mockridge mit seinen Medienanwälten rechtlich gegen die Veröffentlichung der Vorwürfe sexualisierter Gewalt vorgeht und weiter als "eigentlich doch cooler Typ", verteidigt wird, wird Julian Reichelt, Chefredakteur der Bildzeitung, nach Bekanntmachung seines Machtmissbrauchs von ehemaligen Kollegen mit Dank für seine tolle Arbeit überhäuft. Und weil es die Bildzeitung ist, die ohnehin für alle, die kulturell etwas von sich halten, ohnehin lange in Ungnade steht, sagen wir: Acht, was soll's.
Im Interview sagt Wolfgang Joop trauert nebenbei der guten alten Zeit hinterher: "Weil diese Welt so wunderbar frivol und frigide war. Alles war käuflich. Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten." Schön frivol: casual rape? Und weil ihn alle ohnehin für diesen zauseligen alten Designer halten, den man eh nicht für voll nehmen kann, schauen wir auf die Gewaltverherrlichung und denken trotzdem später: Ach, was soll’s.


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10 Schritte, um Morde an Frauen zu verhindern

In ihrer Spiegel Kolumne gibt Maragerete Stokowski Anhaltspunkte für die Politik: "Auch niedrigere Mieten und Therapieangebote für alle können helfen: Politik, die Femizide verhindern will, muss alle Vorstufen der Gewalt bekämpfen – und gefährdete Frauen besser unterstützen", schreibt sie in "Was tun gegen Femizide? Zehn Schritte, um Morde an Frauen zu verhindern" und zählt diese Schritte wie folgt auf:

  1. Schritt: Bewusstsein und Unabhängigkeit schaffen
  2. Schritt: Polizei und Justiz schulen
  3. Schritt: Gewalt gegen Frauen im Internet endlich richtig verfolgen
  4. Schritt: Der Wohnungsmarkt ist ein Problem
  5. Schritt: Mehr Therapieangebote für alle
  6. Schritt: Die Rechte von Minderheiten stärken 
  7. Schritt: Die Rechte von Minderheiten stärken 
  8. Schritt: Die Rechte von Minderheiten stärken 
  9. Schritt: Extremismus bekämpfen
  10. Schritt: Die Pandemie beenden
Die Erklärungen zu den Schritten, ihren Zusammenhängen mit Gewalt gegen Frauen und die gesamte Kolumne aus dem Juni könnt ihr hier nachlesen.

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