Red - (Taylor’s Version) – Mehr als nur eine Neuveröffentlichung?
Montag, Dezember 13, 2021Vor einem Monat hat Taylor Swift ihr viertes Album Red neu veröffentlicht. Innerhalb der ersten Woche kletterte das ursprünglich 2012 erschienene Album an die Spitze der Charts und brach zahlreiche Rekorde, was für ein neu aufgenommenes Album, bei dem es sich nicht um eine Greatest Hits Compilation handelt, durchaus ungewöhnlich ist. In diesem Artikel habe ich die Ehre, über meine Lieblingskünstlerin zu schreiben und zu erklären, warum Taylor Swift für mich mehr als bloß eine Musikerin und Red mehr als nur ein Album ist.
Background: Eine kurze Reise durch 15 Jahre Taylor Swift
- Die Alben: Taylor Swift hat neun Studioalben veröffentlicht. Red markierte 2012 einen Höhepunkt ihrer musikalischen Karriere, die 2006 mit der Veröffentlichung ihres ersten Albums begann und im Laufe derer unzählige Grammys und sogar Guinness Weltrekorde an die Sängerin gingen. Wichtige kommerzielle und musikalische Meilensteine dieser Karriere waren die Alben Fearless (2008), 1989 (2014) und die Schwesteralben Folklore (2020) und Evermore (2020). Und natürlich Red, das 2012 erschien und nun von Swift neu aufgenommen wurde.
- Musikkarriere und Durchbruch: Swift begann ihre Karriere als Country Sängerin in Nashville. Mit Songs wie Love Story oder You Belong With Me gelang ihr 2008 der internationale Durchbruch. Nach 2010 begann sie, die vertrauten Country-Gefilde zu verlassen und experimentierte mit anderen Genres. Red markierte dabei die Brücke zwischen ihren musikalischen Wurzeln und einer deutlich elektronischeren Pop-Musikerin, zu der sie sich auf ihren späteren Alben entwickeln sollte. So gelang Swift mit dem darauf folgenden Album 1989, ihrem ersten vollständigen Pop Album, der bisher größte Erfolg.
- Krise, kreative Einflüsse & Rückkehr: Zwischen der Veröffentlichung der Alben 1989 (2014) und Reputation (2017) befand sich Swift nach eigener Aussage in einer persönlichen Identitätskrise, die sich in ihrer kreativen Arbeit in den düsteren Trap, sowie R&B beeinflussten Elektropop-Klängen niederschlug, die Reputation musikalisch ausmachten. Die Zeitspanne, sowie den Vorlauf zum Album Lover (2019) thematisiert die Sängerin in der Netflix-Dokumentation „Miss Americana“. Während der Pandemie nahm Swift die Schwesteralben Folklore und Evermore auf, die erstmals weniger autobiographische Elemente enthielten, sondern sich auf das Erzählen fiktiver Geschichten konzentrierten. Ebenso wechselte Swift erneut das Genre von Pop zu Indie-Folk und konnte so, nach den (in Relation) weniger erfolgreichen Alben Reputation und Lover wieder einen großen internationalen Erfolg erzielen und u.a. mit Folklore den Grammy für die Kategorie Album of the Year gewinnen.
- "Taylor's Version"-Rerecordings: Das Jahr 2021 widmete die Musikerin der Neuaufnahme und Veröffentlichung ihrer frühen Alben Fearless und Red. Hintergrund ist ein langjähriger Rechtsstreit mit ihrem ehemaligen Label Big Machine Records über die Besitzrechte ihrer ersten sechs Alben, auf den später in diesem Artikel eingegangen wird.
Die Bedeutung von Red
Taylor Swift versteht es, ihren Alben eine übergeordnet thematische Bedeutung zu geben. Ihre Veröffentlichungen tragen eine Fassade, die über das Albumcover hinausgeht und sich in einer bestimmten Stimmung niederschlägt. So war Reputation eine musikalische Abrechnung mit den Verleumdungen und Anfeindungen, die Swift während ihrer Karriere erlebte und ein gleichzeitiges Bekenntnis zu sich selbst, unabhängig von ihrem Ruf. Folklore war minimalistisch und magisch zugleich, wie es Lagerfeuergeschichten sind. Evermore bewies, dass man diese Geschichten wieder und wieder erzählen kann. Musik ist für gewöhnlich eine Mischung aus Text, Instrumentalik und Stimme. Bei Swift ist dies nicht anders, bloß steht in ihrer Musik meist im Vordergrund, eine Geschichte zu erzählen. Und Red sollte die Geschichte der Liebe erzählen, in allen Facetten und Farben:
Losing him was blue, like I'd never known
Missing him was dark gray, all alone
Forgetting him was like trying to know somebody you never met
But loving him was red
Die vorhergegangene Passage über die Kohärenz von Swifts Alben soll keineswegs bedeuten, dass sie eintönig oder musikalisch homogen sind. Red ist hierfür das Paradebeispiel. Auf ursprünglich sechzehn Tracks experimentierte Swift mit etlichen Genres: Von Country über Arenarock, von Dubstep bis Pop. Hier fand man euphorische und kräftige Stücke wie State of Grace, Holy Ground und Starlight, verträumte und ruhige Lieder wie Begin Again und Everything Has Changed, die bekannten Chartsongs I Knew You Were Trouble, 22 und We Are Never Ever Getting Back Together und schließlich auch jene Stücke, aus denen ein gebrochenes Herz spricht, namentlich vor allem The Last Time, I Almost Do, Sad Beautiful Tragic und das emotionale Herzstück des Albums: All Too Well.
Nach neun Jahren ist Red zurück und hat sich in der Zahl der Songs beinahe verdoppelt: All Too Well klingt noch schmerzhafter und ist in seiner ursprünglichen ungeschnittenen Länge von zehn Minuten aufgenommen worden und die Farbe Rot scheint intensiver zwischen den Zeilen hindurch als zuvor.
And you call me up again just to break me like a promise
So casually cruel in the name of being honest
I'm a crumpled-up piece of paper lying here
'Cause I remember it all too well
Zweifellos hatte Red auf Swifts Karriere einen prägenden Einfluss. Es war das Break-Up-Album schlechthin, wie sie später betonen würde. Zudem verankerte es die Sängerin fest auf dem musikalischen Radar. Nicht nur ihre eigene Karriere wurde durch Red entscheidend geprägt. Auf der Tour zum Album brachte sie niemand geringeren mit als einen soeben in Großbritannien sehr populär gewordenen Singer-Songwriter: Ed Sheeran. Beide nahmen für Red zwei Songs auf und wurden gute Freunde.
Red kann uns nicht nur viel über die Ekstase und das Feuer des Verliebens lehren, sondern auch über den Schmerz des Zerbrechens einer Beziehung, der Einsamkeit der Zurückgelassenen und die verschiedenen Facetten des höchsten der Gefühle.
Vor allem aber spendet es Hoffnung, dass Liebe wieder und wieder beginnt, ob sie nun in einem Zustand der Anmut rot brannte oder auf tragische Art endete. Dort wo sie hinfällt, geschieht etwas besonderes. Dort ist heiliger Boden.
I've been spending the last eight months
Thinking all love ever does
Is break and burn, and end
But on a Wednesday in a cafe
I watched it begin again
Nun da geklärt ist, warum Red ein besonderes Album war, bin ich noch eine Erklärung schuldig, warum es mehr als nur eine Neuveröffentlichung ist.
Vom Stehlen, Zurückgeben und Verändern
Es gibt keinen einfachen Weg zu erklären, warum Taylor Swift ihre alten Alben neu aufnimmt. 2017 lief ihr Vertrag bei Big Machine Records aus, woraufhin sie zu Revolution Records wechselte. Ihr altes Label behielt die Rechte an ihren ersten sechs Alben. 2019 kam es zum offenen Bruch, als Swifts Songs ohne ihr Wissen für 300 Mio. $ an Scooter Brauns Ithaca Holding verkauft wurde.
Swift wurde in der Folge untersagt, ihre Songs in der geplanten Netflix Dokumentation „Miss Americana“ zu verwenden oder gar live zu spielen. Im selben Jahr kündigte sie daher an, alle ihre bis 2017 erschienenen Songs neu aufzunehmen.
Swifts Fall ist nicht ungewöhnlich. Paul McCartney kämpft beispielsweise heute noch um die Rechte an Beatles-Songs, die er und John Lennon in den 1960ern geschrieben haben. Die Übergabe von jeglichen Rechten an selbstgeschriebenen und aufgenommenen Songs ist eine Vertragsklausel, die viele unbekannte und junge Künstler:innen in Kauf nehmen müssen, um bei einem Musiklabel zu landen. So erging es auch der 15-Jährigen Taylor Swift im Jahr 2005. Trotzdem hat sie einen Weg gefunden, sich durch pure Schaffenskraft dieser Vertragsfessel zu entziehen. Swifts Output in den letzten 18 Monaten war gewaltig: Sie hat vier Alben veröffentlicht, zwei davon wurden gänzlich neu geschrieben. Es handelt sich um 90 Songs, von denen über die Hälfte zum ersten Mal hörbar waren. Mit ihrem bisherigen Erfolg hätte Swift bequem die Füße hochlegen können. Stattdessen hat sie trotz dem Verlust ihrer ersten sechs Alben einen Weg gefunden, die Musikindustrie auszuhebeln und gleichzeitig ihren langjährigen Fans etwas sehr Besonderes zurückzugeben.
Jedes neuaufgenommene Album beinhaltet Songs „from the Vault“, die von der ursprünglichen Fassung gestrichen wurden, um sie auf verkaufsnormierte Länge zu stutzen.
So vergrößerte sich Red auf Taylors Version von einer ursprünglichen Runtime von 16 Songs auf 30 Songs. Sie nutzte die Gelegenheit, um den Fan-Favoriten All Too Well hervorzuheben, veröffentlichte eine zehnminütige Fassung des Songs und drehte außerdem mit den Schauspielern Dylan O’Brien und Sadie Sink einen Kurzfilm zum Song.
In der neu aufgenommenen Version begegnet uns Red als ein Album, dass nicht allein die Liebe im romantischen Sinne thematisiert, sondern auch die Liebe zwischen Freunden, wie in Forever Winter. Ein besonders tragisches Beispiel ist der Song Ronan, in dem Swift die Liebe einer Mutter zu ihrem verstorbenen Kind thematisiert. Inspiriert wurde sie von der Geschichte des vierjährigen Ronan Thompson, der 2011 an Krebs starb. Während einer Tour begegnete sie seiner Mutter und schrieb den Song basierend auf den Blogbeiträgen von Ronans Mutter, in denen sie den Verlust ihres Kindes aufarbeitet.
Flowers pile up in the worst way, no one knows what to say
About a beautiful boy who died
And it’s about to be Halloween, you could be anything
You wanted if you were still here
I remember the last day when I kissed your face
And whispered in your ear
Come on, baby, with me we’re gonna fly away from here
Diese Vault-Songs zeigen außerdem, dass Swift ihre politische Identität womöglich sehr viel früher entwickelt hat, als wir seit „Miss Americana“ zu wissen glaubten. Der Song Nothing New mit Phoebe Bridgers thematisiert beispielsweise die Doppelmoral, mit der Frauen bewertet werden:
They tell you while you're young
"Girls, go out and have your fun"
Then they hunt and slay the ones
Who actually do it
Dann ist da schließlich noch das offensichtliche „Fuck the Patriarchy“ im Text der 10-Minuten Version von All Too Well. Zugegeben, die Zeile bezieht sich auf die Aufschrift eines Autoschlüsselanhängers, doch die Art und Weise, wie Swift diese explizite Stelle in der Saturday Night Live Show von Jimmy Fallon performte, schließt jeden Zweifel an ihrer Überzeugung hinter dieser Zeile aus. Ein Lächeln und Augenbrauenhochziehen sagen manchmal mehr als 1000 Worte.
Man muss Taylor Swift für diese beiden Beispiele keine Medaille verleihen, jedoch arbeitet sie seit Jahren daran, dass sich die Verhältnisse für Frauen in und außerhalb der Musikindustrie verändern. So spendete Swift 250.000$ für Keshas Rechtsstreit gegen ihren ehemaligen Produzenten, der sie sexuell missbraucht haben soll. Als Swift sich selbst in so einem Rechtsstreit gegen David Mueller befand, der 2013 gegen sie körperlich übergriffig geworden war und sie infolge der Anklage wegen Diffamierung auf drei Millionen Dollar zu verklagen versuchte, brachte Swift eine Gegenklage auf einen Dollar Schadensersatz ein und gewann den Fall.
Es war eine symbolische Geste der Solidarität mit allen Opfern sexueller Gewalt, denen kein Glaube geschenkt wurde.
Dieser Dollar stand dafür, dass der angerichtete Schaden nicht mit Geld, sondern nur mit Anerkennung des erlittenen Leides gemildert werden konnte.
Taylor Swift hat durch ihren Erfolg zweifellos Macht und Einfluss in der Musikindustrie gewonnen. Diese Macht zeigt sich vor allem darin, dass sie ihre musikalische Karriere nach Gutdünken bestimmen kann. Weder ist sie an ein Label noch an Marketing gebunden. Neben den genannten Beispielen und weiteren Fällen, in denen sie Studienkredite ihrer Fans zahlte, sich für Homosexuelle einsetzte, Krebsbehandlungen finanzierte und sich öffentlich für Frauenrechte wie das Recht auf Abtreibung einsetzte, nutzt sie diese Macht, um häufig im Hintergrund Gutes zu tun.
Red (Taylors Version) ist nicht einfach nur ein Album mit vielfältiger, beeindruckend geschriebener und produzierter Musik, sondern ein weiterer Schritt auf Swifts Weg, die Musikindustrie nachhaltig zu verändern. Swift hat die volle Kontrolle über ihr Lebenswerk übernommen und ihr eigenes Narrativ zurückerobert.
Sie hat mit ihren bisherigen Re-Recordings einen Weg vorgezeichnet, auf dem die Musik den Künstlern gehört, die sie erschaffen haben und nicht der Industrie, die sie vermarktet. Das ist das Zeichen, das Taylor Swift mit ihrem Schaffen an junge Künstler:innen und Frauen sendet. Es geht über Musik hinaus.
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Simon Peters hat Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte in Bonn studiert und sich in diesem Rahmen auf Internationale Beziehungen spezialisiert. Aktuell arbeitet er dort bei einem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ins Leben gerufenem Service für Entwicklungsinitiativen. Er schätzt den gesellschaftlichen Diskurs, begeistert sich für Sprachen und kann sehr ausdauernd über Dinge aller Art nachgrübeln. Besonders am Herzen liegen ihm Themen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit. Gerne mag er laute und leise, fröhliche und traurige Musik und kann für Stunden am Stück ohne Bedenken in einem Bücherladen abgesetzt werden. Auf Sans Mots schreibt er über Literatur, Musik und versucht sein Bestes, individuelle Geschichten und (sozial)wissenschaftliche Themen in einen Kontext zu setzen.
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