Und sonst so? | Vom Besitz des öffentlichen Raums

Parkplatzsuche ist meine Meditation. 10 Minuten täglich, in denen mich nichts anderes beschäftigt als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ...

Parkplatzsuche ist meine Meditation. 10 Minuten täglich, in denen mich nichts anderes beschäftigt als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen der nördlichen Kölner Altstadt. So meditiere ich auch an jenem Dienstagabend mit 23km/h (perfekte Parkplatzsuchgeschwindigkeit) durch die Straßen und bin so glücklich, einen Parkplatz nur wenige Meter von meiner Wohnung entfernt zu finden, nämlich direkt vor dem Büdchen in unserem Veedel. Ich habe einen Anwohnerinnenparkausweis, hier kann ich stehen bleiben – denke ich. Erwin wird mir erklären, dass ich in dieser Annahme irre. 

Der nächste Morgen, ich gehe zum Auto, der Büdchenbesitzer steht rauchend vor seinem Laden. Ich will mich gerade ins Auto setzen, da tritt Erwin auf. Den roten Bademantel über den Frotteeschlafanzug gezogen schlappt er in seinen Hausschuhen über die Straße, den Mund-Nasen-Schutz stilecht als Schnörreswärmer unter der Nase befestigt, auf dem Weg zum Büdchen um den Express, Zigaretten oder eine Packung H-Milch zu erwerben. Soweit eine völlig gewöhnliche Situation in Köln um 08:15 Uhr.


Doch zunächst hat Erwin es gar nicht aufs Büdchen abgesehen, sondern auf mich. „He, Frollein!“ ruft er und die Maske bebt bedrohlich. 

Ich ignoriere das zunächst – solche Ansprachen kennen wir doch leider alle, und Ignorieren ist mit Blick auf die eigenen Kraftreserven häufig das Beste. Doch Erwin lässt nicht locker, er hat sein Tempo jetzt soweit erhöht, wie es seine Bademantel-Hausschuh-Kombi zulässt und steuert mit wiederholtem „He, Frollein!“ direkt auf mich zu.


An meinem Auto angekommen, kommt er mir pandemieignorierend nahe und schnaubt mit Blick auf den Büdchenbesitzer „Ich hoffe Sie bezahlen ihm den Parkplatz“. Jetzt verstehe ich, natürlich. Ich stehe auf einem öffentlichen Parkplatz, aber in Erwins Weltbild gehört er dem Büdchenbesitzer. Im Nachhinein über so eine Situation zu schreiben ist sehr viel einfacher als in ihr geistesgegenwärtig zu reagieren. Ich schaue Erwin an, sage „Ich bin für Sie kein Frollein“ und steige ins Auto. Hinterher bin ich ein bisschen stolz auf diese Reaktion. Was nacherzählt lustig und unterhaltsam klingen mag, ist in Wirklichkeit und in der Situation vor allem eins: übergriffig.


Es ist die mehrfache, geschriene Ansprache über die Straße hinweg, die von mir unerwünschte Nähe, die er ohne zu fragen aufbaut, die Selbstverständlichkeit mit der er glaubt sich mir nähern und mir einen Raum zuweisen oder absprechen zu können. - Vor allem sagt es viel aus über die Frage, wem der öffentliche Raum zu gehören scheint.


Als ich nach dieser Begegnung mit dem Auto losfahre, rappt Shirin David aus den Lautsprechern „Ob ich’s hab, ja ich hab das Recht, immer zu tun und zu lassen was ich will, yuh, keiner sagt mir was ich darf“. Wenn wir über die Lebensrealität von Frauen und über Fragen der Geschlechtergerechtigkeit sprechen, sprechen wir häufig vom Gender Pay Gap, von unbezahlter Care-Arbeit, von sexualisierter Gewalt. Insbesondere bei Letzterem überwiegt in unseren Köpfen das Bild von Frauen, die auf dem Nachhauseweg gewaltvoll ins Gebüsch gezerrt werden. Diese Fälle gibt es und es sind zu viele. Aber sie sind nicht alles. Und sie täuschen uns häufig darüber hinweg, dass es viele, viel weniger manifeste Dinge gibt, die sich wie tausende Mosaiksteinchen am Ende des Tages zu einem Bild zusammensetzen, das sagt: Dass du dich als Frau im öffentlichen Raum bewegst, ist nicht selbstverständlich; er gehört dir nicht. Wie häufig senken Frauen im öffentlichen Raum den Blick, wie häufig wechseln sie die Straßenseite, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um einer potentiellen Gefahr aus dem Weg zu gehen? Wie häufig bemühen wir abends ein Werkzeug aus der Trickkiste aus Fake-Telefonaten, aus echten Telefonaten, aus einer bestimmten Haltung des Hausschlüssels in der Hand? Wie häufig weichen wir aus, weil die älteren Männer, die uns entgegen kommen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass wir es tun? Es ist ein Verhaltensmuster, das sich vor allem auf eins hinunterbrechen lässt: Passivität. Wir passen uns an eine Situation an, wir beschränken uns auf den Raum, der übrig bleibt, häufig weil alles andere mit Gefahr für die eigene Sicherheit einherginge. 

Was können wir, was können Männer nun tun? Ich erwarte nicht, dass uns Platz im öffentlichen Raum zugewiesen wird – uns muss nichts zugewiesen werden, was uns naturgemäß zusteht, es wäre zynisch und ich hätte nicht vor mich dafür zu bedanken.


Aber jeder Mann kann die freie gedankliche Kapazität, die er ob der Tatsache, dass er nicht darüber nachdenken muss, wie er sich im öffentlichem Raum bewegt, nutzen und das Ganze beim nächsten Spaziergang, bei der nächsten U-Bahn-Fahrt einfach mal beobachten. Es ist spannend, und es ist erzürnend.


Als ich am Abend wieder ins Veedel einbiege, rappt Shirin David immer noch „keiner sagt mir was ich darf“ aus dem Lautsprecher. Und plötzlich wird mir bewusst, dass das Lied nur funktioniert, weil es eine Utopie beschreibt. Es stimmt nicht, alle sagen ihr was sie darf und was nicht. Das Lied funktioniert, weil es eben nicht so ist, weil es eben explizit Erwähnung finden muss, dass ihr niemand sagt, was sie darf. Selbstermächtigung, gerappt in 2:31 Minuten. Manchmal finden wir Selbstermächtigung in Raptexten, manchmal bei der Parkplatzsuche, manchmal im nicht gesenkten Blick. Bis zu dem Tag an dem es keiner Selbstermächtigung mehr bedarf, bin ich dankbar für meine Einparkkünste, für Shirin David und für jede andere Frau, die weiß: Sie darf das. 

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Carolin Jacobi ist 28 Jahre alt und lebt in Köln und ist seit 2021 Teil des Teams von Sans Mots. Neben Fuerteventura und Ferdinand von Schirach liebt Jacobi Sprache, Popkultur und feine Dinge und schreibt seit ihrer frühen Kindheit. Sie interessiert sich für Fragen des gesellschaftspolitischen Tagesgeschehens, Formen der menschlichen Begegnung und möglichst simple Memes. Auf Sans Mots schreibt sie die Kolumne „Und sonst so?“ über die großen Fragen in den kleinen Dingen unseres Zusammenlebens.



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  1. Liebe Carolin, danke dir für die Erinnerung an und Sichtbarmachen der kleinen Dingen im Alltag, wo Frauen sich ein Stück Selbstermächtigung holen.

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