Weltfrauentag & Feminismus | Mein Feindbild sind nicht Männer, sondern Ungerechtigkeit und Denkfehler

Das hier ist ein Update. Eine Erinnerung. Ein Versuch einer kleinen Zusammenfassung. Nehmt euch eine Tasse Kaffee, ein wenig Empöru...


Das hier ist ein Update. Eine Erinnerung. Ein Versuch einer kleinen Zusammenfassung. Nehmt euch eine Tasse Kaffee, ein wenig Empörung, Wissensdurst und Tatendrang und wir starten zusammen in den Feminismus von heute und der Frage, warum ich ihn als notwendig erachte und wie schade ich es finde, dass er noch immer einen teils schlechten Ruf hat oder als politischen Nischenprojekt betrachtet wird.

Ich finde schade, dass wir in solch einer modernen Zeit leben, aber manchmal noch immer ein schlechter Ruf mit Feminismus behaftet ist. Als wären das nur schlecht gelaunte, hässliche, frustrierte Frauen, die Männer hassen und "doch schon eh alles haben" und "sich nur anstellen". Und das ist einfach Quatsch. Aber ja, wenn man immer wieder damit konfrontiert ist oder beobachtet wie andere gehindert oder benachteiligt werden bestimmte Dinge zu tun, nur weil sie weiblich sind, dann ja, dann bin ich auch mal schlecht gelaunt und frustriert, vor allem aber empört, weil ich das Gefühl habe, dass noch immer einige – meist ältere – Herrschaften leugnen, dass es überhaupt Probleme diesbezüglich gibt. Und das ist schon die erste Krux.
Ich glaube, dass es enorm wichtig ist, dass man Probleme anerkennt noch bevor man strategisch dort hin läuert, wer denn der Schuldige ist. Allein das Anerkennen, dass es noch immer Defizite gibt ist der erste und der wichtigste Schritt in dieser Debatte speziell und in politischen Debatten generell. Bevor wir also darüber sprechen, wer an gewissen Defiziten Schuld ist (sei das jetzt der böse böse Mann, der böse böse Islam oder die böse böse Frau selbst oder vielleicht doch eine sehr viel differenziertere Antwort?), müssen wir erst einmal anerkennen, dass es Defizite gibt. Nicht erst dann, wer oder was die Ursache ist und ob es uns gefällt, dass wir die Ursache in irgendeiner Weise instrumentalisieren können.


Dass es noch viele Probleme gibt, die auch an das Geschlecht gebunden sind, kann niemand leugnen.

Die Hälfte der Menschheit ist weiblich und wird allein aus diesem Grund in vielerlei Hinsicht strukturell behindert. Wieso lassen wir das zu?

Dass es eine enorm hohe Anzahl an häuslicher Gewalt und sexualisierte Gewalt an Frauen gibt. Der gefährlichste Ort kann für Frauen die eigene Wohnung sein, der eigene Partner. An jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Mann, Freund oder Ex-Mann getötet. Fast Tausend mal mehr (!) sind es jährlich, die Opfer durch sogenannte Partnerschaftsgewalt werden. Lassen wir das mal sacken und schaudern über diese grauenhaften Zahlen. Im vergangenen Jahr sind fast 140.000 Menschen Opfer von Gewalt durch Partner oder Ex-Partner geworden. Stalking, Nötigung, Vergewaltigung, schwere Körper Verletzung oder gar Mord. Davon zu 82% Frauen, von der jede Zweite auch mit dem Partner zusammen lebt. Das geht aus Auswertungen des Bundeskriminalamts hervor. Seit 2017 sind die Zahlen zumindest erstmals um ein knappes Prozent gesunken. Dabei lässt die Dunkelzahl derjeniger, die Vorfälle dieser Art nicht melden nur erwähnen. Gruselig, traurig, schrecklich. Und vielleicht Zeit, um das nicht weiter zu verharmlosen und als strukturelles Problemfeld zu erkennen.

Einer meiner Lieblingsabsurditäten: Es ist halt schon irgendwo lächerlich, wenn man bedenkt, dass der Job als ParlamentarierIn oder MandatsträgerIn nicht einfach irgendein Manager- oder Chefjob ist, sondern sind wörtlich "Diener des Volkes" und tragen Verantwortung all diejenigen zu repräsentieren, die in diesem Land leben. Wenn der absolute Großteil von ihnen aber 1. männlich, 2. relativ alt und 3. Akademiker sind, dann ist es für mich absolut nicht ersichtlich, wie man da von Repräsentanz sprechen kann.

Dass es den Gender Pay Gap gibt, den Gender Care Gap, dass insbesondere Frauen von Altersarmut bedroht sind, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und generell das Thema rund um Schwangerschaft, Geburten, Hebammen und letztlich auch (ganz aktuell) der Paragraph 219a zum Informationsverbot von Schwangerschaftsabbrüchen komplett unzureichend oder problematisch sind, das kann niemand leugnen. Und daran gilt es anzusetzen. Neben einigen Problemen, die vielleicht noch sehr viel diffuser sind und sich auf gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Ebene abspielen. Wie werden Kinder erzogen? Wie werden Frauen in der Werbung dargestellt? Wie oft wird das Aussehen von Frauen kommentiert in Kontexten, in denen es komplett irrelevant ist und wieso wird die Sexualität und sexuelle Verfügbarkeit von Frauen anders bewertet als die von Männern?

Es geht nicht um einen Kampf zwischen den Geschlechtern, sodass Männer oder Frauen als Gewinner oder Verlierer aus dem Boxkampf des Feminismus herauskommen, sondern ein Kampf gegen strukturelle Ungleichheiten, die Geschlecht an sich betreffen. Der Gegner ist nicht der Mann, ist auch nicht eine bestimmte Partei konkret oder eine Person allein oder irgendwas, deswegen baucht man sich von Feminismus nicht bedroht fühlen. In einer Gesellschaft, in der alle die gleichen Rechte bekommen, die ihnen zustehen und jeder Mensch gleich viel zählt gehen alle als Gewinner raus.


"Mein Feindbild sind nicht Männer,
sondern Ungerechtigkeiten und Denkfehler."


Sich für die Rechte anderer Menschen einzusetzen, nimmt einem selbst nichts weg. Höchstens ein Vorrecht, das man für sich selbst beanspruchen möchte, von dem ich aber glaube, dass man es nicht rational begründen kann. (Das betrifft diejenigen, die das Gefühl hatten, durch die "Ehe für alle" gehe ihnen selbst als Heterosexueller etwas abhanden, so wie auch diejenigen, die sich darüber echauffieren, dass es Veranstaltungen und Aufmerksamkeit für den Weltfrauentag gibt, weil es ja keinen Weltmännertag gäbe. Einerseits nimmt es einem nichts weg und; – you know what – es gibt einen Weltmännertag. Der ist in diesem Jahr in Deutschland Anfang November und tut nichts zur Sache, wenn wir über die folgenden Probleme sprechen.)



Die Rose zum Weltfrauentag.

Sowohl vom Bachelor als auch von der Politik erhoffe ich mir keine Rosen, sondern hauptsächlich eine bessere Zukunft, Erweiterung des eigenen Denkens und Handelns und ehrliche und produktive Auseinandersetzung mit Problemen. Vielleicht ist das naiv, vielleicht aber auch genau richtig, exakt das einzufordern, was einem zusteht. Ich schrieb es schon letztes Jahr:

Liebe Lokalpolitiker,

die mir heute eine Rose "für die hübsche Dame zum Weltfrauentag" in die Hand drücken wollen: Ich liebe Blumen. Aber noch viel viel lieber als eine Blume hätte ich insbesondere an diesem symbolischen Tag einige andere Dinge. Nicht alle liegen in eurer Macht, aber ich weiß nicht einmal, ob sie auf eurem Schirm sind.

Wenn mir mit einem Augenzwinkern ein Blümchen in die Hand gedrückt wird, an einem Tag, der politisch für so viel Veränderung steht, trifft das nicht den Kern der Sache – im Gegenteil. Es ist eine vielleicht nett und unschuldig gemeinte Geste, aber sie ist politisch so leer, dass ich mich sehr darüber aufregen könnte. Ich will nicht, dass man mir zum Weltfrauentag gratuliert. Ich will keine Blumen von Politikern von Parteien, die sonst eine Politik machen, die nicht dem entspricht, was ich unter sozialer und intersektionaler Gerechtigkeit verstehe und ich will keine Pralinen und keine gratis Frauenzeitschrift, Lipglosse oder einen Hugo bei Vapiano. Viel lieber hätte ich aber andere Dinge. Dinge, die mir als Frau in diesem Land zustehen.



  • Vor genau einem Jahr veröffentlichte ich einen Artikel namens "18 Dinge, die ich am Weltfrauentag lieber hätte als eine Blume oder warum wir (ja immer noch) Feminismus brauchen". Komplett nachlesen könnt ihr ihn hier.
  • In meinem Artikel "Von schlechten Annäherungsversuchen und der Frage, ob man für einen Korb lügen darf" schrieb ich davon, wie es mich erschüttert, dass ein "Nein" nicht einfach akzeptiert wird. Komplett nachlesen könnt ihr ihn hier.
  • In einem Beitrag schrieb ich über die Frage, ob das Verbot um sexistische Werbung sinnvoll ist oder eine bloße Symptombekämpfung. Aufreger und Beispiele sowie eine politische Überlegung, komplett nachlesen kann man ihn hier.
  • Apropos nackte Frauenkörper als Objekte zur Vermarktung nutzen. Dass der STERN das immer zu macht und bei jeder Gelegenheit (und sogar jeder Krankheit?) zufälligerweise hübsche, nackte Frauen als "passendes Cover" wählt, habe ich hier gezeigt.
  • Dass der Paragraph 219a eine Kriminalisierung der Aufklärung darstellt, Frauen entmündigt und dringend gestrichen gehört, habe ich in einem Artikel beschrieben und argumentiert, wieso ihm ein problematisches Menschen- und Frauenbild zugrunde liegt. Komplett lesen kann man ihn hier.
  • In "Burkinis, Verbote und Befreiung - Die Heuchelei der Frauenrettung" habe ich mich darüber aufgeregt, inwiefern Feminismus und der Deckmantel der Frauenrechtsbewegung von der politischen Rechten instrumentalisiert und pervertiert wird und as rein gar nichts mit Feminismus zu hat. Nachlesen könnt ihr ihn hier.
  • Ein Interview namens "Greenwashing in rosa" habe ich mit Laura Sodano geführt, das ihr hier nachlesen könnt. Erschienen ist es in dem Online Magazin "Girls just wanna have", das ich herausgegeben habe und als meistgelesenstes Magazin von Wondermag ausgezeichnet wurde. Ihr findet es hier.
  • Darüber, dass Frauen noch immer maßgeblich (und sehr viel mehr als Männer) nach ihrer Sexualität und ihrer sexuellen Verfügbarkeit bewertet, beurteilt und verurteilt werden habe ich in meinem Artikel "Über Schlampen und die Grenzen der Friendzone" geschrieben. Ihr findet ihn hier auf EDITION F.


  • In zwei anderen Beiträgen auf diesem Blog habe ich über Populismus, Toleranz, Streitkultur und Argumentationen geschrieben. Ursprünglich geht es in ihnen zwar um gänzlich andere Themen (so wie mit ethischem Vegetarismus), ich glaube aber, dass in ihnen mein Grundverständnis von Diskussionsoffenheit und (politischer und gesellschaftlicher) Auseinandersetzung gut deutlich wird. Hier und hier könnt ihr sie lesen.



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